Die EP als Schnittstelle zwischen Ökonomie und Inhalt
Das oft befürchtete Ende des Albums ist zum Glück durchaus noch nicht eingetreten, denn die Idee des Langspielers ist zu sehr in die DNA der Aufmerksamkeitsmechanismen der Popmusik eingeschrieben. Newcomer:innen aber bekommen dennoch kaum mehr die Zeit, Alben zu veröffentlichen, bzw. in Albenzyklen ihre Karrieren voran zu treiben. Die Aufbauarbeit von neuen Artists besteht im Wesentlichen darin, in algorithmisch kuratierte Playlisten auf Spoitify (oder anderen Streamern) herein zu kommen (in selteneren Fällen gibt es auch relevante Playlisten, die von Menschenhand zusammen gestellt werden). Die tatsächlichen, heutigen Charts sind nicht die Hitlisten von einst, sondern die Anzahl von populären Playlisten, in denen man vorkommt. Wenn es bei einigen Songs neuer Acts gelungen ist, sie in Playlisten zu lancieren, bündeln die Plattenfirmen diese, aber da man dies nicht erst nach acht bis zehn veröffentlichten Songs machen möchte, ist die EP („Extended Play“), das kurze Album, derzeit eine oft genutztes Marketing-Boje im Aufmerksamkeitsdschungel der Popmusik.
Womit wir bei FELINIO wären, der bislang drei Singles veröffentlicht hat und ebendiese flankiert von einem neuen Song zu der EP „Gamer Over“ bündelt. Den Popentwurf, der auch für ein Album reichen würde, hat der Münchner Newcomer: Der 80s-Synthpop lädt sich mit postpunkigen New-Wave-Zitaten und ironischen Humor á la NDW aus zwei Richtungen auf und erinnert dabei ein wenig die so um 2016 mal irrsinnig gehypte Band „Golf“. Auch wenn FELINIO vielleicht ein wenig die trockene Beiläufigkeit fehlt, welche „Golf“ Golf so charmant machte, so haben wir es hier doch mit einer Popmusik zu tun, die die Grundprinzipien der schillernden Oberfläche als Raster für Schön- und Klarheit aufs Trefflichste beherrscht. Diese Feinheiten der Popmusik kann wie unter einer Lupe in der Summe von vier Songs gut erkennen. Insofern eignet sich die EP hier als Zwischenfazit nicht nur im ökonomischen - sondern auch im künstlerischen Sinne.
Selbiges gilt für Pascal Blenke, der die Idee von Pop in Fragen von Ehrlichkeit und Intimität fast schon überreizt, wenn er von sexuellem Missbrauch und seelischen Verwerfungen singt. Auch er bündelt 4 bereits erschienene Songs mit einem neuen zu seiner EP „Irgendwann“, und auch hier bringt die Summer dieser Lieder eine Erkenntnis: Wenn jeder doppelte Boden fehlt, muss man schon sehr in der Stimmung sein, sich den Problemen eines singenden Ichs zu stellen. Das freilich ändert nichts an der Tatsache, das hier versierte Popmusik zu hören ist.
Dass Ehrlichkeit eine Poptugend ist, darf also einerseits bezweifelt werden - auch wenn die unverstellte Klarheit eine pophafte Attitüde ist: So auch für „Curse“, den immer etwa griesgrämigen wirkenden Rapper, dessen größten Erfolge in der Musik zurück liegen, der nun aber, zum Buddhismus bekehrt, als Musiker zurück kehrt und kurz nach einem Comeback-Album nun noch mal die Nuller zurück schaut - auf der EP „Aera“. Hier rappt er über sich als Rapper in den Nullern mit anderen Nullerrapper:innen - den Stieber Twins und Cora E und schlägt so die Brücke in seine eigene Vergangenheit, welche auf dem vier Monate zuvor erschienenen Album offenbar noch vermisst wurde. Die EP jedenfalls ist erfolgreicher als die LP, und somit hat hier umgekehrt zu den Newcomern Pascal Blenke oder FILINIO ein inhaltlicher Anspruch, für den die EP das Vehikel war, zu ökonomischen Erfolg geführt.
Auch hier also zeigen sich Vorzüge der EP im derzeitigen Popbetrieb: Für ein scharfes inhaltliches Statement ist sie natürlich schneller am Start als ein ganzes Album. Und dennoch werden alle drei genannten Interpreten - ob neue oder alte Hasen - auf längere Zeit nur sichtbar bleiben, wenn sie auch Alben herausbringen.