Katy Perry hebt ihren Effektivitätspop auf eine neue Ebene
Im Idealfall stellt man sich ja die Entstehung von Musik so vor, dass ein oder mehrere Menschen sie machen , um sie dann auf einen Tonträger oder in eine Datei verfrachten, woraufhin sich dann Hörer diese Musik kaufen können; aber irgendwie hat man beim neuen Album von Katy Perry, das „Witness“ heisst, nicht das Gefühl, dass das so war. Das ist ein eher industrielles Produkt, welches nach statistischen Marktanalysen von KomponistInnen- und ProduzentInnen-Teams gemäss dabei errechneter stochastischen Prinzipien des Erfolges stromlinien-designt wurde, ehe es dann an das System Perry angedockt und entsprechend modifiziert wurde. Warum nun also das Album so aussieht, wie es aussieht, ist nirgendwann, nirgendwo und von niemandem konkret entschieden worden, und warum es so klingt, wie es klingt, weiss vermutlich erst recht keiner so richtig - dieses Produkt ist das Ergebnis von Algorithmen: Da dem Durchschnitt des Durchschnitts der globalen PophörerIn bestimmte Tonfolgen, Beats per Minutes, Sound-Effekte und Break-Folgen gefallen, gibt es eine erhöhte Chance, dass es viele Menschen gibt, denen weniger als die Sperrminorität an Liedern auf dem Album nicht gefallen, so dass sie es kaufen und sich anhören, wie es klingt.
Und wie klingt es? Nach Synthie-Dancefloor, 90s-Bounce und Minimal-RnB, nach Musik, aus der alles, was überflüssig war, getilgt wurde, wonach dann das Wenige, was noch da war, von sieben Teams nach-produziert, gemastert, geflasht, gebouncet, komprimiert und verdoppelt wurde, woraufhin man Style- und Popmarktberater beraten liess und gemäss deren Tips noch eine 4 bis 5 Personen umfassendem soziologisch paritätische Gästeliste erstellte, - RapperInnen oder Minimalraggamuffin-SängerInnen, die dann irgendwo was dazwischen rappen. Diese Raps wurden dann nach den gleichen Sound-Prinzipien, die man zuvor als Pre-Set-Ups speicherte, direkt in die Lieder reingesmasht. Jetzt ist das Musik, die jeden noch so kleinen Bluetooth-Lautsprecher wie eine Open-Air-Konzert-Anlage klingen lässt, Software, die den eigenen Hardware-Bassboost miteingebaut hat.
Um so erstaunlicher, dass dieser cyborghafte Megapop irgendwie doch nicht seelenlos wirkt, sondern trotzdem fluffig wie ein Marshmellow-Muffin in 132 Farben. Wenn man jetzt von beiden Seiten oder oben und unten drauf drückt, kommt rosa Luft aus allen Poren, und wenn man wieder loslässt, plustert sich alles wieder so auf, wie es vorher war. Diese Lieder sind allesamt risikofrei live aufführbar, sie sind Popmusik gewordener memory-foam, als würden sich diese Sounderzeugnisse ihren Aggregatzustand merken können und sich global und automatisch so formen wie vorgesehen; und gleichzeitig sind in dieser Musik Substrate von zig subkulturellen Popgenres enthalten - es ist Country, Soul, Southernrock, RnB, Crunk, Rap, Reggae, Dancefloor, Elektro und Techno drin, und jeder, der eines dieser Subgenres liebt, kann sich das anhören und drüber stehend denken: So hört sich das also an, wenn meine Lieblingsmusik vom Mainstream assimiliert wurde. Leider geil.
Bisher stand die Musik von Katy Perry freilich unter einer anderen Prämisse - Ihre Lieder waren bislang zumeist Versuchsanordnungen zur empirischen Statistik des Popsongs als solchem, welche wiederum zu einer Diktatur des Refrains führte. Oft genug schon auf diesem Blog ausgeführt ist der Reissbrettcharakter von „I kissed a girl“, ein Song der aus genau sechs Teilen á 30 Sekunden besteht, und diese Klarheit der Songarchitektur greift auch bei vielen anderen ihrer Hits: In fast allen Liedern ist entweder „I“ oder „You“ das erste Wort, immer setzt nach spätestens 10 Sekunden der Gesang ein, und die zeitliche Struktur besteht stets aus sechs Teilen von jeweils 15 oder annähernd 30 Sekunden: „Hot N‘ Cold“ hat 6 Teile á 32 Sekunden, „California Gurls“ kommt durch einen Prefrain auf 6 Teile á 45 Sekunden, in „Teenage Dream“ wechseln sich je 3 Parts á 45 bzw. 30 Sekunden ab - die Liste liesse sich weiter endlos fortsetzen, Katy Perry, das war und ist Pop mit Stoppuhr, und auch auf die ersten zwei Single von „Witness“ („Chained to the rhythm“ & „Bon Appétit“) trifft das zu - und nun also gesellt sich zu diesem Timecode-Fetischismuss noch der globale Sound-Passepartout, das kulturelle Konglomerat, bei dem das Nebeneinander besagter Subgenres im gewissen Sinne maschinell-statistisch erstellt wird.
Die androidenhafte Assimilation von Popstilen wurzelt in dem fast krankhaften Willen Perrys und ihrer Marktberater jedem und wirklich jedem zu gefallen (worunter, wie Jenz Balzer in seinem brillianten Buch „Pop“ nachweist, auch Helene Fischer leidet, wenn sie auf ihren Konzerten umstandslos von „Atemlos“ zu „Jump“ von Halen wechselt und zwischendurch noch queeren Nerdpop von Lady Gaga spielt) - aber natürlich birgt diese zwanghafte Poly-Stilistik auch die Gefahr der kulturellen Aneignung („cultural appopriation“), wenn plötzlich visuelle und musikalische Codes im Perryschen Pop auftauchen, die weisse Stereotypen anderer Kulturen abschätzig und eitel zitieren. Genau das wurde ihr schon oft häufig vorgeworfen - wenn sie zum Beispiel in ihrem Video zu „this is how we do“ mit Afro-Frisur in eine Melone beisst oder in dem Clip zu „Dark Horse“ als Nofrotete Diamanten-besetzte Zähne fletscht, schiesst sie als Popkünstlerin über das Ziel, gefallen zu wollen, hinaus, und auch wenn man ihr die im Zuge der Promotion zum neuen Album beteuerte Unwissenheit, Gefühle verletzt zu haben, glauben mag, ist hier eine derart eitle Form der Naivität zu beobachten, die irgendwie nicht wirklich sympathisch ist.
Das ändert aber nichts daran, dass die Musik von Perry der funktionalste und effektivste Blubberpop ist, den es auf dieser an Blubberpop gewiss nicht armen Welt derzeit gibt. Und es ist im gewissen Sinne auch wichtig, dass irgendjemand den Nullmeridian des Pop in seiner jeweiligen Zeit repräsentiert - Katy Perry hat das übernommen, und sie macht diesen Job verdammt gut. Man nehme nur mal „Swish Swish“ (siehe auch einen Post weiter unten): Eine runter gepitchte Stimme als Intro, dann nach 8 Sekunden fängt Perry an, im zweiten Durchgang der Strophe (Timecode 00:25) setzt der Beat ein, nach weiteren 15 Sekunden die Bridge und pünktlich nach einer Minute der Refrain, der, ihr ahnt es, exakt 15 Sekunden dauert, die zweite Strophe braucht nur einen Durchgang, so dass sich Bridge und Refrain also um eine 15 Sekunden-Einheit nach vorne schieben (01:30 & 01:45) - die dritte Strophe mit zwei Durchläufen und der Bridge dazwischen ist dann von Nicki Minaj gerappt (02:35), bevor dann Katy wieder den Refrain übernimmt (03:30) - das Verhältnis zwischen Beat und Melodie ist perfekt, unwiderstehlich, und selbst wenn man es hasst, hat man dieses Meisterwerk des Effektivitätspops nach 30 Sekunden unauslöschlich im Hirn - sowas können vielleicht wirklich nur Algorithmen. Tatsache ist jedenfalls, dass man diese Musik auch, wenn man um diesen Stoppuhrfaktor-Faktor in diesen Algorhythmen weiss, geniessen kann.
Kann man dann nicht bitte noch Katy Perry ersetzen. Ist doch technisch sicher möglich und fûr das Platten Label preiswerter. Bei Konzerten einen Avatar, dazu ein paar echte Hupfdohlen ...
Kommentiert von: Jteufel | 19. Juni 17 um 00:16 Uhr