Eine kurze Geschichte des Poptrios Sugababes anlässlich deren Comebacks in der originalen Besetzung
Eine erfreuliche Pop-Nachricht aus England: Die Sugababes kommen zurück. Oder sie gründen sich wieder. Oder sie erfinden sich neu. Man weiß es ja nicht. Das Trio trat jedenfalls in der letzten Woche in der „Graham Norton Show“ auf und sang ein neues Lied, namentlich waren dies Siobhan Donaghy, Keisha Buchanan und Mutya Buena Wer sich jetzt ein wenig auskennt, wird erkannt haben, und wer sich nicht auskennt, dem sei gesagt: Diese drei Musikerinnen sind die drei Gründerinnen der Sugababes. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn zur letzten Formation, die unter dem Namen „Sugababes“ Musik veröffentlichte, kein
Gründungsmitglied mehr gehörte. Wie es dazu kommen konnte, das ist auch ein wenig die Geschichte eines Popentwurfs im Wandel schneller Popzeiten, eine übergreifende Idee jenseits der Konkretion, wer sie zu welchem Zeitpunkt verkörperte und nun wieder verkörpert, und das ist wiederum um so verblüffender, als das die ursprüngliche Idee der Sugababes eine Abgrenzung vom Popzirkus war, der Versuch nämlich Bubblegum-Pop für Teenager authentischer und persönlicher auszuformen.
Doch der Reihe nach. Der Signature-Song der Sugababes war natürlich im Jahre 1999 ihr erster Hit, „overload“, jene lakonische Pop-Perle mit den ikonischen Hook-Zeilen „Train comes, I don’t know ist destination. It’s a one-way-ticket to a madman’s situation“. Dieser pfiffige Refrain katapultiert das Lied aus seiner eigentlichen Umlaufbahn der gesungenen Teenager-Probleme in eine übergreifend britisch-kryptische Pophymne. Der Song kommt mit schluffig scharfem Bass-Beat-Gerüst ungeheuer schnell in Fahrt - der Gesang setzt schon nach 15 Sekunden Intro ein und ist damit noch heute streaming-zeitgemäss. Die drei original Sugababes finden eine bewundernswert beiläufige Art, engagiert zu wirken, und der Sound von Synthie, Beat, Samples, rhythmisierten Störplickern und echofreier Gesangsmischung auf durchweg nur zwei Akkorden plufft irgendwo zwischen Hip-Hop und britischer Soul-Musik. Und „Overload“ beinhaltet, das vergisst man oft, ein Gitarren-Solo mittendrin. In dem Video wirkten die drei Sugababes so herrlich entspannt und privat, dass das Lied um so mehr als Abkehr vom überkandideltem ultra-inszeniertem Überpop von Formationen wie Spice Girls oder Take That wirkte, der Ende der 90er die Charts verstopfte. „Overload“ gelang das, was einen Hit auch heute noch im Zeitalter der Postcharts der Popmusik im Wesentlichen ausmacht: Die Balance zwischen Indie- und Mainstream, den großen Popkonsens zu finden - der Song wurde und wird von Schulschwänzerinnen auf Innenstadtbänken ebenso geliebt wie von intellektuellen SPEX-Leser*innen und langbärtigen Hippierockern.
Und was man an dem Song liebte, wurde von Mutya Buena, Siobhan Donaghy und Keisha Buchanan auch verkörpert. Ihre Glamour-Verneinung wirkte glamourös, ihre Uncoolness war cool, und die Tatsache, dass sie ihre Songs selber schrieben, war in einer Popzeit, in der durchgecastete Konzept-Formationen den Teenies den Kopf verdrehten, fast schon eine Unverschämtheit. Hinzu kam ihr souveräner Umgang mit ihren Stimmen mit paritätischer Strophenverteilung und vereinzelter Zeilenverstärkung als auch in gegenläufigen chorischen Harmonien oder paralleler Melodieführung. Während Siobhan Donaghy mit ihrer Stimme und der Art zu singen britisches Understatement und eine Prise Folk einbrachte, zog Keisha Buchanan eine Ebene Soul und RnB unter, und Mutya Buena zentrierte das Ganze mit deepem Poptimbre.
Dennoch versprach „Overload“ auch mehr Konsens als das Debüt-Album „One Touch“ einlösen konnte. Die lakonische Coolness findet sich allenfalls noch in der unterspannten Uptempo-Nummer „Lush Life“, aber dieser Song war nicht mal eine Single. Das Album ist keinesfalls misslungen, aber es beinhaltete keine Hits mehr für Teenager oder Indiellektuelle - geschweige denn einen Zweiten, der beide Hörerschaften ansprach. Und so verlor ihr Plattenlabel „London Records“ das Interesse an den Sugababes. Zeitgleich verliess Siobhan Donaghy das Trio aus privaten Gründen, und die Sängerin Heidi Range nahm ihren Platz ein.
Heidi Range stand von vornherein für einen anderen Popentwurf oder sagen wir lieber einen anderen Berufsethos: Pop als Dienstleistung. Range war einige Monate zuvor schon kurzzeitig Mitglied bei der Formation „Atomic Kitten“, die zeitgleich dann einen deutlich gestyllteren Popentwurf verfolgte. Mit hohem professionellem Anspruch nahm Heidi Range nun aber die ihr zugewiesene Rolle bei den Sugababes ein, und ihr Verzicht auf größere Individualisierungs-Eskapaden an der Seite der mitunter exzentrisch uncoolen Mutya Buena und Keisha Buchanan legten den Grundstein für den kommerziellen Erfolg, ohne dass das Image der lakonischen alternativen Girl-Group Schaden nahm. „Island Records“ roch den Braten und gab dem Trio einen Vertrag über mindestens zwei Alben. Das erste, „Angels With Dirty Faces“, erschien Anfang 2002. Es ist eine höchst unterhaltsame, clever abwechslungsreiche Pop-Platte. Schon die Vorab-Single „Freak Like Me“ schaffte wieder den schweren Spagat zwischen Mainstream-Format-Radio und Futter für Pop-Connaisseure. Der Track ist ein Mash-Up aus zwei Songs: „Are friends electric?" des 80er-Electronic-Pioneers Gary Numan aus dem Jahre 1979 und einem Hip-Hop-Soul Song der Rapperin Adina Howard au dem Jahre 1987, der ebenfalls „Freak like me“ heißt. Mit der Single überführten die Sugababes einen frühen Trend der Musikbearbeitung auf dem Computer in den Mainstream, den so genannten Bastardpop, bei dem zwei oder mehr Hits miteinander fusioniert werden.
Überhaupt enthält dieses zweite Album einige Kabinetts-Stückchen des Bubble-Pop, die sich heute noch brillant anhören: Das getragene, ultracoole „stronger“ mit dem scharfen Schlagzeug-Beat auf einer Ballade, das nach Triphop und „Massive Attack“ klingt, (und ein feministischer Aufruf zu mehr Selbstbewusstsein und Ehrlichkeit ist), oder die Überschreibung von Stings „Shape
of my heart“, die bei den Sugababes einfach nur „Shape“ heißt, eine Ballade, in der der abwechselnde Gesang sich trotz niedrigem Tempo fast rappend rhytmisiert, wodurch eine rätselhafte Schönheit entsteht. Mit dem dazu gehörigen retro-futuristischem Rokoko-Musikvideo, in dem die drei Sugababes Kleider tragen, deren Bustiers aus umherflatternden Schmetterlingen bestehen, wird erstmalig ein Paradigmenwechsel sichtbar. Zwar bleibt die britische Beiläufigkeit noch Bestandteil des Images, aber der Popentwurf wird jetzt glamouröser zelebriert und dahin gehend inszeniert. Auch andere Videos sind nun von großer Opulenz und stylischer Ästhetik. Signifikant für diesen bewussten Twist im Erscheinen des Poptrios ist eine kurze Szene in dem erwähnten Video zu „shape“: Ein gockelgangiger Mann mit Federschmuck versucht Mutya mit dem Radschlag wie ein Pfau zu beeindrucken. Mutya ringt sich darauf allenfalls ein müdes Lächeln mit Augenaufschlag ab.
Die beiden stärksten Lieder des Albums „Shape“ und „Stronger“ führen dann auch zutage, dass die Zurückhaltung von Heidi Range diese gleichzeitig ins stimmliche Zentrum der Chorsätze und des paritätischen Zeilenpingpongs gerückt hat. Ranges professioneller Arbeitsethos wird zum Fundament des Klangbildes der Sugababes. Die hemdsärmelige, eher zufällige Sound-DNA der Sugababes, das saubere Nebeneinander dreier Charaktere und echo- wie tremolofreier Stimmen, das aus dem Hip Hop entlehnte Ineinanderfliessen von Stimmreihung und chorischen Effekten auf flächig breiten Pop-Synthies mit Folk-Gitarren und RnB-Beats wurde mit Heidi Ranges bürohaftem Popfleiss anwendbar und und so zum Rezept eines gelungenen Sugababes-Songs. Diese Sichtbarwerdung einer Art Pop-Formel hat letztlich zur Folge, das die Sugababes jenseits ihrer Sängerinnen auch als Idee einer Formation im Pop-Markt Bestand haben. Zwar wird eben diese Idee, wie wir noch sehen werden, in der Folge auch fortwährend beschädigt, erweist sich aber mit der Übernahme des Namens Sugababes durch die drei Gründungs-Mitglieder im Jahre 2019 letztlich als nachhaltig und stabil.
Zunächst wird auf dem nächsten Album, dass die Nummer der Studioalben-Zählung im Namen trägt, und also „three“ heißt, die Dominanz von Heidi Range deutlich. Der Hit-Pop wird zum über allem schwebenden Ideal in der Ausrichtung. Die Charts sind noch relevant im Jahre 2003, und das Konstrukt der alternativen Girl-Group, welches ursprünglich Gründungsethos und Alleinstellungsmerkmal des Trios war, wird vom Pop nach Vorschrift abgelöst. Das funktioniert teilweise auch trotzdem noch ganz gut: Der gitarrengriffige Singalong-Hit „Hole In The Head“ holt fast schon Britpop in den Sound, „In The Middle“ ist eine veritabler Synthiepophit, und die Idee „Quand j’ai peur de tout“ von Patricia Kaas für den Film „Love actually“ auf Englisch zu covern, ist auch nicht blöd. Dennoch bleibt „Three“ in der Summe eine Platte ohne Ambitionen, und sie hat auch keine Höhepunkte wie die ersten beiden Alben - die Umbesetzung mit Heidi Range anstelle von Siobhan Donaghy hat zunächst zum künstlerischen Zenith nun aber auch zur beginnenden Erosion der Idee und der Formation Sugababes geführt.
Das vierte Album „taller in more ways“ wird dann das erste des Trios, das man getrost vergessen kann. Gut, einen Ultra-Ohrwurm wie „Push the Button“ muss man auch erst mal hinkriegen, aber das war’s dann auch schon. Die Songs wirken uninspiriert, der souveräne Umgang mit den Stimmen der drei Sängerinnen, sei es in der Abwechslung oder im chorischen Satz, ist verloren gegangen, und weder das britische Understatement noch das zuvor durchaus feministische Selbstbewusstsein finden sich wieder. Das was jenseits der jeweiligen Mitglieder die Sugababes ausmachte, ist nicht gepflegt worden, und Mutya Buena erkennt diese Situation und schmeisst entnervt hin. Die vier der 11 Songs auf Album Nummer Vier, in denen Buena die meisten Solo-Parts sang, werden rasch in der neuen Besetzung neu eingesungen; die Neue im Bunde hieß Amelie Berrabah.
Mit dem Dreiergespann Buchanan, Range, Berrabah wurden dann neben dem halben Album noch die beiden Platten „Change“ (2008) sowie „Catfights & Spotlights“ (2010) veröffentlicht. Beide Platten überführten den Bandnamen zwar erfolgreich in ein weiteres halbes Jahrzehnt seiner Existenz, aber wirkliche Perlen oder gar Impulse gingen von diesen künstlich am Leben erhaltenen Sugababes nicht mehr aus. Nachdem mit Keisha Buchanan Mitte 2009 das letzte verbliebene Gründungsmitglied das Trio verließ und diese durch Jade Ewen ersetzt wurde, kann man nur noch von einem Verrat an den eigentlich geretteten Bandnamen und seinem dahinter steckenden Popentwurf sprechen. Die auf dem siebten Album veröffentlichen Lieder sind seelenlose Tracks, die den Namen Sugababes verschmutzen. „Get Sexy“ zum Beispiel ist eine Bankrotterklärung von Pop an sich, eine Eurodancenummer, die partout sexy sein will, und nicht einmal mehr die Sporen einer Melodie enthält. An diesem Punkt nun wurde nun der Name Sugababes gerettet, in dem das Projekt 2011 zunächst für beendet erklärt wurde - zum Glück muss man sagen.
Bereits 2012 gab es einen halbherzigen Versuch der Gründungsmitglieder einer Reunion unter dem freilich nicht ganz griffigen Namen „Mutya Keisha Siobhan“. Die hatten zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht die Rechte an dem Namen „Sugababes“ - aber das scheint sich jetzt geändert zu haben. Zwar ist das in der „Graham Norton Show“ präsentierte Lied "Flowers" auf einer vom britischen „DJ Spoony“ kuratierten Dancefloor-Compilation zu hören und fungiert unter dessen Namen featuting Sugababes. Was wir da aber hören, einen triphoppigen Hybridbeat unter geloopten Streichern, parallele Stimmführung im Refrain und paritätische Aufteilung der Strophen - es scheint durchaus, als wäre diesem DJ Spoony und den neuen alten Sugababes die Zutatenliste eines gutes Sugababes-Liedes bekannt. Zudem scheint weitere Musik in Vorbereitung, denn auf die Frage, ob es die Reunion nur anlässlich dieses Feature gäbe, sagten die drei, Nein, man arbeite derzeit an „etwas“, denn schliesslich werde ihr Debüt-Album 2019 zwanzig Jahre alt;
und auf Nortons Frage, woran man denn da arbeite, bestätigten sie dessen Mutmaßung, er handele sich vermutlich nicht um Schokolade oder ein Auto. Man darf also gespannt sein.
Vielleicht wäre es geschickt gewesen für dieses Comeback auch Heidi Range mit an Bord zu holen, die nach Keisha Buchanan die zweitlängste Zeit Mitglied dieses Trios war, das vielleicht auch als Quartett funktionieren würde. Aber dass der Name noch erhalten ist und trotz einiger Kratzer wie gesagt auch jenseits der Tatsache, wer gerade mitsingt, für einen Popentwurf steht, ist die hübsche Geschichte einer Charts-Band, die es nun noch mal in der Ära der Postcharts versuchen will. Der Popticker freut sich darauf.
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