Im Nullerjahrzehnt ist Pop durchsichtiger geworden
Als 2002 Christina Aguileras Album „Stripped“ erschien, hatte Madonna noch die Hohheit über die Tempi der Pop-Imageverschiebungen. Die Queen des Pop hatte für ihre Karriere eine Strategie entwickelt, bei der sie sich für jede neue Platte eine neue temporäre Erscheinungsfigur ersinnt, zwischen der und einer diffusen realen, privaten Madonna sich ihr jeweiliges Image aufspannt. Madonna schlüpft nicht in Rollen, hinter denen sie verschwindet, sie präsentiert sich vielmehr als Madonna, die sich derzeit wie ein Cowgirl kleidet und erratischen Elektropop singt. Aguilera nun katapultierte diese Imagekampagne in ein neues Poptempo und zeigte sich für jede neue Single in einer neuen Erscheinungsfigur: Kam sie in „dirrrty“ ungeheuer dirrrty daher, zeigte sie sich in „Beautiful“ als verletzliche Teenagerin, um dann in „(nothing) can‘t hold us down“ als neofeministische Streetworkerin in einem Nichts von Streetwear den Strassenjungs den Kopf zu verdrehen und zu waschen, und als nächstes zeigte Videoregisseurin Floria Sigismondo Christina Aguilera als Gothic-Käfer, der mit übergrossen Reisszwecken im Rücken zu Öl zerläuft und dann in weissem Federkleid eine Wand rauf läuft. Aguilera verschoss ihre Munition zu Beginn des Jahrzehnts, welches nicht zuletzt die Frage aufwirft, wie eine solch grandiose Sängerin mit einem derartig famosen Album im Rücken auf so eklatante Weise ihr Popgespür verlieren konnte, denn seit „stripped“ pflastern kommerzielle wie künstlerische Flops ihren Weg.
Insofern könnte man zwischen „stripped“ und ihrem letzten Album „bionic“ aus dem Jahre 2010 auch ein wenig die Popgeschichte der Nullerjahre sichtbar werden lassen, denn während Aguilera zu Beginn des Jahrtausends fast schon das Mass aller Popdinge war, rannte sie 2010 einer Dame namens Stefania Joanne Angelina Germanotta alias Lady Gaga hinterher: In dem Video zu „not myself tonight“ ahmte Christina des gagaschen Stil einer übersexualisierten, weiss gehaltenen Fetischwelt nach. Das Lied war allenfalls überambitionierter Elektropop, kaum besser als der Pop von Gaga, wo Aguilera doch eigentlich einer des besten Sängerinnen dieses Planeten ist. Was war geschehen? Lady Gaga hatte im Grunde der Imageverschiebungstempoverschärfung von Aguilera noch einen drauf gesetzt und walzte in eineinhalb Jahren und mit eineinhalb Alben alles nieder, was ihr den Weg bereitet hatte. Gaga begnügte sich nicht mit einem Image pro Single, sie drehte Musikkvideos von 20 Minuten länge, um nach vier Wochen schon wieder einen neuen Clip zu lancieren, sie ignorierte den Tod von MTV und betrieb in einer Art Raubbau am eigenen Körper eine feindliche Übernahme der Popwelt, und bei ihrer plötzlichen Omnipräsenz fiel kaum auf, dass der Soundtrack ihrer öffentlichen Aufmerksamtkeits / Hyperaktivitätsstörung ein äusserst mässiger Eurodance ist, der noch nicht einmal all zu ambitioniert produziert ist.

In den psychischen und physischen Zusammenbrüchen, die Gaga aufgrund eines Pop-Burnouts erleidete, wurde auf einmal die zutiefst vergrabene, tatsächliche Person hinter all dem Mummenschanz sichtbar, und wenn Gaga oft als die neue Madonna gepriesen wird, so drängt sich durch ihre zunehmende Zombiehaftigkeit eher der Eindruck auf, dass sie der neue Michael Jackson ist. Zumindest ist der Umgang, den Madonna mit ihrem Körper pflegt, diametral konträr zum Raubbau den Gaga an ihrer Gesundheit betreibt. Während Madonna in den letzten zehn Jahren, um zehn Jahre jünger geworden zu sein scheint, alterte Gaga in zwei Jahren um derer fünf. Doch soll es hier nicht um gesundheitliche Aufklärung für Popstars in den Nullern gehen: Halten wir fest, dass die Beschleunigung, die Gaga sich und den Popmechanismen abverlangte, dazu geführt hat, dass die Strategie hinter dem ganzen Spiel, dass das Spiel an sich sichtbarer geworden ist. Was Gaga tatsächlich von Madonna übernommen hat, ist die Blosslegung der Mechanismen von Popmusik, und -kultur. „We all watch the actor acting“ sang Robbie Williams in seinem Lied „the actor“ von der am meisten unterschätzten Platte dieses Jahrzehnts „Rudebox“, und dieses dem Spieler beim Spielen zusehen, ist möglicherweise die massgebliche Entwicklung von Pop in den Nullerjahren, während zudem in dieser Entstehung einer Binnenironie wohl auch eine Parallele zur künstlerischen Disposition der Hochkultur liegt, in denen ähnliche Erzählstrategien erprobt wurden: War es in den 90ern schick sich wahlweise auf Dekonstruktionen oder auf traditionell lineare Erzählweisen zu berufen, entwickelte sich insbesondere im Theater eine Form der Darstellung, in der die Ironie zum sich nicht distanzierenden Element wurde. Die Popkultur zog in dieser Tendenz zur Binnenironie in den Nullern nach, und dies nicht zuletzt deswegen, weil sowohl seine ProtagonistInnen als auch deren KonsumentInnen also HörerInnen im Durchschnitt älter wurden: Popmusik hören heute auch bzw. vor allem die über 30jährigen, welche eine gewisse Durchsichtigkeit der Verheissungen und Funktionsweisen von Pop durchaus goutieren.
Die grosse Meisterin des durchsichtigen Pops war in diesem Jahrzehnt die in allen Belangen Durchsichtigkeit praktizierende Kylie Minogue. Ihr „Can‘t get you our of my head“ soufflierte ihr die Zutaten für eine Popmusik, die nie mehr sein wollte, als sie war, allerdings manches mal weniger interessant geriet, als Kylie sich vielleicht erhoffte. Als Kylie in Michel Gondrys Geniestreich-Videoclip zu „Come into my world“ immer wieder aus derselben Wäscherei kam, an der sie auch immer wieder vorbei lief, bis die Gruppe auf 5 Kylies angewachsen war, sah man einerseits an den gerenderten Kylierändern, dass Kylie digital vervielfacht wurde, andererseits wirkte das ganze so natürlich und organisch, dass man die Idee akzeptierte, es mit einer Strassenecke zu tun haben, die theoretisch unendlich viele Kylie Minogues hervor bringen könnte. Im Prinzip funktioniert so das ganze Kylie-Prinzip: Man sieht immer die Absicht und in den Zutaten schon das Rezept und das fertige Gericht: We all watch the actor acting, um in diesem speziellen Falle nicht zu sagen „We all watch the Kylie kylieng“.
Im "SpielerInnen beim Spielen zusehen" (der Brechtsche V-Effekt des Pop, wenn man so will), ergaben sich allerdings nicht nur Imagestrategien von Blockbusterpopsängerinnen wie Kylie, Beyoncé, Madonna, Britney oder Christina Aguilera, die neue, mögliche Binnenironie der Popmusik schuf andererseits auch eine Nische für Songwriterinnen, die sich am Buffet der offen gelegten Popmechanismen respektlos bedienten, um ihre Musik zu popularisieren: Autorinnenpop. Vorreiterin dieses Genres war Lily Allen mit ihren mittlerweile zwei Alben „Alright, still“ und „It‘s not me, It‘s you“. Allen singt darauf in sozusagen britischer Tradition vom Grossen im Kleinen, wobei sie das Grosse, den übergreifenden Zusammenhang nie selber all zu sehr bemüht. Sie begnügt sich, mit freier Schnauze von sich zunächst als Teenagerin, später von sich als Popsängerin zu bloggen und zu singen, und fand in Greg Kurstin (von dessen Band „The Bird & The Bee“ später noch die Rede sein wird) einen kongenialen Partner, der mit ihr den bewussten und selbstbewussten Pop, der Lily Allen vorschwebte, suchte, fand und auf den Leib produzierte. Das war auf der ersten Platte ein dem Ska entlehnter, fröhlicher Sound und auf der zweiten ein ein wenig elektronischeres, eklektischeres Popgerüst, und bei beiden Entwürfen stand der teils krasse und wunderbare Widerspruch zwischen sehr desillusionierten Texten und ihrer leichten, fröhlichen Umsetzung, der man niemals Schwermut unterstellen könnte, im Vordergrund. Lily Allen fand so zu grossen Popwundern - etwa die Londonode „LDN“ mit diesem fast latinohaften Beat, auf dem Lily ihr Credo sang, das ihre Popmusik gleichzeitig zu beschreiben scheint: „When you look with your eyes, everything seems nice, but if you look twice, you could see it‘s all lies.“ oder das nicht minder grossartige „22“, welches die ganze geballte Unsicherheit ihrer Generation auf einen Pop-Punkt brachte, der zugleich traurig und tanzbar ist.
Auf den Pfaden dieses Autorinnenpops, in dem ich das „i“ bewusst klein schreibe, weil ich keinen männlichen Vertreter dieser Popmusik gefunden habe, folgten Lily Allen noch Kate Nash, deren britisches Understatement dem von Allen sehr ähnlich ist, desgleichen Feist (nun gut, die war teils auch schon vor Lily Allen aktiv), die Norwegerin Annie, die Synthesizerfetischistin Little Boots, die US-Amerikanerin Lissie oder zuletzt deren Freundin Ellie Goulding, die vielleicht am konsequentesten eine mainstreamtaugliche Popmusik verfolgt, obgleich sie mit ihren Liedern und ihrer Stimme auch jede Fussgängerzone beschallen könnte und musikalisch gesehen Pop gar nicht nötig hätte. Die Autorinnen dieses Autorinnenpops stehen stellvertretend für eine Sehnsucht des Underground nach Pop und Mainstream und ihr umgekehrtes Äquivalent - der Sehnsucht des Mainstreams hinter der Musik zu verschwinden, wie man es Robbie Williams attestieren kann oder vielen PopsängerInnen, die sich bis zur Unkenntlichkeit verkleiden, um ja die auftretende Person von der privaten zu unterscheiden. Interessant ist diesem Zusammenhang auch die schwedische Popsängerin Robyn, die sich aus dem Majorplattenvertrag nach einigen Hits heraus kaufte und ihr eigenes, unabhängiges Plattenlabel gründete, auf dem sie seither veröffentlicht, ohne aufzuhören zu betonen, wie sehr ihr die neuerlangte, künstlerische Freiheit gut täte, nach der man ihr zuvor seitens der Musikindustrie klare Vorgaben machte, wie ihr Pop zu funktionieren habe. Die Sache ist nur: Ihre jetzige Musik, bei der sie sich bewusst und selbstbewusst für Pop entschieden hat, ist mit der, die ihr offenbar die Musikindustrie als 17jährige abverlangt hat, weitestgehend identisch. Ihr von ihr empfundener aber kaum hörbarer Wandel steht insofern prototypisch für dieses Popjahrzent, in der das gesamte Poparchiv potentiell jedem zur Verfügung steht und reproduzierbar erscheint, und keine Industrie mehr ihren Stars erklären muss, was sie tun müssen, um Erfolg zu haben.
Diese Erklärungsfunktion übten Mitte des Jahrzehnts noch Produzenten aus, im gewissen Sinne als Scharnier zwischen Star und Industrie, und einige von ihnen hatten so detaillierte Vorstellungen von Pop, dass ihre Entwürfe die, die sie ausübten, überstrahlten. So entstand vor allem in Amerika eine Popmusik, deren wahre Stars in der vermeintlich zweiten Reihe sassen. Das Produzententeam „The Neptunes“ hatte über drei, vier Jahre zum Beispiel ein Abonnement auf die amerikanischen und damit globalen Singlecharts. Es war nahezu egal, wen sie produzierten, alles, was sie anfassten, wurde zu Gold und Platin, und ihre Stilsicherheit wirkte genreübegreifend durch, egal ob Hip Hop, Soul oder Diskopop, ihre Beats und computergenerierten Songflächen funktionierten für Kelis, Snoop Dogg, Gwen Stefani, Britney Spears, Justin Timberlake - um nur einige zu nennen. Ein ebenso goldenes Händchen bewies Timbaland, der für teils dieselben genannten Stars produzierte, der in seiner besten Zeit jedoch ein noch deutlicheres Gespür für seine ProtagonistInnen hatte und 2004 die für mich grossartigste Hip Hop-Platte des Jahrzehnts schuf: Bubba Sparxxx‘ „deliverance“, für die die beiden Südstaatencountry
mit Hip Hop-Beats fusionierten. Als letzter Mohikaner des Produzentenpops dürfte Kanye West gelten, der allein durch die Tatsache, inzwischen hauptsächlich seine eigenen Platten zu produzieren, für die Tatsache steht, dass es heute keine Vermittlerfunktion zwischen Musikindustrie und Star in Form von Produzenten mehr braucht. Währen die Neptunes von heute auf morgen plötzlich keinen Hit mehr verbuchen konnten, verhedderte sich Timbaland in mittlere Alben von Nelly Furtado oder der Boyband OneRepublik.
Über Robbie Williams wiederum in seiner erwähnten Suche, als Popstar zu verschwinden, könnte man im Laufe des Jahrzehnts auch sagen, er habe eine Mischform zwischen beiden zuletzt erwähnten Poptrends versucht, um Popmusik zu machen: Einerseits hat er immer einen Produzenten, bzw. Co-Songwriter an seiner Seite gebraucht (meist Guy Chambers, bei seinen schwächeren Platten Steffen Duffy, bei seinem besten Album „rudebox“ mit verschiedensten Partnern), um seine Entwürfe zu Songs zu formen, andererseits hat er sich zu jederzeit an Zutaten des Autorinnenpopbuffets bedient, um sich zu zeigen und gleichzeitig hinter sich selber und seiner Musik zu verschwinden. So hat sich Robbie als Hase gezeigt, sich in den Mond geschossen, Manu Chao gecovert, als Mitglied der Pet Shop Boys imaginiert, bis auf Haut und Knochen ausgezogen, und zuletzt sind seine
Ex-Homies von Take That bei ihm eingestiegen. Seinen inneren Kampf schilderte er am Eindrucksvollsten in seiner Arbeitsbiografie „free“ und in dem Video zu „She‘s Madonna“, in dem er sich als Drag-Queen verkleidete, die in verschiedenen Rollen in Nachtbars auftritt, wobei der diffus echte Robbie eine Figur von vielen zu sein scheint, in die er / sie schlüpft. Williams ist kurioserweise dann am Stärksten, wenn man sein Bemühen, authentisch zu wirken, scheitern sieht. Denn hinter diesem Scheitern scheint dann eben doch der auf, der scheitert, und da Williams auch noch den an sich anachronistischen Rockstar verkörpert, der stellvertretend für seine Fans durch Himmel und Hölle geht, hat dieser in der Ferne doch authentische Robbie auch öffentlichen Bestand.
Gleiches könnte man über Britney Spears sagen, die in den Nullerjahren vor aller Augen zum tatsächlichen Menschen reifte, es aber nie verstand, dies auch in ihrer Musik zu formulieren. Was von ihr in diesem Jahrzehnt bleibt, ist somit nicht durch persönliche Schicksalsschläge gereifte Musik, sondern die Erkenntnis, dass diese Frau selbst in an Wahn grenzenden Zuständen, herrlich belanglose Hits zu repräsentieren versteht. Sie hat in diesem Sinne eben durchaus auch Grösse gezeigt.
Anders als die vielen Castingsternchen dieses Jahrzehnts, die alle auf die eine oder andere Weise verglüht sind, denn bei allen Ansprüchen auf Authentizität fehlt es den öffentlich Verheulten meist an der Grösse, als Popstars wirklich dauerhaft interessant zu wirken. Die einzigen beiden Ausnahmen bilden in meinen Augen erstens Will Young (britischer Pop Idol-Sieger von 2002), der es mit versiertem, queerem Mainstreampop zu einigen wahren Pop-Perlen brachte, und der es von der ersten Sekunde als Star an verstand, seine an sich absurde Situation als Instant-Promi in interessanten Konstellationen zum Schillern zu bringen, bis er zum tatsächlichen Popstar gereift war; und zweitens natürlich Lena Meyer-Landrut, die Deutschland mit anfänglichem wie Unter-der-Dusche-singen gereift durch versierten Musikgeschmack von intelligentem, meist britischem Pop in Sturm nahm und danach gar mit einem veritabel mittelmässigen Lied den Grand Prix gewann. Ihr hype-funktionales Album deutete Potential für einen längerfristigen Popentwurf an. Es war wiederum Robbie Williams, der im Hype der Castingshows und in Zeiten von YouTube die Sache auf den Punkt brachte, indem er in erwähntem „the actor“ verkündete: „In the future everyone will be anonymous for fifeteen minutes!“.
Ein zentraler Poptopos des Jahrzehnts war der möglicherweise lesbische Kuss. Erfunden von t.A.T.u. 2003, konfisziert von Madonna 2005, besungen von Katy Perry 2008 zog sich das Bild von küssenden Mädchen als zentrales Symbol durch den Maistreampop, und vielleicht ist dieses Symbol auch deswegen so bekannt geworden, weil es ein Jahrzehnt des vornehmlich weiblichen Popmusikerinnen war. Während t.A.T.u. allerdings den Gestus der potential unverständlichen Teenagerinnen, die unverstanden bleiben möchten, kultivierten, war er für Madonna nur Affekt einer beleidigten Leberwurst, für Christina Aguilera und Britney willkommener Anlass, um mit Madonna auf einer Bühne zu singen, und für Katy Perry nur eine Refrainzeile. Mir als Popticker ist dabei das Original am Liebsten, und „all the things she said“ von t.A.T.u. ist und bleibt mein äusserst ungeheimes, heimliches Lieblingslied dieses Jahrzehnts.
Meine Lieblingsplatte wiederum ist und bleibt wohl noch einige Zeit über 2010 hinaus Camilles formales Konzeptalbum „Le Fil“. Diese Platte steht gleichzeitig stellvertretend für einen anderen Trend, hinter dem die Sehnsucht nach Authentizitätsprinzipien durchsichtigen Pops durchscheinen: Pop nach eigenen Regeln. Peter Gabriels Coverprojekt „scratch my back“ entstand unter dem Dogma: Keine Gitarren, kein Schlagzeug, und in der Beschränkung fand er zu einer nicht mehr Pop zu nennende Minimalmusik, welche wiederum tolle Popsongs in ihren inneren Effekten von Text und Harmonie sezierte. Mark Ronson, der mit erst mit Amy Winehouse und dann mit Funky-Retrosoul-Coversongs und einer Menge Bläsern einen Trendsound schuf, belegte sich für seine zweite Platte selber mit einem Blechbläserverbot. Camille wiederum schuf sich für ihre Platte einen Grundton, der sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, und in diesem aberwitzigen Vorhaben könnte man eine Einschränkung vermuten, in Wirklichkeit aber tat sich in Beachtung der eigens aufgestellten Regel eine Freiheit auf, die einem Meisterwerk die Tür öffnete, wie ich es in den letzten zehn, zwanzig Jahren nicht wieder sehe:
Camille nahm den Grundton von „Le Fil“ (ein "h") zum Anlass sich in vokalakrobatischem Humor durch Pop, Jazz, Chanson, Gospel und was nicht alles zu singen. Auch das Nachfolgeralbum „Music Hole“ bestach mit durch Regeln erlangte, künstlerische Explosion: Auf der Platte finden sich ausser Klavier keine wirklichen Instrumente. In der Beachtung eigener Pop-Regeln stellt sich auch wieder der für diesen Text, welcher keinerlei Ansprüche auf Vollständigkeit erhebt, titelgebende Effekt ein: We all watch the actor acting.
David Gieselmann 20.12.2010 - überarbeitet 17.02.2011 & 29.11.2011
Meine Platten des Jahrzehnts, unsortiert, unvollständig
Camille / Le Fil
Modest Mouse / good news for people who love bad news
Christina Aguilera / stripped
Dixie Chicks / taking a long way
Darren Hayman / table for one
Robbie Williams / Rudebox
Lily Allen / Alright, still
Kate Nash / Made of Bricks
Jovanotti / Buon Sangue
Gorillaz / Demon Days
Morrissey / You are the Quarry
Camille / Music Hole
Bubba Sparxxx / Deliverance
MC Solaar / Mach 6
Jovanotti / Il quinto mondo
Björk / Vespertine
Robbie Williams / Sing when you‘re winning
Vampire Weekend / Vampire Weekend
Peter Gabriel / Scratch my Back
One Giant Leap / One Giant Leap
t.A.T.u. / 200 km/h in the wrong lane
Saint Etienne / Tales from Turnpike House
Paul Simon / Surprise
Darren Hayman / Pram Town
Of Montreal / Hissing Fauna, are you the destroyer?
Arcade Fire / Neon Bible
M / le bapteme
Vanessa Paradis / Divinidylle
Laura Veirs / Year of Meteors
Morrissey / Ringleader of the Termentors
Mumford & Sons / Sigh No More