Giovanni Zarrella hat ein Identitätsangebot angenommen, und Boss Hoss haben dem Genre-Karaoke-Cover entsagt
Genre-Karaoke ist ein Spielart des merkantilen Pops, bei dem sich Interpret:innen ein bestimmtes Musik-Genre zu eigen machen und in diesem dann Songs aufnehmen. Dann gibt uns Robbie Williams zum Beispiel den Rat-Pack-Crooner samt Swing-Orchester oder Jam Delay spielt Reggae. Es gibt aber auch ganzheitliche Bandkonzepte, die auf der Idee des Genre-Karaoke beruhen: The Baseballs“ spielen bekannte Pophits als Rockabilly-Songs, Señor Coconut implementiert südamerikanische Rhythmen in Klassiker der 70er, und die „Postmodern Jukebox“ spielen Hits als Jazz, Bebop, Swing oder Bluegrass - an diesen Beispielen kann man schon ablesen, dass diese Pop-Genre-Aneignungen vor allem durch Cover-Versionen funktionieren, und der Popticker hat für diese Sub-Sub-Spielart schon öfter den Begriff Genre-Karaoke-Cover verwendet.
Womit wir bei Giovanni Zarrella und seinem lupenreinen Genre-Karaoke-Cover-Album „Per Sempre“ wären, welches zwar bereits im letzten Jahr erschienen ist, nun aber um einige Songs erweitert noch einmal neu veröffentlicht wird. Zarrella singt hier Hits vor allem aus den 80ern und 90ern als Italoschlager - der Soundentwurf entspricht heutigen Eurodance-Schlagern im post-Atemlos-Standard mit italienischen Texten. Dabei funktioniert die alte, vom Popticker postulierte Mechanik, nach der wir im Pop das Neue wieder-erkennen, hier gleich auf zwei Wegen, und eben dies ist beispielhaft für Genre-Karaoke-Cover: Wir erkennen den Schlager wieder, wir erkennen eine vermutlich recht deutsche Variante Italiens wieder, und wir erkennen die Songs wieder - sei es „Angels“ von Robbie Williams („un angelo“), „careless whisper“ von George Michael („stretti fino al mattino“) oder „quit playing games“ von den Backstreet Boys („non puoi lasciarmi cosi“) - und doch ist das, was wir wieder erkennen, neu, denn in seiner Kombination ist es eben noch nie zuvor da gewesen.
Natürlich ist dieser Soundtrack für jede mittelgute Pizzeria ein auf den Markt zugeschnittenes Produkt, eine Dienstleistungsmusik für die Italien-durstige Bundesrepublik, aber was diese Musik verspricht, löst sie dann eben auch ein - will sagen: Dieses Album ist auf seine Art bescheiden, weil es auch wirklich nicht mehr behauptet zu sein, als es ist. Giovanni Zarrella, einst bei „Popstars!“ gecastet und dann in der Formation „Bro’sis“ bekannt geworden, irrt seit einigen Jahren nun schon durch die deutsche Medienlandschaft, bis schliesslich die Schlagerszene das getan hat, was sie so irrsinnig gut kann, nämlich verirrten Popseelen ein Identitätsangebot machen. Und Zarrella hat gesagt: Her mit der Identität. Das kann man natürlich moralisch verurteilen, aber meine Güte: Mit irgendwas muss auch ein Giovanni Zarrella sei Geld verdienen
Doch zurück zum Genre-Karaoke: Wir fragil es sein kann, auf diesem Konzept, eine ganze Band aufzubauen, kann man nunmehr bei Boss Hoss sehen, die ihren Stadioncountry einst mit Coversongs kreierten: Sie spielten dann Britney Spears mit kunstfigürlichen Cowboyhüten und zogen ihren Howdie-Sound derart in die Breite, dass er zum Mitgröhlen und Stagediving einlud. Dann aber haben sie das Covern ausgesetzt und eigene Songs geschrieben, und von da an ging’s bergab, denn für diesen, ihren Popentwurf Songs zu schreiben, erweist sich spätestens auf ihrem neuen Album „electric horsemen“ als Himmelfahrtskommando: Was hier die ursprünglichen Hit-Cover beim Genre-Karaoke ersetzt, kann mal schwerlich Song nennen - das sind, nun ja, allseits bekannte Akkordfolgen, auf denen samt und sonders jeweils die absolut nahe liegendste Sing-Melodie ruht. Musikalisch hat man eine Art Techno untergehoben, so dass Boss Hoss nun klingen, als würde David Guetta „Truck Stop“ covern - absolut furchtbar. Wer also Zarrella hinter den Mond wünscht, weil er sein Lächeln dem Schlager verkauft hat, der höre sich diese unsägliche Boss-Hoss-Platte an, und schon muss man Giovanni Zarella für den Move gratulieren, das Beste der 70er und 80er als Italopop zu singen: Boss Hoss haben ihr Genre Country-Rock verraten, und sie covern nicht mehr, und siehe da: Es ist überhaupt keine Substanz mehr da, die ein Album rechtfertigen würde.