Der Popticker verbeugt sich vor Jovanotti und seinem neustem Meisterwerk „ORA“
Seit 17 Jahren verfolge ich die Musik von Jovanotti, und das Erscheinen eines neuen Albums ist jedes mal ein ganz besonderes Ereignis für mich - bei allen sieben Studioalben weiss ich noch, wo ich sie gekauft habe und in welcher Stimmung ich sie jeweils das erste mal gehört habe. Das eigentliche Faszinosum an seiner Musik ist die Beständigkeit seiner Wiedererkennbarkeit in Kombination eines bestimmten Sounds, die er jeweils für ein Album erfindet, um gleichzeitig die Grenzen von Pop jedes mal neu auszuloten. Die Stilsicherheit des eigenen Stils in ständig neue Musikrichtungen auszudehnen, und dabei den individuellen Klang des Albums nicht zu vergessen ist eine Gabe, die in dieser Form bei keinem mir bekannten Popsänger derart ausgeprägt ist.
Der Sound des neuen Albums „ORA“ ist dann auch erst einmal eine Überraschung: Sphärisch und elektronisch wie nie kommt Jovanotti auf einmal daher, er bewegt sich mit seiner neuen Musik an merkwürdigen Grenzen zum Eurodance, zur Italodisco, zu Kylie Minogue und 80er-Dancepop - bleibt aber immer sich und dem jovanotti-esk fröhlichen Pop, den er einst aus italienischem Hiphop generierte, treu. Merkwürdig straighter Stadionrock löst dann auf einmal ganz andere Assoziationen aus, und auch die typische Jovanotti-Klavierballade, die er rührend und romantisch wie niemand sonst singen kann, darf nicht fehlen, ohne dass sie die Idee des Albums als solches in Frage stellt. Als ich die ganze Platte das erste mal durch gehört hatte, war mein Gefühl dann auch: Danke! Danke, so sehr an Pop zu glauben, Danke für diese Ideen, die Jovanotti immer auf einem Album mehr hat als manch einer sein ganzes Musikerleben lang.
Auf dieser wunderbaren Platte gibt es ein paar Stücke, die für mich heraus ragen: Die erste Single, der sphärisch-groovige Ohrwurm „Tutto l‘amore che ho“ mit dieser bestechenden, leicht variierten Melodielinie der Strophe und diesem trotzigen Beat, der erst nach 75 Sekunden einsetzt. Dann das mit wunderbaren Orchestersatz und ironisierendem Synthie-Spinettsolo beiläufig-kitschige „L‘elemento umano“. Und weiter hinten auf diesem Album der Skatrack „Quando sarò vecchio“, der wie eine Mischung aus Lily Allen und Paolo Conte sowie Adriano Celentano klingt und der in Kombination mit dem Italodiskoflirt des Albums daher kommt, als wolle Jovanotti gleich die ganze Popgeschichte Italiens miteinander versöhnen, was, wenn es einer kann, nur Jovanotti Lorenzo kann.
Leider reicht mein Italienisch nach vier Tagen mit dieser Platte noch nicht aus, um näher auf die Texte einzugehen, das werde ich sicher noch tun, aber ich kann jedem Leser des Poptickers nur zur Jovanottileidenschaft raten: Es macht so grossen Spass, diesen Ausnahmemusiker zu verehren.
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