Ein neues Album von Paul Simon
Paul Simon hat eine neue Platte heraus gebracht, und man erfährt davon so gut wie nichts, und ich muss sagen, dass mich das ärgert. Wenn er ein unverbesserlicher alter Mann wäre, der mit den Zeiten hadert und alles dumm findet, könnte man diese popjournalistische Ignoranz vielleicht noch verstehen, aber die hypemaschinelle Blindheit, dass man jemanden wie Paul Simon links liegen lässt, weil man ihm eh nix mehr zutraut, das ist schon ein starkes Stück.
Dieses Album heisst „so beautiful or so what“, und es ist nicht unverbesserlich, zynisch oder altersmilde, diese Platte ist souverän, wunderbar, gross. Paul Simon hat sich über all die Jahre musikalische Versatzstücke aus der ganzen Welt und aus vielen Zeiten angeeignet und jongliert inzwischen gekonnt mit Fremd- und Selbstzitaten, ohne je über die Stränge zu schlagen und unglaubwürdige Weltmusik daher zu musizieren. In seinem entspannten Grundklang verwebt er merkwürdigst rhythmische Ungetüme aus ursprünglichsten Popmusiken der ganzen Welt, indische Tablas und Sitars, Gitarrenlicks aus dem Afropop, Klavierintros aus dem Blues, zieselige Streicher-Arrangements aus der Filmmusik, und es bleibt immer das, was es ist: Paul Simon auf dem Höhepunkt seines musikalischen Schaffens.
Worauf er sich immer verlassen kann, ist sein Songwriting - Peter Gabriel nannte ihn kürzlich anlässlich seiner Coverversion von Simons „Boy in the bubble“ den „vermutlich grössten lebenden Songschreiber“, und auch auf seiner neuen Platte erweist er sich als musisch-lyrischer Meister, der in zwei, drei Zeilen Situationen, Zustände, Empfindungen beschreiben kann, für die andere Romane brauchen, und die man, wenn man sie liest, nie in der Eigenschaft des Songtextes erkennt: Sie stehen für sich, reimen sich selten, und doch werden sie zu Liedern, wenn Paul Simon sie singt. Was er auch wieder macht, das hat er schon auf der Poptickerplatte des Jahres 2006 getan, ist, sein Schreiben beim Schreiben oder beim Singen, je nach dem wie man will, zu thematisieren - eine Dopplung, die in fast keiner Kunstgattung so richtig funktioniert, aber wer sich Simons neues Lied „rewrite“ anhört, wird überzeugt sein, dass es beim Liederschreiben funktioniert: Ein Lied über das Überarbeiten, das genau wie alle anderen Songs auf dieser Platte, einen für Popmusik leider viel zu selten gewordenen Effekt hat: Man hört zu. Man will den Text verstehen und die Musik, die ihn transportiert, entschlüsseln. Dem entsprechend kann man nach zwei Tagen mit dieser Platte auch noch nicht alles über sie sagen, was über sie gesagt werden sollte, aber angesichts der blamablen Tatsache, dass über dieses Album bislang noch fast nirgendwo etwas zu lesen war, (man belehre mich eines Besseren), sei auch schon jetzt gesagt: Die neue Platte von Paul Simon ist ein formvollendetes Meisterwerk.
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