Lenasche Post-Popwettbewerbs-Phase
Des Ellenbogens Hintertür

Pop ist Behaupten der eigenen Angesagtheit

David Brandes kauft seine eigenen CDs 

Hinweis: Dieser Text handelt vom so genannten Charts-Skandal im Jahre 2005. Der Musikproduzent David Brandes hatte nach Sat1-„Akte05“-Recherchen zugegeben von ihm produzierte CDs gekauft zu haben, um die entsprechenden Alben und Singles in die Charts zu hieven. Aufgrund eines neuen Textes über die Bedeutung der Charts (Veröffentlichung in den nächsten Tagen) habe ich diesen Text hier noch einmal eingepflegt, da er zudem die schreckliche Pre-Raab-Ära vor der Lena Meyer-Landrut-Zeitrechnung der deutschen Eurovision Songcontest-Beiträge behandelt: Gracia trat 2005 mit dem Brandes-Titel „Run & Hide“ beim Grand Prix an und wurde Letzte. Dieses Lied war auch durch gezielte Eigenkäufe in die Charts manipuliert worden und auch dadurch erst für den Grand Prix nominierbar geworden.

Wenn sich ein Popmusikproduzent selber in die Charts kauft, ist das Ziel seines Handelns, in den Charts zu verbleiben, ohne dafür weitere CDs selber kaufen zu müssen. Diese Handlung entspricht zunächst einmal einem Grundgestus potentieller Charttitel: Das stete Behaupten der eigenen Angesagtheit ist ein wesentliches Charakteristikum von Pop. Die Charts nun bilden ab, welche Lieder in der letzten Woche angesagt waren, wie viel Aufmerksamkeit ihnen zuteil wurde; und sie verheißen in dieser Funktion wiederum das Erzeugen von Aufmerksamkeit: Aus einer guten Chartposition ergibt sich zumeist eine höhere Rotationsquote in den Musikwerbepausen der Klingeltonsender, bei Radiosendern, (die umgekehrt in manchen Ländern auch wieder zu höheren Chartpositionen führen), sowie Auftritte in Chartshows wie Top of the Pops. In diesem Sinne kann man David Brandes, welcher von sich selber produzierte Musik in großer Stückzahl kaufen ließ, nur Recht geben, wenn er sagt: Das macht doch jeder. Denn natürlich versucht jeder gute Manager von Musik, auf die von ihm gemanagten Titel aufmerksam zu machen, auf daß hieraus ein Selbstläufer entstehe; nicht jeder aber kommt auf die Idee, seine eigenen CDs zu kaufen, und das liegt wohl eher nicht daran, daß es so kompliziert ist, das System der Chartermittlung zu überlisten, es liegt ganz einfach daran, daß es wesentlich bessere Ideen gibt, den Schneeball der Aufmerksamkeit anzustossen.

Tim Renner beschreibt in seinem Buch "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm" die immense Wichtigkeit, die dem Fernsehen beim Verkaufen von Musik im Laufe der 90er Jahre zufiel, wie sich das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Musikindustrie und TV ­ Sendern um 180° gedreht hat. Die Fernsehsender waren lange Zeit der Ansicht, es erhöhe ihre Attraktivität, wenn in ihren Sendungen Popstars auftreten, bis sie begriffen, daß es auch umgekehrt die Attraktivität von Popstars steigert, tauchen diese im Fernsehen auf. Das Fernsehen kam so auf die Idee, Aufmerksamkeit nicht nur kaufen sondern vielmehr zu verkaufen. So gesehen haben die Fernsehsender dieselbe Entwicklung durch gemacht wie die Charts: Beide sind von Aufmerksamkeitsermittlern zu Aufmerksamkeitszuteilern geworden. Das Fernsehen als handelnde Größe allerdings ist diesen Weg freiwillig und vor allem Dingen auch noch einen Schritt weiter gegangen: "Wenn wir Aufmerksamkeit zuteilen können", so sagten sich die Fernsehmacher "wäre es eigentlich noch klüger, uns gehörten auch die Objekte auf die wir diese Aufmerksamkeit verteilen." Und so wurden die Fernsehsender zu Musikmanagern eigener Popstars. Das erste Objekt dieser Wertschöpfungskette durch die Aufmerksamkeitszuteilung der Fernsehsender war Sarah Connor: 1999 begann RTL in unzähligen Sendungen zu behaupten, die blonde Detmolderin sei ein Popstar, und zwar so lange, bis sie es tatsächlich war. Das Marketingmodell funktionierte so gut, daß sich die Fernsehsender fragten, ob man aus der Entscheidung, von wem sie behaupten könnten, er sei ein Popstar, auch noch Geld machen könnte und sie erfanden die Castingshows. Die Aufmerksamkeitskapitalisierung hat in diesem Geschäftsmodell seinen Höhepunkt gefunden, glücklicherweise kollabierte es aber auch an Übersättigung des Marktes.

Gracia_Baur_-_Germany_2005You better run and hide: Gracia


Nun aber fragt der Popticker: Worin unterscheidet sich der von David Brandes engagierte Gracia-CD­Käufer strukturell von dem Käufer, der sich, nachdem er wochenlang von einer Castingshow befeuert wurde, die CD einer Band namens "nu pagadi" kauft? In beiden Fällen existiert die Behauptung: Seht her, dieser Interpretin wird Aufmerksamkeit zuteil. Nimmt man einmal den Aufwand, den ein Fernsehsender inzwischen betreibt, um die Aufmerksamkeit zu kapitalisieren, als Maßstab, so hat das Aufkaufen der eigenen CDs schon fast wieder ein charmantes Understatement, man könnte sagen, David Brandes handelte getreu der Maxime: Back to the roots. Natürlich gibt es doch einen kleinen Unterschied zwischen dem behaupteten Käufer eines Brandes ­ Produktes und demjenigen, der sich ohrwurmgeschädigt "we have a dream" von DSDS kauft: Letzterer setzt sein eigenes Geld ein, während der organisierte Kunde das Geld von David Brandes verbrät, und das ist der einzige Grund, warum man den scheinbar freiwilligen Käufer eines Liedes für relevanter und repräsentativer hält, als denjenigen, der im Auftrag kauft. In wirtschaftlicher Hinsicht spielt jedoch im Spiel um behauptete Angesagtheit das tatsächlich für Musik eingesetzte Geld eine eher untergeordnete Rolle. Greift man noch einmal das Beispiel der Debutsingle "sweetest poison" der aus der dritten "Popstars!" ­ Staffel hervor gegangenen Band "nu pagadi" auf, so muß man nämlich sagen, daß geschätzte, höchstens acht bis neuntausend Käufer der Single nichts sind verglichen mit ebenfalls geschätzten 2,5 Millionen Zuschauern der finalen "Popstars!" ­Show, von denen sicher auch ein Drittel Geld dafür gezahlt hat, um per Anruf die Band zusammen zu stellen. Die Geldsumme, die durch den Singleverkauf eingenommen wurde, sind ein Bruchteil dessen, was die deutsche Telekom nach diesem Abend an PRO 7 gezahlt haben wird. Somit war der Erfolg der Single, die es eine einzige Woche auf Platz 1 schaffte, für den Erfolg der Sendung letztlich vollkommen irrelevant; allerdings mit einer für die in die Band gewählten Karaokesänger höchst relevanten Folge: "nu pagadi" sind einige Monate nach ihrem Entstehen bereits zurecht Vergessenheit anheim gefallen. Am Gründungsabend sprach der zu diesem Zeitpunkt noch designierte Produzent der später entstandenen Formation die Worte: "Was wir hier heute Abend erleben, das hat es in Deutschland so noch nicht gegeben." Und der früherer Nena- Keyboarder Uwe ­ Fahrenkrog Petersen hatte Recht mit dem, was er da sagte: Diejenigen, die am darauf folgenden Montag in den Laden rannten und sich das beschissenste Lied 2004 zu kaufen, sind meiner Meinung nach mit viel unlauteren Methoden zum Kauf überredet worden, als die die David Brandes engagierte. Wenn Petersen sich nun ebenfalls in den Chor derer einreiht, die mit dem Finger auf Brandes zeigen und sich über dessen Betrugsversuch aufregen, kann man nur sagen: Halt dein verlogenes Maul.

Es ist im Grunde also schon schade, daß David Brandes so ein schleimiger Dummkopf ist, der fast so schlechte Musik macht wie Uwe Fahrenkrog ­ Petersen und dessen Schlagerkomponist Lukas Filbert ­ denn sonst könnte man das Aufkaufen der eigener CDs lustig und als Kunst ansehen: Die Idee des in die Charts ­ Kaufens folgt nur auf besonders dreiste Weise einer grundlegenden Strategie von Popmusik.

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