So ist es
24. Mai 12
Heute vor 30 Jahren, am 19. Mai 1986, erschien es, vor 29 Jahren kaufte ich mit „So“ von Peter Gabriel das für mich grossartigste Pop-Album aller Zeiten
Das hat neben einer Reihe von musikalischen auch biografische Gründe: „So“ war die erste Platte, die ich kaufte, weil ich davon überzeugt war, dass das gute Musik ist. Bis dahin hatte ich mich noch sehr nach dem Geschmack und Empfehlungen meiner Schwester, meiner Eltern oder von Mädchen, die ich toll fand, gerichtet, aber mit Peter Gabriel und „So“ traf ich zum ersten Mal eine Entscheidung, um meinen eigenen Geschmack zu behaupten. Und die daraus resultierte Leidenschaft für „Peter“ hat bis heute gehalten - nicht nur kaufte ich in den 80ern nach „so“ die früheren Solo-Platten von Peter hinterher („car“, „scratched“, „melt“ „live“, „birdy“) und weitete meinen Horizont dann bis zu den Gabriel-Genesis aus, um bis heute noch alles zu kaufen, was von ihm noch erschien, und nicht nur sah ich jede Tournee mindestens einmal, nein, ich nahm auch die Fährten anderer Musiker auf, die auf „So“ zu hören waren: Kate Bush, Youssou N‘Dour“, Manu Katché oder Produzent Daniel Lanois. „So“ war die Herkunft vieler - wenn nicht gar aller - musikalischen Leidenschaften meiner inzwischen doch recht ansehnlichen Plattensammlung.
Was meiner Meinung nach ein gutes Album im klassischen Sinne ausmacht, ist dass es auf zwei Weisen wieder erkennbar ist: Einerseits als Werk der InterpretIn oder der Band, andererseits als Sammlung von Liedern, die im Sound und ihrer Reihenfolge einen Sinn ergeben, der sich vom sonstigen Schaffen dieser InterpretIn abhebt und eben den Rahmen des „Albums“ abstecken. Die acht Lieder auf „So“ erfüllen diese Wieder-Erkennbarkeiten - sie stehen für die disparaten Kräfte der Musik Gabriels - der Suche nach dem einen pointierten Popsong einerseits, dem kunstvollen, kryptischen Art- und Konzept-Pop andererseits, -ebenso wie für den Versuch, einen Klang zu schaffen, der jedes Lied als Teil des „So“-Sessions aufweist. Dazu gehören auch einige grossartige Songs, die es dann aus dramaturgischen Gründen nicht auf das Album geschafft haben - wie das Duett mit Laurie Anderson „this is the picture (excellent birds)“, das Beat-Ungetüm „Don‘t break this rhythm“ oder das fast schon literarisch-sphärische „Curtains“ und andere. Diese Songs haben auch diesen einerseits pointierten, andererseits flächigen, unglaublich präsenten und druckvollen Raumklang, den Daniel Lanois und Peter Gabriel für „So“ geschaffen haben, und bei dem man sich, wenn man ihn heute hört, fragt, was sie daran noch für die im September erscheinende Jubiläums-Edition remastert haben. Und trotzdem verzichtete Gabriel bei genannten Lieder darauf, sie auf das Album zu pressen (sie sind allerdings in der Deluxe-Variante auf iTunes dabei und werden vermutlich auch auf erwähnter Jubiläums-Edition sein).
Das Original-Album nämlich beschränkte er auf acht Songs, vier auf jeder Seite, die er in einer Reihenfolge baute, welche einen dramaturgischen Zusammenhang herauf beschwören, der „So“ tatsächlich in den Stand eines Kunstwerkes hebt (ergänzt durch die bahnbrechenden Visualisierungen von fünf dieser acht Song als Musikvideos). Der Opener „Red Rain“ mit seinem schneidend einleitenden Hi-Hat-Tickern von Stewart Copeland und dem regnerischen Bass-Gewitter von Tony Levin klingt in Melodie und Textführung wirklich wie roter Regen, und wer sich dann mit dem berühmt berüchtigten „Sledgehammer“ mit seinem gestochen scharfen Bläsersätzen und diesem unwiderstehlichen Beat weiter der Platte hingibt, wird sich womöglich auf einem 70er Soul-Album wähnen. Diesen Eindruck kassieren dann der epische Hoffnungschimmer-Strohhalm „Don‘t give up“ im Duett mit Kate Bush und der kryptisch in Musik gegossene Alptraum „That voice again“, welcher am ehesten an den frühen Solo-Peter-Gabriel erinnert - mein persönliches Lieblingslied auf „So“. Dreht man die Platte dann um, begründet Gabriel mal eben im Handumdrehen die Weltmusik: „in your eyes“ als eines der vielleicht schönsten Liebeslieder, das je geschrieben wurde, fusst auf einem leicht afrikanischem Hybrid-Rhytmus von Percussion und Schlagzeug (beide gespielt von Manu Katché), der sich jeweils in Bridge und dann den Refrain ergiesst - kongenial austariert von zurückhaltedem Gitarrenspiel. Ich kann mich tatsächlich noch an die ersten Hörerlebnisse mit diesem Song erinnern, an jenen Moment natürlich auch, als aus der Ferne auf einmal die Stimme von Youssou N‘Dour auftaucht - damals gab es noch kein Internet, und es bedarf einiger Recherche-Energie, um heraus zu finden, wer das da war. Mein damaliger Theater-Leiter wusste es, er hatte sogar einige senegalesische Tapes, die er mir überspielte, die ich bis heute hüte wie ein „So“ flankierenden Schatz. Auf der Platte, die uns hier beschäftigt, folgt dann das anmutige, flächige, lyrische „Mercy street, bevor man dann noch mal in den Tanzhimmel geschossen wird: „Big Time!“. Mit „We Do What We‘re Told (Milgram‘s 37)“ beendet dann das vielleicht merkwürdigste Lied auf diesem Album den Geniestreich „So“. Blubbernder Synthiebeat und scharfe Gitarren formen das Fundament für die von einem Schulchor eingesungene Titelzeile, welche in diese kurze Aufzählung von Gabriel gesungen mündet: „One doubt, one voice, one war, one truth, one dream“, welches dann in die Ferne echot und die Platte ausklingen lässt: Eine Platte klingt aus, ein Meisterwerk tritt ab - und doch besitzt jedes einzelne Lied genügend Alleinstellungsmerkmale, um ohne den Albumzusammenhang grossartig zu sein. An diesem Album stimmt wirklich alles, jeder Ton, jeder Sound, jedes Detail - ich liebe „So“ so, wie es ist.
das passende Filmchen dazu...
http://www.youtube.com/watch?v=dKBbK5QkGPY
Bestes Pop-Album der 80er - würd ich auch sagen und eines der besten ever...
Kommentiert von: Mario | 25. Mai 12 um 10:36 Uhr