St Sincent und David Byrne
„We wanted a brass-album“, sagt St. Vincent auf ihrer Website über die Platte, die sie mit David Byrne zusammen gemacht hat. Und das haben sie nicht nur gewollt, das haben sie auch in die Tat umgesetzt: „Love This Giant“ ist eine Ansammlung von Pop-Songs, die sich um Bläser-Sätze schlängeln. Dabei sind die Zusammenhänge zwischen den Bläser- und den Gesangsmelodien wirklich nicht den gängigen Popmusik-Schemen entlehnt - will sagen: Hier werden keine Riffs ausgebreitet, die sich um an Gitarren komponierten Moll-Dur-Akkorden-Songs orientieren. Eher scheint der Gesang aus den Zwischenräumen der Bläsersätze zu wachsen, und das ergibt eine völlig merkwürdige Melodik und Rhythmik. Gleichzeitig haben sowohl St Vincent als auch David Byrne genug Pop-Sehnsucht in ihrer Art und Weise zu singen und Musik zu denken, dass sich sozusagen auf zweiter Ebene wieder klassische Pop-Ohrwürmer an den Songoberflächen absetzen.
St Vincent hat meines Wissens, ich kenne sie nicht so gut wie David Byrne, noch nicht viel mit Bläsern gearbeitet. Ihr experimenteller Folk-Pop hantiert mit klassischen Band-Besetzungen und elektronischen Verfremdungen, in denen ebenfalls das Banale, das Poppige an der Musik in zweiter Instanz zu entstehen scheinen. Byrne hingegen hat immer wieder mit Bläsern zu tun gehabt. Sowohl in seinen südamerikanisierenden Platten „naked“ (noch mit Talking Heads) und „Rei Momo“, seine erste Solo-Platte. Diese Salsa- und Merengue-Zitate stolpern nun auch durch die Platte mit St. Vincent, aber die trockene Art und Weise der gleichförmigen Brass-Patterns scheint zudem von Minimal-Music inspiriert, auch wenn sie hier ganz und gar nicht minimal daher kommt. Ähnlich hat Byrne auch schon bei seiner Theater-Musik für Robert Wilsons „The Knee Plays“ grosse Bläsersätze komponiert. Er selbst nennt als Referenzen die „Dirty Dozen Brass Band“ oder das „Hypnotic Brass Ensemble“.
In ihrer surreal-poetischen Weise, Songtexte zu schreiben, ähneln sich Byrne und St Vincent durchaus, und so scheint die Zusammenarbeit auch hier durchaus logisch und fast zwingend: In „Who“ reihen sich die Fragen, wer etwas ist oder war in völlig irrwitzigen Beispielen; in „I am ape“ ist das singende Ich erst eine Statue, die an einen Krieg erinnern soll, dann auf einmal: Ein Affe. Das ist ebenso merkwürdig wie die polyrhythmische wie -melodische Struktur, und daraus erwachsen eben dann tanzbare Pop-Songs, bei denen man auf zweiter Ebene hinter die Wirkungsweise schauen möchte, aber nicht dazu kommt, weil man wieder auf ein Element stösst, dass man erst beim dritten oder vierten Hören realisiert hat. So kommt dieses Album nicht zur Ruhe. Eine ganz und gar grossartige Platte also, ein Meisterwerk, so weit das Jahr geschritten ist, für mich auch DER Platte-Des-Jahres-Anwärter.
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