Lenas viertes Album „Crystal Sky“
Der erste Song des vierten Albums von Lena gibt tatsächlich im klassischen Sinne eines Album-Openers die Richtung vor: Ausgepuderter, ausproduzierter, kompressierter Synthie(power)pop mit vielen Effekten und Sound-Summen-Bombast, der jeder 12,99€-USB-Box kurzzeitig der Illusion überlässt, sie sei eine Konzert-PA für Stadion-Beschallung. Was immer von diesem Konzept halten mag, ist es schon erst einmal überraschend, stand doch Lena an und für sich erst einmal für ein gewisses Authentizitäts-Konzept und im Popstil eher für britische Nonchalance und Direktheit. Nun aber wird sogar die Stimme durch verschiedene Sound-Booster geschossen, so dass sie als Schmiermittel im Klanghimmel eher auch als Klang-Element denn als Stimme funktioniert. Die Musik auf dieser Platte glänzt und funkelt und blendet im akustischen Sinne, und ich kann es drehen und wenden, wie ich will - ich habe es seit Mai immer wieder versucht mit diesem Album - aber mir gefällt es ganz und gar nicht. Immer wieder fühlen sich Hörer an Ellie Goulding erinnert, und leider stimmt das auch in dem Sinne, als dass hier mit elektronischen Sound-Effekten jede Subtilität in Grund und Boden produziert wird, wie es bei Ellie Gouldings letzten und wohl leider offenbar auch bei ihrem bald kommenden Album gemacht wurde.
Komisch. Und auch schade. Zeitgleich begeistern mich derzeit zum Beispiel zwei grossartige Synthiepop-Alben, die es trotz ähnlichem Sound-Ansprüchen trotzdem schaffen, dem Gesang Platz und Trockenheit zu bewahren: „MS Mr“s „How Does It Feel“ und Christine & The Queens „Chaleur Humaine“ (Ausführlicheres zu diesen beiden Platten einige Posts weiter unten in diesem Blog …) - und auch auf „Crystal Sky“ finden sich durchaus Beispiele, in denen das Ganze ausgewogener wirkt: Das Titel-Lied bleibt zurückhaltend und bei schön trockenem Beat mit klarer, wunderbarer Melodie ganz einem deutlich unwegefreieren Popentwurf verpflichtet, der Lena, wie ich finde, besser liegt; und „4 sleeps“ findet mit durchaus grossem Soundspirenzchen-Aufwand einen angenehm klaren Kitsch - im positiven Sinne.
Stellt sich natürlich die Frage, ob das was ausmacht. Antwort: Nö. Lena verzeihe ich gerne auch mal ein Album, das mir persönlich jetzt nicht so gefällt, denn bei allem Brimborium hat man trotzdem nicht das Gefühl, dass das jetzt auf ewig ihr Pop bleiben wird, und Lena ist und bleibt halt eine Suchende. Hatte sie sich auf der letzten Platte verstärkt auch als Songschreiberin versucht, probiert sich jetzt eben in internationalem Mainstream-Standards angemessenen Powerpop - gerne. Sie tut es eben in aller ihr eigenen Konsequenz, und das bleibt trotz persönlichen Missfallen bewundernswert.
Also, ich gebe Euch beiden ja auch irgendwie recht, aber wie man's dreht und wendet: ich mag's halt nicht so sehr. "Catapult" und "Home" sind allerdings wirklich toll, hab' ich mir jetzt auch noch mal angehört, und das der zweite Teil der Platte (bei mir, der ich die Vinyl-Version hab, also die Seite 2) besser ist, stimmt schon auch ...
Kommentiert von: David Gieselmann | 30. September 15 um 17:18 Uhr
> Hatte sie sich auf der letzten Platte verstärkt auch als Songschreiberin versucht ...
Lena ist bei 9 Songs am Songwriting beteiligt, genau wie beim letzten Album.
> ... probiert sich jetzt eben in internationalem Mainstream-Standards angemessenen Powerpop
Ist das wirklich Mainstream-Pop? Dann dudeln die deutschen Mainstream-Radio-Sender aber nicht die gleiche Art von Mainstream. Vergleichbare Sounds und einen vergleichbaren Kompositionsstil finde ich z. B. viel eher bei der amerikanischen Indie-Pop/R&B-Sängerin BANKS, die Lena auch schon als ein Vorbild benannt hat, als bei Ellie Goulding.
Ein bißchen habe ich den Verdacht, daß die anspruchsvolleren Hörer und Kritiker meist nicht über die erste Hälfte des Albums hinauskommen (wo sich die poppigeren, simplereren Titel befinden) und die interessantere und meiner Meinung dem Mainstream überwiegend sehr ferne zweite Hälfte übersehen, "Invisible" mit Dubstep-Elementen, die anrührende Ballade "Home" (eine ganz große Komposition, bei YouTube findet man eine Klavierversion), zu der man das bisher nur in der Fan-Box enthaltene Video gesehen haben sollte, und "Catapult" mit Kat Vinter und einem Rap-Part von Little Simz, das in England als Single veröffentlicht wird und derzeit in zahlreichen Indie-Blogs rund um die Welt sehr positiv aufgenommen wird (wir Deutschen bekommen statt dessen "Wild & Free" als Single ...).
Kommentiert von: ric | 30. September 15 um 00:32 Uhr
Danke für die klaren Worte. Auch wenn ich nicht in allem übereinstimme. Songs wie In the light, Catapult oder Home finde ich einfach stark. MS Mr. finde ich dagegen ziemlich langweilig, so auch den Auftritt bei Joko und Klaas Circus Haligalli.
Kommentiert von: Jeasy | 23. September 15 um 22:54 Uhr