Über Kunstfiguren im Pop - eine kleine Definition anhand von Romano, Alexander Marcus und Torsten Kretchzmar
In der neuen Intro zeigt Romano sein Köpenick. Ein Eiscafé zum Beispiel. Oder die Bäckerei Jänichen, wo Romano Kaffee, Erdbeerkuchen und einen Sekt bestellt. Das ist für ihn Köpenick. Die Fotostory ist gehalten wie eine Homestory, und die neue Platte von Romano, sein Debut-Album, trägt den Titel „Jenseits von Köpenick“. Könnte eigentlich total real sein. Aber irgendwie fragt man sich, wenn man Romano mit seinen hellblond akkuraten Zöpfen sieht, wie real er sich selbst meint und ob er nicht vielmehr eine Kunstfigur ist, die da rappt und eben Popmusik erstellt.
Dazu muss natürlich erst die Frage gestellt werden, wie wir eine mit den Mitteln und Medien der Popmusik inszenierte Kunstfigur definieren wollen. Der ein oder andere mag sich noch daran erinnern, dass ich in „All the things they said - t.A.T.u. und ihre Videos“ unter anderem von der temporären Erscheinungsfigur eines Popstars gesprochen habe. Das recht anschauliche Beispiel war dort Madonna, die zur Promotion ihrer Platte „Music“ zeitweise als Cowgirl auftrat. Zwischen dem Madonna Popstar Madonna und ihrer temporären Erscheinungsfigur „Cowgirl“ spannt sich so ein Popimage auf, welches dann, sobald sich Madonna wieder anders inszeniert, ähnlich fluktuiert wie die Erscheinungsfigur. Diese aber wiederum, die Erscheinungsfigur, ist per Definition temporär. Wer wie Christina Aguilera vor zehn Jahren oder aber Miley Cyrus heute die Erscheinungsfigur wechselt wie sein Hemd, erhöht also das Fluktuationstempo seines Images, wer aber eine Kunstfigur baut, der verlangsamt dieses Tempo eher. Die Kunstfigur ist zeitlich resistenter.
Nehmen wir als Beispiel Alexander Marcus dessen Realness bei geschätzten 4,2 % liegt, der also ganz sicher ein inszenatorisches Konstrukt ist (auch wenn er dieser These vehement widerspricht, aber das kann man wohl getrost auch als kunstfigurales Scharmützel ansehen), und die Figur „Alexander Marcus“ gibt es nun schon seit sieben Jahren bzw. vier Alben. Felix Rennfeld, wie Alexander Marcus in Wirklichkeit heisst, hat für die Konstruktion seiner Figur ein sehr detailreiches Zeichensystem erfunden, das die Wieder-Erkennbarkeit gewährleistet. Dazu gehört neben dem Rezept zu seiner Musik (also die Kombination von House- und Elektrosounds mit überspitzen und teils ins Dadaistische überführten Schlagertexten) auch ein Füllhorn an visuellen Running-Gags in seinen Videos - beispielsweise ein Globus, eine rosa Hose oder ein kaum zu ertragendes Kunstlächeln. Hinzu kommt eine bewusst billig gehaltene Gesamtästhetik in den Videos, die meist zum Ende hin von einer professionell choreografierten Tanz-Sequenz konterkariert wird.
An Alexander Marcus‘ Karriere kann man auch noch zwei weitere Punkte ablesen, die für die Kunstfigur im Pop kohärent erscheinen: Wer sie verkörpert, hat meistens eine musikalische Vorgeschichte, die nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat. Felix Rennfeld war ein mehr oder minder unbedeutender House- und Dance-Produzent, ehe er sich der Ausformulierung seiner Kunstfigur widmete, in die nicht zuletzt aufgrund dessen eine gehörige Portion Trotz und, mir fällt kein besseres Wort ein, ökonomische Egalheit einfloss - jedenfalls wäre die Dreistigkeit eines Alexander Marcus sicherlich nicht unter dem Druck unbedingten kommerziellen Erfolges zustande gekommen. Zweitens steht der Elektroschlagerstar Felix Rennfeld exemplarisch für das Schweigen jenseits der erschaffenen Kunstfigur, denn über Alexander Marcus spricht er nie, er spricht immer aus ihm.
Noch extremer hält oder hielt das der weitaus weniger bekannte aber in den Strategien durchaus vergleichbare Torsten Kretchzmar, der seine Aktivitäten zwar eingestellt aber doch immerhin etwa 5 Jahre sein kabarettistisches Popunwesen getrieben hat. Der Erschaffer dieser Kunstfigur hat das Sprechen über Kretchzmar selber komplett verweigert und beispielsweise Mails von mir auch als Kretchzmar beantwortet und sich darin empört, wenn sein wahre Identität angezweifelt wurde. Es liegt nahe anzunehmen, dass diese Figur eher von Menschen die in der freien Kunst tätig sind oder waren, erfunden wurde - (man höre sich nur einmal eines der letzten Lieder von Kretchzmar „Voulez Vous Make Avant-Gard Avec Moi, Faire Les Choses Dada“ an). Der humoristische Ansatz ist zudem kaum verkennbar: Kretchzmar singspricht in bizzarem Denglisch weitestgehend sinnfreie Texte, sein zentrales Werk „Entschlossenheit“ wiederum ist eine reine Aufzählung von Wörtern, die auf „heit“ oder "keit" enden; zu diesem Song gibt es zudem verschiedene interpretatorische Videos und Podcasts, in dem Text und Bedeutung dieses Blödsinns als höhere Gedicht-Kunst überhöht werden. Doch bei aller ironisch dadaistischer Kunst-Reflexion und Parodie, hört man hier professionell ausproduzierte Musik, die nicht aus dem Nichts gekommen sein kann, und die im ähnlichen Höreffekt wie bei Alexander Marcus einen trotzigen Pathos repräsentiert. Und zudem, womit wir bei einem weiteren konstituierenden Element im Erschaffen von Popkunstfiguren wären, erkennen wir hier zwanghafte Ironie im merkwürdiger Ko-Existenz mit einer sehr klaren Sehnsucht zur künstlerischen Seriosität, die man sich in erster Instanz nicht zuzutrauen scheint.
An dieser Stelle kann man wieder zum Köpenicker Romano zurückleiten, der in einem seiner Lieder übrigens beteuert, alle seine Freunde bekämen einen Klaps auf den Po - unabhängig davon kann man sich bei diesem merkwürdigen Pop-Protagonisten des Eindruckes nicht erwehren, es ginge ihm um etwas, um eine konstitutive Ernsthaftigkeit eben, der das Misstrauen innewohnt, ohne humoristische Rückversicherung nicht zu leuchten. Man könnte sämtlich erwähnte Kunstfiguren also in ihrem Flirt mit dem Schlager samt und sonders als Sehnsuchtsplacebo einer Post-Post-Ironie deuten, als eine Verzweiflung an den Anforderungen der Post-Ironie mit seiner Hintertür zur Ernsthaftigkeit, an der der Türsteher dann wieder die gute alte Ironie empfiehlt. Wenn die Binnenironie ein koheräntes Erzählmittel innerhalb eines künstlerischen Zeichensystems ist, das sich nicht explizit von diesem Zeichensystem distanziert, so gewinnt die Merkwürdigkeit, wie etwas gemeint sein könnte, wieder als schon traditionell ironische Distanz an Bedeutung.
Denn diese Frage, wie sie gemeint sein könnte, trägt jede Popkunstfigur mit sich - sie ist sozusagen die Grundkonstellation, durch die die Figur überhaupt erst sichtbar wird. Hätte Romano keine akkuraten Zöpfe, Torsten Kretchzmar nicht diese Philosophenbrille mit dem dahinter erscheinenden Schlafzimmerblick oder Alexander Marcus nicht dies unfassbar dämliche Lächeln, wir würden sie gar nicht erst sehen, oder sozusagen für nicht sehenswert befinden. In allen drei Fällen jedenfalls ist die Musik sicherlich nicht interessant genug, um ohne den scheinbaren Widerspruch zum Aussehen ihrer jeweiligen Protagonisten popsichtbar zu werden. Und wahrscheinlich gibt es sie eben auch, damit ihre Darsteller unsichtbar bleiben.
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