Michelle unterwandert den Schlager
Wenn ein Schlager-Album „anders ist gut“ heißt, dokumentiert sich im Grunde schon darin das Dilemma, in dem der Schlager steckt: Er kann durch seinen konstituierenden Bewahrungsanspruch nie all zu anders sein. Im gewissen Sinne hat Helene Fischer hier Pionierarbeit geleistet, indem sie den von Eurodance aufgesüssten Schlagersound als Blaupause für einen Popentwurf definierte, mit dem sich dann auch Pop und Rock covern liess, bzw. entsprechende Sounds und Effekte in den Schlager integrieren liessen. Was immer man also von Fischer halten mag, sie hat eben doch die Quadratur des Kreises vollbracht, den strengen Rahmen des Schlagers zu entgrenzen und so neue Hörer*innenkreise erschlossen. (Wie sie das genau gemacht hat, das hat Jens Balzer in seinem Buch „Pop“ exzellent analysiert) - aber hier soll es um jemand Anderen gehen: Michelle.
Deren neues Album, das am 23.10. erscheint, heißt wie zitiert „anders ist gut“, und wenn man sich das gleichnamige Titellied anhört, dann kann man schon sagen: Michelle profitiert vom entgrenzten Schlager nach der Rezeptur von Helene Fischer. Der Song ist jedenfalls eine Hymne an die Diversität. ein Bekenntnis zur Offenheit, und auch wenn diese Musik, so entgrenzt sie wie beschrieben sein mag, so gar nicht meine Wiese ist, so muss man doch anerkennen, dass dies hier ungewöhnliche Zeilen sind, wenn sie bei Silbereisen in der ARD zu hören sind: „Und bist du anders,Anders als die Anderen, Und all die Anderen, Sind anders als du, Denn wir sind anders, Anders als die Anderen, Jeder ist anders, Und anders ist gut Und anders braucht Mut“.
Wenn man fest stellen muss, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt auch jenseits von Corona als gefährdet beschrieben wird, da sich ein offenes, empathisches, soziales Miteinander und ein geschlossenes, abgegrenztes Gesellschaftsmodell unversöhnlich gegenüber stehen, dann sollte man die Wirkungsweise, wenn Michelle Offenheit besingt, als größer einschätzen, als wenn sagen wir Wolfgang Niedeckens BAP ein neues Album veröffentlicht. Das Video zu dem Lied ist dann zwar auch für meinen Geschmack unfassbar kitschig, aber ich bin auch nicht Adressat dieser Musik - sie erklingt in einer anderen Bubble.
Michelle hat nach Zusammenbruch, Privatinsolvenz und längerer Pause 2009 ein Comeback gewagt und danach das Zurückkommen ein wenig inflationär als Marketing-Instrument benutzt, aber wenn sie nun plötzlich andere Bubbles und Echokammern mit einem Bekenntnis zu Diversität und Gleichberechtigung beschallt, sei ihr das verziehen.
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