Suggestion ohne Subversion: Gedanken zu Deutschpop im Allgemeinen, dem von Mark Forster im Speziellen - und was das alles mit „Quadrophenia“ zu tun hat
Als ich in das Alter eintrat, in dem man anfing abends weg zu gehen, bot sich eine Welt mit Identitäts-Angeboten vornehmlich aus der britischen Popkultur: Mods, Waves, Popper, Punker und so weiter. Indem man bestimmte Stile nach aussen trug, machte man sie auch öffentlich - man kannte sie von den Menschen, die sie übernommen hatten, denn Internet gab es nicht, und die meisten Subkulturen fand man auch nicht in der Bravo. Allen diesen Angeboten gemein war ihre Subversion oder zumindest das Selbstverständnis, subversiv zu sein. Die meisten Menschen, mit denen ich enger zu tun hatte, und so auch ich, mischten sich aus einzelnen Elementen dieser popkulturellen Identitäten einen eigenen Cocktail, innerhalb dem man es schaffte, Nena und The Smiths zu hören; und hinter diesem kreativen Mix versteckte sich vermutlich auch eine Sehnsucht nach Normalität, mithin wohl Bürgerlichkeit - wir, die wir nichts in Reinform waren, waren wohl recht normal (und wirklich subversiv jedenfalls wollte ich nie sein - oder wenn dann allenfalls durch das Theater) Die identitätsstiftenden Leitidentitäten, aus denen wir in den 80ern unsere Popgeschmäcker und Styles zusammen suchten und bauten, gibt es heute de facto nicht mehr. Die ausindividualisierte Popkultur via Youtube und TikTok bündelt sich kaum mehr in bestimmten zentralen Pop-Erscheinungen, durch die sich dann plötzlich eine bestimmte Bewegung bildete und neuen Schwung bekam, wie das zum Beispiel mit der Subkultur der Mods und dem Film „Quadrophenia“ geschah. Allenfalls die Netflix-Serie „stranger things“ hätte vielleicht das Zeug dazu gehabt, einen melancholischen, kreativen Retro-Style für Teenager als Identifikationsmodell zu generieren, aber leider wurde diese Idee all zu schnell von „H&M“ über die Erträglichkeit hinaus kapitalisiert.
Role-Models also, so es sie also überhaupt noch gibt, sind heutzutage vielmehr selber bereits der kreative Mix, hinter dem sich die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit verbirgt, die Normalen, und insbesondere der Deutschpop hat jeglichen Anspruch an Subversion längt aufgegeben. Ein mögliches, männliches Basis-Modell der heute Mitte 30-Jährigen ist der flanellige Softie mit leichtem Vollbart, urbanen Hipster-Reliquien, Basecap, Brille und Turnschuh, in dessen besagtem, kreativem Mix Grunge der 90er, Rap der Nuller und eine Prise Indierock aus dem Jahre 2005 zu erkennen ist. Mark Forster hat diesen Typus perfektioniert und erfolgreich in eine Popstar-Figur überführt.
Wer diesen Popstar verstehen möchte, sollte sich vielleicht vor allem eine Folge „The Voice Of Germany“ ansehen. Frau sieht dort einen charmanten, irrsinnig schlagfertigen, meist unfassbar lustigen Zeitgenossen, der sich zum Beispiel auf dem Boden wälzt und eine Kandidatin anweint, sie möge nicht zur Catterfeld ins Team gehen, der eine Corona-Abstand überbrückende Pappzuschauerin zu seiner Freundin ernennt und fortan Zwiegespräche mit dieser Pappkameradin führt. Er lobt Kandidat*innen erstaunlich adäquat und pickt sich immer einen Punkt raus, den es zu kritisieren gibt, um an genau diesem Punkt sein Coaching anzubieten, er piesackt Kolleg*innen mit Gags und findet corona-hygiene-taugliche Formen der Euphorie, und zu Beginn der zweiten Folge sagt er grinsend in die Kamera: „An was wird man als Erstes denken, wenn man sich irgendwann an 2020 erinnert?“ - Pause - „Ganz klar: 10 Jahre The Voice Of Germany.“ - wenn Forster nicht wäre, man könnte das ganze Voice-Format wirklich vergessen.
Aber natürlich kommt man, wenn über ihn sprechen will, auch nicht umhin, sich seiner Musik zu nähern; also: Ein Mark-Forster-Song ist im Durchschnitt 3,5 Minuten lang und hat im Mittel klassische uptempomässige 100 Beats per Minute - das habe ich anhand von 15 zufällig ausgewählten Songs (Singles und Albumtracks) errechnet. Nahezu alle Lieder führen in den Credits mindestens 3, meistens 5, oft 7 und mehr Autoren - und zwar ausschliesslich Männer, das kann man schon als Armutszeignis bezeichnen. Die Songtexte beinhalten neben Vokabeln des klassischen Pop-Themas "Liebe" übermässig viele Zeitbegriffe: für immer, heute, jetzt, morgen, übermorgen, irgendwann, letzte Nacht - und so weiter. Zudem gibt es viele Bewegungen und Vehikel, die sich bewegen, in den Texten - Bus, Boot, fahren, rennen, schlurfen etc. Und last but not least sind Musik-Referenzen in den Texten übermässig stark vertreten: Chöre, singen, tanzen, summen - alles beliebte Topoi in den Lyriks. Und Mark Forster ist da natürlich nicht der Einzige - die genannten Textbausteine aus besagten Themenfeldern Liebe, Zeit, Bewegung und Musik sind quasi der Durchschnitt des Durchschnitts der Songtexte aktuellen Deutschpops.
Der Sound-Entwurf, der dem Forsterschen Pop zugrunde liegt, ist der von einer Band gespielte Synthiepop, der sich Anleihen aus dem Deutschrap, dem Schlager und dem Singer- und Songwriting einholt, geschickt Streicher und seltener aber auch gekonnt Bläsersätze einflechtet, B-Teile mit Uh-, Oh-, oder Ah-Chören schichtet, und auf die wesentlichen Harmonie-Effekte der Popgeschichte setzt. Die Melodien, das ist die Kunst, die hier wirklich gelingt, wirken niemals abgenudelt, sondern haben die entscheidende Mischung aus Wiedererkennbarkeit und leichter Überraschung. Mark Forster singt meistens entspannt im Plauderton die Strophen, um dann entsprechende Quartsprünge der Refrains noch ein wenig zu drücken und angestrengter zu ersingen.
In der Summe aus Durchschnitt und Durchschnitt kommt ein äusserst konsumerabler Gebrauchspop heraus, der Soundtrack für einen erträglichen Weg durch ein aber ohnehin schon erträgliches Leben, eine Gute-Laune-Dosis für Zustände, die man auch ohne diese Dosis aushalten könnte. Es gibt ein hübsches Video, in dem, wie ich das meine, sehr exemplarisch zu sehen ist. Das Lied heißt „sowieso“, und man sieht in dessen Kurzfilm den Schauspieler Milan Peschel an einem Tag, an dem alles zu misslingen scheint - Toaster kaputt, Marmelade auf dem Hemd, Auto eingeparkt, Kaffee im Büro leer und so weiter, bis Peschel aber im Büroflur ein zerknülltes Papier punktgenau in den Papierkorb wirft und der Protagonist ab dann gut gelaunt ist und tanzt - der Songtext erzählt im Grunde die gleiche Geschichte: „Ey stranges, kleines Leben, Verläuft auf Seitenwegen. … Ich bin geduldig und nehme zum Schluss die besten Karten. Und fällt der Jenga Turm, egal gib' mir Verlängerung. Halt neuer Plan dann, denn Leben ist Veränderung.“ - und dann der Refrain: „Egal was kommt, es wird gut, sowieso. Immer geht 'ne neue Tür auf, irgendwo. Auch wenn's grad nicht so läuft, wie gewohnt - Egal, es wird gut, sowieso.“ Mit Film und Song als solchem wird klar, dass die Forster-Formel weniger darin besteht, mit Popmusik Trost für zu Trostbedürftige zu spenden, als vielmehr Menschen, die sich in gewisser, bürgerlicher Zufriedenheit eingelebt haben, das Gefühl und die Illusion zu geben, Trost gebraucht und dann eben auch schon bekommen zu haben. Diese Popmusik generiert bei der Zuhörer*in ein sehnsüchtiges, melancholisches Gefühl, für das es dann gleichzeitig Mitgefühl liefert.
Darin besteht im Prinzip das Prinzip Forster und mithin die Wirkungsweise des Deutschpops im Allgemeinen: Empathie für die Hörer*innen, die vorher gar keine Emphase erwartet oder gebraucht hätten, mithin also das Gegenteil von subversiven Identifikationsangeboten - eher schon die unverstellte Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, nach der Chance mitzulaufen, nach Suggestion von Emotion. Das ist natürlich durchaus auch eine Kunst, der Effekt funktioniert, und man kann ein Lied von Mark Forster sehr geniessen. Es folgt daraus nicht viel, aber das macht doch nichts.
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