"... lasst uns ein Mosaik anfertigen": Der Popticker blickt auf ein merkwürdiges Popjahrzehnt zurück und beginnt mit der Liebeserklärung an das für mich schönste Album der Zehner . „an awesome wave“ von „alt-j ∆“
Eigentlich sind ja Breaks, das Wort kommt ja von Pause, das, wo der Beat pausiert und irgendwo anders rein kullert, bevor er dann weiter geht. Thom Green, seines Zeichen Schlagzeuger der Band „alt-j“, macht das irgendwie umgekehrt - manchmal zumindest hat man das Gefühl, dieser Drummer macht an sich immer eine Pause vom Beat und spielt vornehmlich Breaks und Synkopen, hinter denen sich der Beat dann doch trotzdem oder gerade deswegen hin und wieder zeigt. Hinzu kommt, dass Green merkwürdige Glocken, Klangstäbe und Gegenstände betrommelt. Daraus resultiert eine merkwürdig verschrobene Percussion, bei der man das Gefühl hat, die Band sitzt in der Küche und ausser auf der fluffig trockenen Snare wird vor allem auf Geräten und Töpfen geschlagen.
Joe Newman hingegen spielt auf einer E-Gitarre Power-Riffs ohne Distortion und verlangsamt wie ein zupfender Folk-Barde. Von der Akkordfolge, auf den die Songs von alt-j beruhen, scheint er zudem teils schon in der ersten Strophe abzuschweifen, so dass ähnlich wie beim Umgang mit dem Beat, das Lied niemals da anzukommen scheint, wo man es erwartet. Wenn ein Song dann aber doch einmal in einem Refrain einfährt, hat das um so mehr etwas Befreiendes. Als alt-j bei dem ersten Konzert, das ich von ihnen gesehen habe, „Mathilda“ von ihrem Debut-Album gespielt haben, sangen auf einmal 4000 Zuschauerinnen „this is for, this for, this is for Mathilda“, und dieser plötzliche Chor war für mich einer der euphorischsten Pop-Momente in diesem Jahrzehnt - wunderbar, das Musik so etwas kann.
Überhaupt Chöre. An sich ist Joe Newman ein Sänger, über den man auf erster Ebene erst einmal sagen könnte, er könne nicht singen. Er quengelt und näselt sich durch seine verqueren Texte, aber urplötzlich platzt wie aus einer Kirche durch die Küchentür ein Chor herein, und diese an Küchen angrenzenden Kirchen vermögen alt-j auch live herzustellen.
Drei Alben gibt es von dieser ganz und gar merkwürdigen Band, das Debut „an awesome wave“ aber ist das Werk, mit dem und auf dem sie ihren in allen Belangen seltsamen Popentwurf ausformulierten. Die Platte beginnt einem einem Intro, eine Klavier-Akkordfolge vom Keyboarder Gus Unger-Hamilton, auf der sich ein etwas verstörender Soundcluster türmt, ein etwas dadaistischer Text auch, der sich erst mit dem zweiten Track, ein „Interlude“, immer noch kein Song, in eine Geschichte zu fügen scheint - ein poetisches coming-of-age eines surrealen Mädchens in der Natur, oder aber es könnte auch um etwas völlig Anderes gehen - erst Track drei ist der erste Song, erst dieser erste Song bringt scharfe Unklarheit in die Verwirrung: „Bite chunks out of, you’re a shark, and I’m swimming. My heart still thumps as I bleed and all your friends come sniffing. Triangles are my favorite shape. Three points where two lines meet, Toe to toe, back to back, let's go. My love, it's very late. ’Til morning comes … Let’s tessellate.“ - ich habe das Lied bestimmt 50 Mal schon gehört und immer noch nicht verstanden, um was es geht, aber genau das empfinde ich als großartig.
Die Texte, die Joe Newman schreibt, visieren immer an, nichts anzuvisieren - der Weg ist gezielt, das Ziel ist weg, und wo ich eben noch eine sexuelle Anspielung in abstrakter Naturlyrik zu hören glaubte, leuchtet im nächsten Moment eine vollkommen asexuelle Geschichte eines Stierkämpfers auf: „Get high, hit the floor before you go / Matador, estocada, you're my blood sport:“ - wahrscheinlich ist dies das Geheimnis dieser Band, und der Grund, warum ihr verschrobener, vollkommen mainstreamfreie Indie-Folkrock, der in einer Studentenbutze entstanden ist, sogar in Stadiongröße funktioniert: Die Leerstellen in Beat, Struktur und Texten machen das Ganze durchlässig und fluffig, virtuos und wunderschön.
„An Awesome Wave“ ist für mich das großartigste Album dieses zu Ende gehenden Popjahrzehnts.
Kommentare