Ohr auf Deutschpop werfen - Folge 14: Neue Alben von Ina Müller, Klan, Ansa Sauermann, Feuerschwanz, Clueso und Saltatio Mortis
„Die Hörner hoch - auf gute Tage, wenn Thor den Hammer schwingt/ ruft all die Götter zum Gelage, wo der wahre Met entspringt!“ - so beginnt das neue Album der Band „Feuerschwanz“, die innerhalb des ohnehin schon seltsamen Genres „Mittelalter-Rock“ eine noch mal seltsamere Stellung einnimmt. Mann kann diesen randseitig erscheinenden, aber überaus erfolgreichen Popentwurf, Mittelalter und Rock zu fusionieren, grob in zwei Spielarten unterteilen: Die Bands, die das, was sie tun, mit heiligem Ernst betreiben, und diejenigen, die augenzwinkernde Ironie an den Tag legen - Feuerschwanz sitzen zwischen diesen beiden Stühlen: Sie betreiben heiligen Ernst mit vulgärer Ironie. Gegründet ist die Band eigentlich als Antwort auf die Humorfreiheit der Mittelalter-Szene, aber wenn man sich die Videos des neuen Albums „Das Elfte Gebot“ anschaut, ist man nicht mehr ganz sicher, auf was für eine Veranstaltung man hier eingeladen ist - ein wenig wirken Musik, Outfits und Storylines der Kurzfilme, als sei dieser Formation die ironische Überzeichnung des Mittelalterkonzepts hinten rum wieder in einen apoditktisch ernsten Eskapismus gekippt. So als sei das titelgebende elfte Gebot der Leitfaden zum Anschluss an eine Szene, die nicht verspottet werden möchte. Was wiederum schwierig ist, wenn sich die Drehleierspielerin der Band „Johanna von der Vögelweide“ und der Flötist „Prinz Hodenherz“ nennt. Diese Band übt in ihrer vollkommen rätselhaften Beklopptheit einen eigenartigen Reiz aus.
Die Kapitäne der Mittelalter-Rock-Szene sind „Saltatio Mortis“. Sie sind vielleicht ein wenig weniger seltsam als „Feuerschwanz“ und gehören auch eher zum „ernsten“ Lager des ritterlichen Rocks. Weitgehend ironiefrei versucht diese Band ihre Musik auch in der Jetztzeit zu verankern, indem sie gesellschaftliche bis politische Themen aufgreifen „Im Fernsehen läuft nur noch Weltuntergang / Hunger, Krieg, Korruption und Super-GAU / Was ich als Armageddon kenn', bringt mir heut wieder die Tagesschau / Was ist hier los, wo führt das hin? / Die ganze Welt dreht sich nur noch um Moneten/ Und ein Haufen irrer Clowns, völlig skrupellos, spielt mit Atomraketen“ - so hört sich das textlich an, und musikalisch zudem heben sie eine Punk-Attitüde unter. Wie darin klassisch mittelalterliche Melodielinien der Dudelsäcke, Drehleiern und Fiddeln von den metallischen Power-Riffs ablenken, hat ein Mass an Professionalität erreicht, die angesichts des Sub-Genres, wenn man es nicht gut kennt, relativ verblüffend wirkt. Im Fahrwasser dieser Virtuosität hat es der Sänger dieser Band, Jörg Roth, fast schon zu einem Popstar gebracht - seine Live-Gesten umarmen die Welt, und wer glaubt, diese Musik sei ein randseitiges Phänomen, dem sei nur rasch gesagt: Die letzten vier Platten von „Saltatio Mortis“ haben die Spitze der deutschen Charts erklommen. Das aktuelle Album „für immer frei“ kommt besonders komprimiert auf den Punkt - die Produktion katapultiert ein einheitliches rockistisches Klangbild ohne viel Details, in dem die angesprochene Virtuosität zu wenig zur Geltung kommt. Ihr vorletztes Album, „Brot und Spiel“, kam filigraner daher. Aber das wird der Hingebung der Fans keinen Abbruch tun - diese Band wird sehr geliebt. Und auch wenn ich nicht sehr viel damit anfangen kann: Durchaus zurecht.
Dass eine Musik derart amplitudenfrei zusammen gestaucht wird, das hat auch Clueso auf seinen neuen EP „aber ohne dich“ geschehen lassen. Leider aber sind ihm auch musikalisch die Feinheiten abhanden gekommen: Die vier Lieder auf dieser Veröffentlichung sind Allerwelts-Deutschpop fern der cluesoisch ironischen Melancholie, einfallslos daher musiziert und einer EP irgendwie nicht wert. Und wer nach „Menschen Leben Tanzen Welt“ ein Lied noch „tanzen“ nennt, da weiß man auch nicht. „Nein, es ist gar nichts okay (okay) / Für mich ist es sitzen bis spät (spät) / Für dich Disko-Realität / Ich warte, dass du ma' was sagst, doch / Du musst tanzen Du musst tanzen.“ - in der Ferne ein Sinn. So ein guter Musiker, aber was hat ihn da geritten?
Das Popduo „KLAN“ hat offensichtlich eine produktive Phase - gerade erschienen ihre beiden EPs „Winterseite“ und „Sommerseite“, die mit je acht Songs schon fast LPs sind, da haben sie für Mitte Dezember deren Bündelung zu einem Doppelalbum mit ingesamt 21 Songs angekündigt. Da soll noch mal einer sagen, junge Pop-Formationen dächten nicht in Alben. KLAN verfolgen einen recht abwechslungsreichen Popentwurf mit Folk-, Soul- und Synthie-Elementen, der durch lässige Beats gebunden und mit stoffeliger Lofi-Attitüde dargeboten wird. Man wird das Gefühl aber nicht los, dass Ideen und Know-How der beiden jungen Männer noch nicht ganz ausreichen, um diesen reichhaltig skizzierten Pop auszuformulieren. Dennoch hege ich Sympathien für diese Musik, weil die sehr hohen Ansprüche auch immer wieder mit merkwürdig ehrlicher Ironie abgefedert werden („Mein Label hat gesagt, ich sollte mal zu TikTok gehen:“) Zudem gelingen Balladen wie Dance-taugliche Gassenhauer. Ein bisschen Zeit braucht das Duo noch, aber in Zeiten, in denen die „Musikindustrie“ anfängt sich Bands zu leisten, die Zeit brauchen, ist das ja sogar beruhigend.
Blues mit orchestralem Pathos und deutschen Texten, der hin und wieder nach einer brauchbaren Rio-Reise-Cover-Band klingt, diesen merkwürdigen Spagat bekommt der Dresdner Ansa Sauermann hin, und damit nicht genug hat der Wahlwiener auch ein wenig Austropop in seinen Popentwurf integriert. Das Ganze klingt auf dem neuen, zweiten Album „Trümmerlotte“ trotz oder gerade wegen der Vielzahl hörbarer Einflüsse angenehm homogen und bierfreudig. Die dazugehörigen Texte sind hin und wieder ein wenig wie die Überwindung von Teenage-Angst eines Midtwenties, aber irgendwie funktionieren sie auch: „Ich steh' so da und mache mir Gedanken / Gedanken, die mich langsam isolieren / Vom zu viel Denken, kann der Schädel leicht erkranken / Das lass' ich besser sein.“ - ein Album, das Freude macht und immer bei sich bleibt und gerade deswegen auch über sich hinauswächst. Nice.
Drei Lieder gibt es bislang vom kommenden Album von Hamburgs Nachteule Ina Müller, und alle diese drei Lieder wirken ein wenig wie eine Brigitte-Kolumne. Was ja nicht falsch ist. Wenn man versucht, das nicht all zu theoretisch midlifig zu hören, bekommt man es mit einem sehr zielgruppen-fokussierten Gebrauchspop zu tun. Das Album heißt dann auch „55“ und somit gleich auch eine Alterseignung angegeben, und das Thema ist so in etwa: Eine 55-Jährige hadert mit der modernen Welt: „Jemand twittert irgendwas / Und am nächsten Tag ist alles nichts mehr wert / Einer sprengt was in die Luft / Weil ihn meine Art zu leben so sehr stört / Grenzenlos / Fluten mich die Bilder übergroß / Ganz egal, was auch passiert / Passiert ab jetzt auch immer hier“ - das ist schon alles ein wenig unsubtil aber man ja auch sagen: Auf den Punkt. Man wird nicht so richtig schlau draus, obwohl es recht schlau daher kommt. Und genau das gefällt mir irgendwie schon, auch wenn ich nicht so sehr mit dieser Musik gemeint bin. Vielleicht ist das ja Teeniepop für Menschen in der Midlife-Crisis.
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