Rea Garveys Pop glänzt durch Dinge, die nicht da sind
Wenn Popstars als Castingshow-Juror*innen arbeiten und im zeitlichen Umfeld ihrer jeweiligen Staffeln neue Platten veröffentlichen, wird oft darüber gespottet, ihre TV-Präsenz sei ja reine Promotion. Was natürlich irgendwie Blödsinn ist, denn was soll TV-Präsenz denn sonst sein? Oder anders gefragt: Welche öffentliche Entäusserung eines Popstars wäre denn keine Promotion? Dritte Variante derselben Frage: Gibt es überhaupt ein authentisches Motiv, Juror in einer Castingshow zu sein?
Rea Garvey jedenfalls ist derzeit mal wieder bei The Voice als Coach zu sehen, und: ja, es gibt auch ein neues Album von dem irischen Sänger; und so sehr ich keinerlei Vorwürfe erheben würde, wenn Garvey Talente coacht, um mehr Musik zu verkaufen: Es gibt doch einen Widerspruch darin, wie sich der Wahlberliner im Fernsehen als Rock-Musiker inszeniert. Denn auf dem neuen Album „Hy Brasil“ gibt es schlicht keinen Rock (und auch kein Brasilien, aber das ist ein andere Sache) - diese Platte ist ein Füllhorn lupenreiner Popmusik voller Synthiesounds, Sequencerbässen, Drum-Machine-Beats und zuckerstaubigen Stimm-Effekten. Was ja um Himmels Willen völlig in Ordnung ist. Nur irgendwann ist das eben passiert, dass aus der Softrock-Band „Reamon“ der Solorocksänger Rea Garvey und schliesslich der Synthiepopper geworden ist, als der er jetzt Lieder singt, und entweder hat er es selber nicht gemerkt, oder aber, und das ist die wahrscheinlichere Variante, er kehrt es nicht all zu sehr nach aussen, um noch durch etwaige Hintertüren davon zu profitieren, als Rockmusiker zu gelten.
Was wiederum auch völlig In Ordnung ist.
Im gewissen Sinne gibt es in diesem Themenbereich auch kein denkbares Paralleluniversum, denn das Image, das es jemandem wie Rea Garvey erlauben würde, als 47-jähriger Synthiepop zu singen, das gibt es schlicht nicht, oder besser gesagt, das gibt es vielleicht schon, aber es steht Garvey nicht zur Verfügung. Wem Synthiepop als junger Mensch zur Verfügung stand, der ist heute entweder 10 Jahre älter als Garvey und hat in den 80ern schon musiziert (zum Beispiel die „Pet Shop Boys“), oder aber 10 Jahre jünger als Garvey und damit jung genug, um den Synthiewave der 80er in erster Ableitung zu zitieren (zum Beispiel das Popduo „Hurts“). Garvey aber wäre nicht die öffentliche Figur, die er in Deutschland ist, wenn er nicht einmal in Rock gemacht hätte. Als dieser Sänger einst noch in Irland anfing, Musik zu machen, gab es die Art von Pop auch noch nicht, die er jetzt auf dem neuen Album veröffentlicht hat - Popmusik, in der sich Rock nahezu rückstandsfrei aufgelöst hat, und die nur deshalb als Musik von ihm, Rea Garvey, wahrgenommen werden kann, weil sich der Rock in seinem Image wiederum subkonträr NICHT rückstandsfrei aufgelöst hat. Wenn er sich nicht noch mit Gitarren identifizieren würde, wenn nicht als Primärimage immer noch bekannt wäre, „Dieser Rae, das ist doch ein Rocker!“, wäre seine Musik eventuell unsichtbar.
Das ist heute im gewissen Sinne anders - wer in dieser Popzeit als junge Musiker:in einen passenden Popentwurf sucht, kann diesen melancholischen Synthpop, in dem sich Spuren von Rock wiederfinden könnten, leicht ins Auge fassen. Alles, was frau dazu braucht, ist ein Computer, und Computer haben Musiker:innen heutzutage meist früher als Probenkeller. Ok, natürlich hört sich die auf anderen Wegen und denkbare und möglich gewordene Musik eines 47-jährigen Rocksängers anders an, als die einer jungen Musiker:in, die sich gerade einen Apple gekauft hat, und auch anders als Pop von den Pet Shop Boys. Kurioserweise ist aber eben der Pop von Rea Garvey in einigen seiner Wirkungsweisen dem Deutschpop recht nahe - bzw. ist dies ja gar nicht so kurios, denn Rea Garvey ist ja mittlerweile in der deutschen Medien- und Musik-Landschaft sozialisiert - in seiner Heimat Irland oder auch in sonstigen englischsprachigen Ländern spielt seine Musik keine Rolle. Man könnte „Hy Brasil“ gar attestieren, Deutschpop mit englischen Texten zu sein: Uptemponummern mit fluffigen Beats, guten Melodien, Ouh- und Oh-Chören, Unplugged-Reminiszenzen und elektrischen Effekten - human, life, dancing, world, Menschen, Leben, Tanzen, Welt. So wie in dieser Musik der Rock in Abwesenheit glänzt, funkelt die deutsche Sprache durch, ohne zu erklingen.
Über Musik wie diese wird oft gespottet, es sei Musik für Leute, die nicht viel Musik hören, aber das kann man ja immer auch als Qualität werten; beziehungsweise: Es ist ja eigentlich ein Element von Popmusik als solcher, dass sie ihre eigene Nachfrage generiert und beinhaltet. Lange Rede kurzer Sinn: Das Album von Rea Garvey ist völlig ok.
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