Das Ohr auf Pop mit deutschen Texten werfen - Folge 15 mit "Bruni die Band", "Lostboi Loni" und "Charlotte Brandi"
/// Wenn Bands einen Popentwurf suchen, ist diese Suche ja meistens schön. Das Feld von Pop ist eben inzwischen so weitläufig bestellt, dass man viel suchen kann, ohne dass es frustrierend wird, wenn man nichts findet, und der Weg das Ungezielte bleiben darf. Die Band „Brudi die Band“ sucht zudem in pandemischen Zeiten (was bleibt auch Anderes übrig?) und verarbeitet im gewissen Sinne ihre Befürchtung, sie könnten mit dem inzwischen durchaus eigenem Genre des Corona-Songs gleichgesetzt werden; als ob den drei jungen Saarbrückern schwant, dass Corona ihren Popentwurf zu sehr prägen könnte: „Ich will leben und draussen Zeit mit Freunden verbringen, nicht meine besten Jahre Lieder über Einsamkeit singen.“, so heißt es in der kurz nach Weihnachten erschienenen, zweiten Single „1,5 Meter“ - hier das < Video >. Die Musik der Brudi-Band ist eine Art Coming-Of-Age-Trap-Pop mit fluffigen Wohnzimmerbeats und melodisch-flüssigem Autotune, Musik, über die man mit Fug und Recht und im Guten wie im Schlechten sagen kann, dass sie jeder hinbekommen könnte, mit dem feinen Unterschied, dass diese Drei sie nicht nur hinbekommen können sondern eben hinbekommen haben. Zudem schreiben sie grundehrliche Texte jenseits von deutschpoppigen Lyrikbaukästen - summa summarum übrigens Songs, die sich tendenziell eher an meine Kinder wenden, als an mich als über 40-Jährigem (meinem Sohne gefällt’s jedenfalls) Wohin das Ganze gehen könnte, weiß man noch nicht, vielleicht könnte man in dem manchmal etwas einlullend wirkenden, Spotify-kompatiblen Sound hin und wieder das ein oder andere Instrument betonen. Bei momentan zwei Singles reicht wie gesagt allemal das schöne Suchen. Lockere Band auf jeden Fall, von der man bestimmt noch hören wird. /// Kurioser Weise klingt der Grundsound von „Lostboi Lino“ irgendwie ähnlich, firmieren tut das Ganze auf iTunes aber freilich als HipHop und Rap, was es eigentlich ebenso wenig ist, wie die Musik von „Brudi die Band“. (Das ist man auf Spotify schon ein wenig weiter - auf der Streamingplattform kreiert der Playlistenwahn inzwischen Subsubsubgenres, die oft nur darin bestehen, dass einige Lieder sich zusammen in einer Liste finden. Um für diese algorithmischen Parallelen dann die Behauptung zu kreieren, sie seien sorgsam herbei kuratiert und dadurch sichtbar, erfindet Spotify neuerdings Genre-Namen für diese sich in Playlisten spiegelnden Klang-Ähnlichkeiten. Dieses Phänomen spülte zum Jahreswechsel plötzliches Rätselraten in die sozialen Medien, weil selbstbewusste Hörer*innen plötzlich erfuhren, dass sie von ihren meist gehörten Popgenres noch nie gehört hatten - beispielsweise „escape-room-pop“ - what the hell ist das?) Wo war jetzt der Faden? War er rot? Ach ja: „Lostboi Loni“ und „Brudi die Band“ - die könnte man locker in eine Liste packen, und der Sound würde sich dann als Genre „Coming of Autotune“ nennen: Flächig, melancholisch, suchend. Das blubbert, fluffert so durch, von dem verlorenen Loni gibt es eine EP („ich bin da“), die aber auch ein wenig amplitudenfrei dahin plätschert: „Man kann immer irgendwie alles besser machen, und ich glaub sogar, dass man sich auch ändern kann.“ /// Die EP ist ja urplötzlich die Pop-Darreichungsform der Corona-Stunde - eine Sammlung Lieder, die nicht genug sind, eine LP zu sein, aber mehr als nur ein paar Singles; die Playlist quasi, die sich selber nicht als Album überfordert. Was jetzt wiederum nicht zu Charlotte Brandi und ihrer EP „an das Angstland“ passt, Überleitung missglückt, denn der Popentwurf, der hier zugrunde liegt, ist eine Zumutung für Popmusik, eine bewusste Überforderung, die doch ein Album sein könnte. Wohin will das? Echokammerfolkpop mit reigenartigen Gitarrenlinien und naiven Melodien, die mit Kinderliedern flirten, Indiepop, der mit diesen ganzen Effekten ein lyrisches Dystopia heraufbeschwört. Hier bricht sich auch die Sehnsucht nach Naturlyrik Bahn: „Oh dass ich doch nur eine Pflanze werde und dass mir dieser enge Stängel verholzt. Kein teckerndes Lachen, keine Gebärde, kein Bein mehr, kein Stolz. Meine Finger wären Blätter aus Leder Richtung Fensterscheibe gestreckt.“, dichtet Brandi in „WIND“, ein Song, in dem plötzlich auch Dirk von Lowtzow auftaucht. Die vier Lieder, die sich „an das Angstland“ richten, oder aber dieses beschreiben bis überwinden, heißen in Großbuchstaben „WIND“, „FRIEDEN“, „FRIST“ und „WUT“, sie fühlen sich an wie Theatermusik, wie Eisler zu schiefer Lyrik und entfalten in ihrer Sonderbarheit einen geigenartigen Sog. ///
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