Die Ohren auf Deutschpop werfen - Folge 17
Was, wenn die Mehrheit der Popmusiker:innen, die deutsche Songtexte singen, die Warnung des Poptickers beherzigten und sich Alleinstellungstrategien ersönnen, auf dass Deutschpop nicht in der Nähe des Schlagers inflationär verbrenne? Dies wäre natürlich zu viel des Guten und aus Sicht des Poptickers schon ein wenig anmassend. Aber vorurteilsfrei Musik zu hören und eben deren Musiker:innen den Anspruch zugestehen, sich nicht nur aus dem Setzkasten der Popstilmittel welche auszusuchen, damit man seine statistische Erfolgschance erhöht, das ist für die hiesige Kolumne ohnehin ein Anspruch. Und in diesem keimt die Hoffnung, dass auf diese Weise wird auch teils sehr erfolgreiche Deutschpop reflektiert wird, für den es so gut wie keinen Popjournalismus gibt.
Wie wenig man in die Trickkiste greifen muss, um originell zu sein und nicht nur nach Menschen-Null-Acht-Leben-Fünfzehn-Welt zu tanzen und zu klingen, zeigt der Sänger Joris mit dem Song „Nur die Musik“ von seiner neuen Platte „Willkommen Goodbye“: Eine gepfiffene Melodie als catchy Hook, ein verschleppter und gleichzeitig wandernder Rhythmus, ein semi-perfekter Chor in der Bridge - schon man man dem mittelalten Affen Popmusik ein wenig Blues untergehoben, einen Ohrwurm erschaffen und sich des Schlagers entledigt - guter Song. Zwar sind auf erwähntem Album auch Lückenfüller und Popgerichte nach Rezeptbuch, aber insgesamt weiß dieser junge Mann, wie sein Pop sein könnte, und es macht Spass, ihm dabei zuzuhören.
Wincent Weiss ist dann wiederum im Vergleich dazu klassischster Deutschpop, wie er noch vor ein, zwei Jahren die Charts verstopfte: Instrumente und Elektrik halten sich die klare fifty-fifty-Waage, es gibt altbekannte Ouh-Oh-Chöre und die vielen Ingredienzien eines schlager-affinen Popentwurfs - je nach Song werden bekannte Register gezogen, Gewürze untergehoben und Stilmittel zitiert. Wie bei vielen solcher Platten kann man aber auch nichts wirklich dagegen sagen. Aber dafür fällt einem auch nicht so viel ein. Mich lassen diese Lieder frappant kalt. Auch die Texte sind ein wenig unterkomplex: „Sind Fragen da, hast du 'nen Plan / Planst du zu viel, bin ich spontan.“ - mh. Es sei an der Stelle trotzdem erwähnt, dass Wincent Weiss sehr sympathisch ist.
Die Sängerin Mine hat sich ein wenig zum Kritiker:innnen-Liebling des Deutschpop gemausert. Ihre subtil rätselhaften Texte, der Mix aus Hip-Hop-Zitaten, zuckersüssem Pop und Singer- und Songwriting lädt auch zum Interpretieren ein, und ich denke schon seit Längerem, dass ich das sicherlich auch mag. Aber mir blieb die Musik bislang irgendwie zu entfernt, zu trocken - das Erratische drang nicht zu mir durch, weil es nichts so recht wach rief. Auf der neuen Platte „hinüber“ aber ist das jetzt anders, die neuen Lieder berühren mich. Der Titelsong im Duett mit Sophie Hunger zum Beispiel vermag es in klassischen 3 Minuten, eine poplastige Schwülstigkeit in die Luft zu malen, die aus dem Nichts kommt und nie preis gibt, was sie erzählen will - wenn Mine so dicht bleibt, so undurchlässig, da in sich geschlossen, dann funktioniert der antiseptische Popentwurf ganz vortrefflich, weil er sich selber zu karikieren scheint und gleichzeitig keine ironischen Stilmittel verwendet. Auch der Popfunk von „ELEFANT“, bei dem man die ganze Zeit auf den Porzellanladen wartet, der aber dann doch unerwähnt bleibt, hat Größe: „Ein Elefant im Raum (Du siehst ihn) / Ich seh' ihn, du siehst ihn auch, Babe / Die Uhr hat schon zigmal geschlagen / Ich frag' dich, hast du keine Fragen?“ - wenn sich wie hier Text und Musik hinter zwei Rücken und drei Türen die Hand geben, dann kann Popmusik mit deutschen Lyrics wirklich toll sein. Übrigens war der Move von Mine, ihren Song „Unfall“ vorab covern zu lassen, auch sehr schön - die Version ihres Songs war noch nicht erschienen, da bat sie Fans und Musiker:innen, den Song doch selber einzuspielen - anhand von Texten, Noten und Chords. 96 Versionen sind eingegangen. Findet man alle noch < hier > .
Apropos Cover - Cover-Alben mit Klassikern deutscher Popmusik sind mittlerweile auch keine Seltenheit mehr. Und nachdem Heino die Beginner gecovert hat, scheint es hier auch keine wirklichen Grenzen mehr zu geben. Nun hat die Sängerin Claudia Koreck ein zurückhaltendes Pianopop-Album gemacht. Es heißt „Perlentaucherin“ und Claudia Koreck covert hier schnörkellos die Ärzte, Echt, Grönemeyer oder Westernhagen. Bei dieser Platte spricht eigentlich alles dafür, dass man das für ideenlosen Blödsinn hält, aber auf eine sehr direkte Art und Weise gefallen mir die sehr simplen, manchmal aber in den Chamberpop rein-schnuppernden Versionen von etablierten Popsongs sehr. Die Interpretation, das Eigene liegt hier im Gesang, das Konzept liegt im Sound des Albums. Hört doch da mal rein.
Wenn man schon bei einem Piano-Album ist, dann sei hier kurz eingeworfen: Danger Dan ist natürlich großartig, aber das wissen schon alle, das muss man hier nicht als Erkenntnis etablieren. Es sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt: „das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ ist natürlich eines der besten deutschsprachigen Alben der letzten Jahre.
Und dann haben wir noch die alten Haudeg:innen von Klee. Diese Band, wenn wir sie kennen, erkennen wir wieder, weil sie immer noch klingen, wie vor einer recht langen Album-Pause; und so ist dann der Titel „Trotz alledem“ wohl auch programmatisch. Als Klee sich gegründet haben, hat man noch über eine Radioquote für deutsche Poplyrics gesprochen, und gleichzeitig schwappte gerade eine kleine Welle von Popsongs aus Berliner Radiostationen in die Welt. Und Klee 2021 klingen wie eh und je: Optimistisch fluffiger Syntiepop mit bescheiden-selbstbewusst singenden Ichs, weiten Flächen und der beiläufigen Art zu singen von Suzie Kerstgens: „Alle optimieren sich - ich nicht. Und alle retuschieren sich - ich nicht. Alle reduzieren sich oder reproduzieren sich - ich nicht. Alle werden immer dünner, und alle ham nen Ring am Finger - ich nicht. Alle glauben jeden Scheiß und alle so: Nice!“ - ja das ist schon irgendwie schöne Popmusik. Aber vielleicht ein wenig erwartbar - wir erkennen es gerne wieder, aber nicht im Neuen sondern im Beständigen. Auch ein Konzept natürlich.
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