Mega-Sampler oder EPs - und was Future Trance mit Lena zu tun hat
Klammheimlich hat sich in einschlägigen Album-Charts ein neues Darreichungsmodell von Popmusik ökonomisch etabliert: Der Mega-Sampler mit der Überwältigung durch Masse. In den aktuellen Top 20 finden sich gleich sechs Song-Sammlungen mit über 40 Titeln: Der Sampler zum Eurovision Songcontest zum Beispiel umfasst alle teilnehmenden Songs (okay, das sind „nur“ 39), auf den „Bravo-Hits“ waren ehedem schon immer viele Lieder, aber auf der neuen Ausgabe „Volume 113“ finden sich gleich 49 brandaktuelle Hits. Auf dem Sampler zur Fernseh-Show „Sing meinen Song“ finden sich 50 Cover, und den Rekord bricht „Udopodium“, der Tribute-Sampler zu Lindenbergs 75. Geburtstag mit sinniger Weise 75 Liedern. Und dann gibt es noch zwei neue Trance-Techno-Sampler mit jeweils 50 bzw. 61 Tracks.
Die ökonomische Idee, die dahinter steckt, liegt auf der Hand: In Zeiten, in denen potentiell die gesamte Musik-Geschichte für einen Abopreis per Stream einen Weg in die Ohren finden kann, muss mit Hörer:innen gerechnet werden, die nicht einsehen, für 10 Euro gerade mal 10 Lieder zu bekommen. 75 Udo-Lindenberg-Lieder kauft vielleicht auch, wer an sich nicht mehr Musik mehr kauft. Aber auf Sampler und Best-Of-Boxen mehr und mehr Songs zu packen ist wohl auch eine Entwicklung, die mit 75 Liedern auch schon an ihrem Endpunkt angelangt sein mag. Hundert wären eventuell noch drin. Aber da müssen es dann schon die Stones sein. Oder Bowie oder Dylan. Noch mehr als 100 wäre dann spätestens irgendjemandes Gesamtwerk.
Eine Liste mit 60 Trance-Tracks wiederum, oder eine Bravo-Compilation mit 50 Hits sind Sampler gewordene Algorithmen, Spotify-Playlists die man für 9,99 € kauft - in gewisser Weise manifestiert sich hier eine neue Form des Popmusik-Sammelns - wer „Future-Trance 95“ hat und die 96 kauft, braucht nicht alle anderen 94 Folgen, um das Gefühl zu bekommen, die Mehrheit aktueller Future-Trance-Musik zu besitzen, denn 120 Tracks hat er ja schon.
Die umgekehrte Hoffnung hegt indes wohl Lena Meyer-Landrut: Dass nämlich Hörer:innen, die ihre Musik schon besitzen, vielleicht auch einmal streamen. Lena hat jedenfalls ihren Back-Katalog unter drei thematischen Aspekten zu Playlisten kuratieren lassen - „confidence“, „kind“ und „optimism“. Das Ganze ist ein recht hübsches Unterfangen, war aber mit der Löschung ihres gesamten Instagram-Bestands und dem Veröffentlichen eines Trailers zu „optimism“ vielleicht ein wenig over-promoted: Die Sängerin schürte damit natürlich die Hoffnung auf neue Musik, die dann aber eben enttäuscht wurde. Grundsätzlich ist die Idee des Kuratierens von Playlisten aber eine schön Strategie, dem Überangebot und der schieren Masse an Popmusik überschaubar scheinen zu lassen und eben nicht 75 Lindenberg-Songs auf einmal auf den Markt zu werfen. (Ich mache das mit meiner eigenen Musik auch und erstelle mir selber Playlisten zu „Bäumen“, „das Meer“ und tatsächlich auch „Optimismus“.)
Selbst in die Veröffentlichung neuer Musik findet dieses Kuratieren als Gestus Einzug: Ein Gewinner der Corona-Krise ist als Pop-Release indes nämlich die EP, also das kurze Album, bei dem Künstler:innen zum Beispiel im Lockdown entstandene Popentwürfe rasch in die Tat umsetzen - als würde man eben zu einer Idee, Songs auswählen, ohne ein ganzes Album denken, machen und promoten zu müssen. (Zum Boom der EP schreibe ich nächste Woche etwas) - der Kurator als Kraft, welche künstlerische Energie in Bahnen lenkt und in einen Zusammenhang rückt. Tendenziell - wie gesagt - finde ich das eine schönere Strategie als Marktverstopfung mit Mega-Samplern. Ich weiß auch gar nicht, was Future-Trance ist.
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