Marina findet zu sich mit einem Album des Jahres. Mindestens.
Marina Diamandis, unter ihrem Vornamen bekannt, früher Marina & The Diamonds genannt, schreibt und komponiert Lieder, in denen bereits die Merkmale und Stärken ihres Gesangs, ihrer Stimme, ihr Timbre, ihre Art zu phrasieren mitgedacht sind, ohne dass diese Lieder all zu gedacht wirken. Diese aussergewöhnliche Popsängerin braucht daher keinen Signature-Song, um einen Signature-Sound zu haben. Diese ihre Unverkennbarkeit liegt unter Anderem in der Art, wie sie ohne viel Aufhebens von Brust- zu Kopfstimme und wieder zurück springen kann, wie sie geliehene Akkorde in Melodie-Bögen webt, ohne die Eingängigkeit ihres Popentwurfes zu verlassen, wie sie mit wenigen Tupfern Pop-Lässigkeit in Pathos überführen kann und dabei auch die Disko nie vergisst.
Mag ihre letzte Platte, ein Doppelalbum namens „Love & Fear“, ein wenig ideen-überladen gewesen sein, ihr neuester Streich „Ancient Dreams In A Modern Land“ ist nicht weniger als ein Meisterwerk: Aus Rock, Pop, Jazz, Soul strickt sie einen Zehn-Song-Zirkel, ein feministisches Pop-Pamphlet mit Coolnes an der Klippe zum ironischen Kitsch, ein Empowerment mit fluffiger Popschwüle, eine Selbstermächtigung von und mit Disco und Piano.
All dies wird flankiert von selbstzweifelnd lyrischen Kleinoden, von Songtexten, die plötzliche Tiefen in Bubblegumlieder ziehen, offensive Blödsinnigkeiten in Songs, die von Depression handeln, von scharfer Konfrontation von Traurig- und Fröhlichkeit. Wer schreibt zum Beispiel so eine Strophe: „I’ve escaped many vices / like drugs and alcohol / but I can never escape / the war inside my skull / You know that love’s a gift / but it can also be a curse / always the optimist / dealing with somebody else’s can of worms“. Das Alles für die Pianoballade „Pandoras Box“, die sich auf seichten Akkorden mit Streichern aufbäumt, im Refrain komische Melodie-Kurven nimmt und gerade genug Pathos trinkt, damit man auch beim Hören merkt, dass hier eine Lyrikerin textet.
Dieses Album zeigt Popmusik als menschliche Kulturtechnik - so perfekt, dann man nie Perfektion riecht. Grandios.
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