Verschiebung
22. September 21
Ohren auf Deutschpop werfen- Folge 18 /// Max Mutzke ist doch eigentlich stimmlich in der Lage, Soul, Blues und Jazz zu singen - ich komme nicht dahinter, warum er auf seinem neuen Album „wunschlos süchtig“ einem Deutschpop-Sound hinterher läuft, der ihm nichts abverlangt. Die Platte klingt einheitlich weg produziert, man spürt nicht mal eine Band, nix Erdiges - und auch die Texte strotzen nicht gerade vor Einfallsreichtum: „einfach machen, Tag planen, sich zurück lassen, vermissen, was abmachen, eine Nachricht lesen, gleich zurück schreiben, dich abholen, in deine Arme treiben, Wärme fühlen, keine Spiele spielen - weil wir glücklich sind, weil wir wunschlos süchtig sind“ - ja, das ist schon ganz in Ordnung geschrieben, eingefangen, dass für viele Menschen eine gewisse Lockerheit erreichbar wäre, aber es ist schon auch wieder umgekehrt dieser deutschpoppige Suche nach Unzufriedenheit, eine Suche nach Ungeduld, die auf der anderen Seite dann auch weggedudelt wird. Max Mutzke kann mehr. /// Wer also was Erdiges sucht, der könnte bei Peter Maffay fündig werden - sein neues Album „so weit“ ruht in sich, muss niemandem etwas beweisen und ist ein Blues-Album mit Schlagertexten: „Ein Leben läuft nie wie geplant und nicht nur geradeaus /
Mal läuft es rund und manchmal fliegt man aus der Kurve raus / Mal ist ein Weg gesperrt, mal endet er im Nirgendwo / Mal hat man freie Fahrt und manchmal sieht man nur noch Rot“ - man kann das natürlich blöd finden, fair enough, aber ich sag euch mal was: Mir gefällt das. /// Dass der Schlager ein deutlich offeneres Gesellschaftsbild herauf beschwört, als der klassische Deutschpop sich das traut, ist uns in diesem Blog schon öfter aufgefallen - bestes Beispiel: Die offen lesbische Kerstin Ott. Ihr neues Album „nachts sind alle Katzen grau“ knüpft an dem Konzept eines queeren Schlagers an: „Der Lehrer unter seinem Anzug / Versteckt der Tag seine Tattoos / Die Ärztin hat heut was genommen / Was sie sonst verschreiben muss / Sie tauchen einfach in die Menge / Und die Boxen legen los!“- gut dass es das gibt, hören muss ich es nicht. ///
Mark Forster hat tatsächlich seinen Sound entschlackt, kaum Pomp, fast minimal klingt sein aktuelles Album „Musketiere“ an der ein oder anderen Stelle, und dann wird es scheuer Blues, Gospel fast - richtig gut ist der Song „Leichtsinn“, der er mit dem Produzententeam Kitschkrieg geschrieben und produziert hat. Hier verschiebt Piano eine in sich gestockte Hammond auf einen Beat rüber - und dann reimt er auch noch fern von Versatzstücken: „Ich hat mal sowas wie Flugangst, doch das verflog dann, als du kamst.“ - diese Zeile hört sich an wie Strophe und wird dann aber als Refrain wiederholt. In diesem reduziertem, sich stets lyrisch wie musikalisch verschiebenden Song zeigt sich großer, eindrücklicher Pop. Überhaupt ist das ein Album von überraschend erhabener Popklarheit.
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