Die tolle EP „VOID!“ von Ann Sophie aus dem Jahre 2019
Der Song "Tornado" der Sängerin Ann Sophie hat eine merkwürdige Struktur: Die Strophe hat das melodisch-euphorische Momentum eines Refrains, die Bridge das Lakonische einer Strophe, und der Refrain dann plötzlich die die Atmosphäre einer Bridge. Wir haben es hier also mit einer gewissen Unterwanderung von Erwartungen zu tun, und das ist schon mal toll. Hinzu kommt die Tatsache, dass Ann Sophie in der Lage ist, jedem der genannten Teile eine andere Stimmfigur zuzuordnen, und diese natürlich auch zu singen: Während die ersten Zeilen in souligem Timbre erklingen, fährt sie die Stimme für die Bridge zurück in einen jazzigen Trotz, bevor der Refrain nach 80s-Synthpop klingt. Die Modulierung ihrer Stimme ist ohnehin die Stärke dieser Sängerin - man höre sich nur einmal ihren Auftritt mit „Creep“ bei „The Voice Of Germany“ an, bei dem sie in zwei Minuten, den Radiohead-Song zu einem verschleppt-verschobenen Jazz-Beat mit merkürdigen Gitarrenlicks in verschiedene Stimmfärbungen hinein singt - famos; zumal bei einem Song, der seinerseits quasi ein Cover von Hollies’ „the air that I breathe“ und inzwischen eben auch ein wenig über-covert ist.
Aber Entschuldigung - hier soll es ja um Ann Sophies bereits vor zweieinhalb Jahren erschienene EP „VOID!“ gehen, auf der sich neben erwähntem „Tornado“ vier weitere Songs befinden. Die Stärken dieses Kurzalbums sind im ersten Absatz schon angeklungen: Obgleich der Sound hier an sich klassischer Pop mit Prisen von Soul ist, singt Ann Sophie als Interpretin ihrer eigenen Songs sie als Jazz-Lieder, und auf diesem Weg streift sie Stimmfiguren aus anderen Genres. Das leicht sphärische „Bye Boy“ fliegt so in Elektropop, die klassische Klavierballade „Like You II“ tropft in Tears-For-Fears-artigen Artpop, „Puzzle Pieces“ dann verbleibt im Synthiewave; wenn man bei dieser Stimme überhaupt vom Verbleiben sprechen mag: Diese Frau singt einfach, als gäbe es mehr Gesangsregister als Brust- und Kopf-Stimme, und sie wechselt ihre Modulationen aus dem Nichts und zu den Schaltstellen ihrer Songs. Das ist wirklich faszinierend. Wenn ich mir irgendwas von diesem Popjahr 2022 wünschen kann, (ausser natürlich: endlich wieder Konzerte) dann sind es mehr Songs von dieser aussergewöhnlichen Popsängerin.
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