CRASH - das neue Manifest von Charli XCX
Mutmasslich das erste Sub-Genre der Popmusik, welches massgeblich durch TikTok geprägt wurde, dürfte der Hyperpop sein - ein, wie der Name schon sagt, Konzentrat von Pop, Pop also auf die Spitze getrieben, zentrifugiert, eingekocht und emulgiert. Hyperpop ist für normalen Pop das, was Tomatenmark für frische Tomaten ist. Dieser Vergleich ist übrigens vielleicht auch Unsinn - klingt aber gut. Dem Hyperpop voraus ging die von Katy Perry eingeleitete Hookokratie, die Dominanz also des Refrains, der Hook über das gesamte andere Song-Geschehen: I kissed a girl. Dieser Pre-Hyperpophit war nach strengsten 15-Sekunden-Baustein-Prinzipien konstruiert: Strophe, Bridge, Refrain und B-Teil - alles dauert bei diesem Song exakt 15 Sekunden, und in diesem Sinne ist „I kissed a girl“ mit seiner auf die 100-stel Sekunde stoppbaren Dauer von 3 Minuten auch der Prototyp des ESC-Songs als solchem.
Aber der Hyperpop eben machte aus den 15-sekündigen Bauteilen 5-Sekünder, aus der Hookokratie einen Partikelpop, bei der letztlich jedes freie Radikal eine Hook ist - kurz: Hyperpop klebte Hyper an Pop. Mit ihrer frei-radikalisierten Partikel-Single „… ready for it“ nahm Taylor Swift schon 2017 einige Hyper-Ideen vorweg, während letztes Jahr Olivia Rodrigo dem ultra-beschleunigten Hyperpop mit „drivers license“ eine Ballade abrang, aus der weltweite Songwriting-Camps wiederum den Versuch ableiteten, Lieder zu schreiben, die jenseits vom Strophe-Refrain-Prinzip seicht-stetes Crescendo suchen - vielleicht ist die Musik von Rodrigo also im gewissen Sinne Posthyperpop.
Selbiges (Posthyperpop sei hiermit konstatiert) könnte man über das neue Album von Charli XCX sagen. Die Engländerin ist eigentlich bislang ein Hyperpopstar, aber mit dem Tracks auf „CRASH“ übt sie sich nun in Retrotechniken: Sie klingen nach Kylie in den Nullern, Technopop der 90er und Eurodance der 80er. Wer als Boomer diese Musik hört, würde erst einmal denken, alles sei hier beschleunigt und übertrieben, aber wer frühere Tracks von Charli XCX kennt, muss aus dieser Perspektive wohl eingestehen, dass ihre neue Platte eher eine Entschlackung darstellt. Summa Summarum leidet dieses Album aber letztlich doch noch an einer Kinderkrankheit des Hyperpop: Das Konzept ist stärker als das Ergebnis. Man merkt dieser Musik immer die Idee an, bevor die Effekte dieser Idee zünden. Das Ganze ist also nicht nur Posthyperpop - sondern erzählt auch von einem Posthyperpophype. Und insofern ist dieser Text hier ein Posthyperpophypepost.
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