Drei Bands mit deutschen Texten in den Pop-Startblöcken
Bei der Band „Verhaltenstherapie“ weiß man erst mal nicht so recht, wozu man geladen ist. Bei dem Namen erwartet man eine Indie-Band mit Postpunk, wenn nicht gar ohne die Vorsilbe Post, aber das stimmt dann so gar nicht. „Verhaltenstherapie“ machen elektrischen Indiepop, und dahinter steckt ganz offensichtlich auch keine Band - sondern eine Einzelperson, der Schauspieler, Regisseur und eben Musiker Gordon Kämmerer. Sein Popentwurf schwirrt irgendwo in der Nähe von NDW mit absichtlich billigen Hip-Hop-Beats, spleenigen Texten und in seinen Videos auch einigen visuellen 80er-Remiszenzen - wenngleich mir Kämmerer, kaum 30 Jahre alt, jetzt natürlich hinterher rufen könnte: „He? Achtziger? Ok Boomer.“ Sein neuer, erst zweiter Song jedenfalls heißt „alte Liebe“ und wirft mal wieder die gute alte Frage auf, die Pop an sich immer gut tut: Wie zur Hölle ist das gemeint? „Wo mein Herz mal war, ist nun ein schwarzes Loch. Alles zieht hinein, Leere herrscht im Kopf. Still liegt die Luft und eisern dröhnt die Zeit. Kein Licht mehr da. Für gar nichts mehr bereit.“ - diesen Refrain könnte man fast in Duktus eines Schlagers singen, aber das Soundbett und die Art und Weise, wie das bei „Verhaltenstherapie“ gesungen wird, hat so gar nichts Inbrünstiges - eher schon eine provokative Beiläufigkeit, mit der die milleniale psychische Rückbesinnung konterkariert wird. Man weiß also nicht, wohin man geladen ist, aber freut sich durchaus, zur „Verhaltenstherapie“ eingeladen zu sein.
„Florian Paul & Die Kapelle der letzten Hoffnung“ ist Deutschpop mit bratzigen Bläsern - diese Band ist wunderbar und klingt nach „Element Of Crime“, aber jünger, nach Max Raabe vielleicht, nur rockiger, nach „Faber“ nur ohne Wien - die kürzlich erschienene Single „Zeitgeist“ mit der Eröffnungszeile „Warum bauen die ihr scheiss Parkhaus direkt vor meinem Fenster“, dem Refrain „Mach’s gut lieber Zeitgeist, du hast mich enttäuscht“ und einem mitreissendem Trompeten-Solo ist herrlich - die würde man gerne mal live sehen. Aber auch zum Kochen taugt das gut. Und meine Tochter kann es auch schon mitsingen - was will man mehr?
Die Formation „4 Stock“ ist ein wenig klassischer in ihrem Popentwurf - aber nicht minder sympathisch. In den drei Liedern ihrer aktuellen EP „höhere Gewalt“ verquirlen sich Gitarrenpop, Reggae-Rhytmen, fluffiger Rock, Ska-Bläser aus der Ferne, WahWah-Riffs, Funk-Prisen und zeitlos sozialkritische Texte alter Schule zu einem OK-boomigen, sorry Wortspiel, Rocktail - oh Gott, noch eines. Wobei hier eine Band am Werk zu sein scheint, die diesen Namen noch verdient: "4. Stock" klingen, als hätten sie den klassischen Band-Keller mit Bierkästen und Eierkartons in den Knochen, als hätten sie sich in unzähligen Kneipen, Sälen und Festivals die Finger wund gespielt, wie immer man das nach zwei Jahren Pandemie hinbekommt - um so schöner also, dass es noch solche Bands gibt: „Die Propheten haben gelogen, und jetzt irren wir durch Zeit und Raum. Die Propheten haben gelogen, der Trip ist aus, aus ist der Traum.“
Links:
< bandcamp Verhaltenstherapie > / < Website Florian Paul > / < Website 4. Stock >
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