Die Geschichte der Song-Inszenierung beim ESC
Der Eurovision Song Contest ist ja, wie immer wieder erinnert wird, an und für sich ein Wettbewerb von Kompositionen gewesen - die Interpret:innen waren sozusagen Teilnehmende in der zweiten Reihe. Sicher wurde dies in der Praxis auch zu Zeiten nicht so wahr genommen, als noch die Song-Komponist:innen ein Orchester dirigierten - Pop, ob man es will oder nicht, steht und fällt mit denen, die singen. Das Orchester ist folglich dem Playback gewichen, live performt nun Frontfrau oder -mann, und diejenigen, die den Song komponiert haben, werden in eingeblendeten Credits erwähnt oder aber mit etwas Glück von den jeweils Kommentierenden erwähnt. Meist sind es heute auch wie im internationalen Popgeschäft üblich ganze Teams von Menschen, die die Songs zusammen geschraubt haben - ich kann die Quelle leider nicht mehr nennen, aber ich habe irgendwo gelesen, dass zum Beispiel im letzten Jahr durchschnittlich 3,75 Komponisten an den Song-Beiträgen gearbeitet haben.
Seit also das Orchester nicht mehr spielt und dirigiert werden muss, zeigt die Kamera nichts anderes mehr, als diejenigen, die den Song performen, oder eben so tun, als ob sie ihn performen. Naturgemäss wuchs der Anspruch daran, wie man eben dies tut, und also begann man die Auftritte zu inszenieren. Diese Inszenierungen haben, wie wir wissen, einige absurde Stilmittel hervor gebracht - Trickleider, Stabhochwackel-Choreographien, hüpfende Delfine, Schlittschuhe auf Kunsteis-Platten und so weiter; und diese Kuriositäten sind vielleicht der Tatsache geschuldet, dass es für das Live-Inszenieren von einzelnen Songs keine historischen Beispiele gibt. Sicher, es gab in der TV-Geschichte Sendungen wie „Top Of The Pops“, aber hier genügte für den Inszenierungsfaktor der Glamour-Faktor etlich anwesender Stars, beim Songcontest kann sich nicht auf Star-Power verlassen werden, der Song ist es, der inszeniert werden soll. Und mit eben der Inszenierung, spätestens, ist der ESC kein Kompositionswettstreit mehr, sondern ein Popwettbewerb, weil in der Popmusik, wie Dietrich Diederichsen so treffend definiert, Akustisches wie Visuelles „zusammen fällt“.
Das Inszenieren von drei Minuten Musik ist inzwischen völlig entgrenzt - die LED-Leinwände, Feuerkanonen, Nebelmaschinen und Bühnen-Requisiten werden immer raffinierter, mit planbaren Kameraperspektiven lassen sich virtuelle Treppen, Mondlandungen und surreale Landschaften in Echtzeit herauf beschwören. Wer in diesem Jahr das erste Halbfinale geschaut hat, und vermutlich lässt sich das auch über das Zweite sagen, musste allerdings das Gefühl bekommen, dass die technische Entgrenzung an ihrem Zenith angekommen ist - wer wenig inszenierte hatte quasi sein Ticket ins Finale gebucht, und mit wenig ist hier ein Ausmass gemeint, dass noch vor zehn Jahren als Overkill wahrgenommen worden wäre. Ich habe allerdings den Eindruck, dass dies nicht nur daran liegt, dass man diese Sendung inzwischen mit dem Gefühl sieht, meine Augen rebellieren gleich gegen alle Effekte, es hat auch was damit zu tun, dass all der Feuerfontänen-Bombast die Skepsis provoziert, hier wird kein Song mehr inszeniert, hier wird eher vom Song abgelenkt. Es ist halt so: Irgendwas muss man schon meinen, wenn man auftritt. Sicher, ein gewisses Mass an Ironie ist sicher auch nicht hinderlich, aber man muss den ESC vor allem Ernst nehmen, sonst ist man verloren und wird verlieren, das wird auch an diesem Samstag so sein.
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