- vor 25 Jahren erschien „Torn“ von Natalie Imbruglia
Er hat noch nicht kapiert, dass es zu spät ist: Sie ist bereits zerrissen. Die Gespräche sind verstummt, ihr ist kalt, sie schämt sich, sie fühlt sich so verlassen, als läge sie nackt auf dem Boden. Da hilft es auch nichts, dass er einst die Hoffnung in ihr weckte, er könne DER Mann sein: Würdevoll, warmherzig, zuvorkommend - heute sind davon eben nichts als Lügen übrig geblieben.
Diese Geschichte klingt vielleicht ein wenig nach Groschenroman, aber sie ist der Stoff einer der meist gespieltesten Songs der Radio- und einer der größten Hits der Popgeschichte überhaupt: „Torn“ von Natalie Imbruglia. Die Radiotauglichkeit dieses Liedes, seine bestürzende Harmlosigkeit, ist dabei natürlich ein Teil seines Geheimnisses: Hinter der funkelnden Oberfläche der schönen Akkordfolge und dem beiläufigen Gesang enthüllt sich das Zerwürfnis einer ehemals verheissungsvollen Beziehung - so funktionieren Hits. Hinzu kommen die Genre-Prisen Rock, Folk, Pop und ein leichter Off-Beat aus tanzbareren Stilen - dieser Song ist alles und nichts.
Vor Natalie Imbruglia hatten sich schon andere Sängerinnen und Bands an „Torn“ versucht, die Version der australischen Soap-Darstellerin war bereits die sechste, aber alle vor ihr waren keine Genre-Hybriden sonder verfolgten eine klare Stil-Linie, und daher waren alle diese torns nicht in sich selber so homogen zerrissen wie das Welthit-Cover von Natalie Imbruglia. Hinzu kam etwas, das in der Popwelt vor 25 Jahren elementar war - das Musikvideo: Die Zerrissenheit des singenden Ichs wurde hier durch die offen gelegte Dreharbeit an einer kurzen, romantischen Szene umgesetzt, die nie so richtig gezeigt da inszeniert wird; bis schliesslich im Hintergrund die Kulissen abgebaut werden. Der Gegensatz von glitzernder Fassade hinter der der Abgrund der traurigen Geschichte lauert, fand hier seine visuelle Entsprechung. (Ich fand das Video vor 25 Jahren natürlich auch toll, weil Natalie Imbruglia darin so hübsch war - zugegeben.)
Vier Minuten dauert „Torn“, 12 Sekunden dauert es, bis Imbruglia zu singen beginnt. Liesse man das Intro weg kürzte den Song auf drei Minuten, er wäre auch heute Spotify- und TikTook-affin genug, um ein Hit zu werden - so sehr hat sich dann die Popmusik auch nicht verändert, nur ein wenig die äusseren Umstände, unter denen Akustik und Visuelles zusammen fallen, um in diesen Umständen Pop zu werden. Und gegebenenfalls Hits.
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