Wo steht Deutschpop? Eine Fragestellung anhand 5 heute erschienener Singles
Wenn man sich erinnert, wie sich die Neue Deutsche Welle in den 80ern selber zu Grabe trug, indem der Markt vollkommen übersättigt wurde und man sich zudem dem Schlager anbiederte, kann man sich heute fragen, ob Deutschpop gerade an selbiger Schwelle steht - kurz davor im eigenen Hype zu ersticken; oder aber: Sich am erweiterten Schlagerentwurf im Post-Helene-Fischer-Atemlos-Zustand gesund zu stossen. Schaut man zum Beispiel auf die heutigen Charts, sieht man auf Platz 02 einen Song von Udo Lindenberg und Apache 207. Der Rocknroller und der Trap-Beat-Rapper finden für „Der Komet“ in der Schlager-Referenz einen gemeinsamen Nenner - auch wenn mich wahrscheinlich beide für diese Analyse erschiessen würden. Aber man kann das Ganze ja auch positiv sehen: Seit Helene Fischer Schlager zu Pop gemacht und Deutschpop sich in Silbereisen-Sphären entgrenzt hat, seit sogar Gangster-Rapper über psychische Gesundheiten sprechsingen, scheinen alle Genregrenzen Makulatur. Und der leicht verschleppte Trap-Beat, der sogar Udo und Apache zusammen bringt, ist ein Kleister, der verschiedenste Einflüsse zusammen halten kann.
So auch die neue Single „neu verliebt“ der Newcomerin Leya Valentina (Videopremiere 20.01.23 um 19 Uhr < Hier >) - hier dient der dem Hip-Hop entlehnte Trap als flächiges Fundament für eine Ballade, auf der Valentina einerseits mit tremolofreier, breiter Stimme singt, als ginge es um Soul, während sie anderseits kurze Sprecheinwürfe dazwischen zieht („ist ja völlig klar“) - heraus kommt ein Genrehybrid, der sowohl TikTok-affin als auch schlagerparadentauglich ist; und ich meine das durchaus positiv. Auf ähnliche Weise sucht Sängerin oder Rapperin AYLIVA die Schnittstelle zwischen Deutschpop in Schlagernähe und Trap-Rap von ums Eck - ihr Song „Sie weiß“ handelt von einer möglichen Trennung und streckt textlich auch die Hände in Richtung deutschsprachigem Soul. In Letzterem ist die Band „Ketzberg“ zuhause, deren Sänger Paul Köninger beim leider verstorbenen Roger Cicero in die Schule gegangen sein könnte - seine Intonation zumal auf der neuen Single „wenn ich sie seh“ - findet fast schon Jazz-Anleihen. Auch wenn das Songwriting vielleicht nicht ganz hinterher kommt, ist das ein Popentwurf, den ich sehr spannend finde. Deutlich rockiger geht es bei der Band „KICKER DIBS“ zu, deren Sound nun tatsächlich nicht dem Schlager zuzuordnen ist - da bekomme ich nun selbst mit ganz viele Heribert-Faßbender-Vibes keine Überleitung hin; aber egal: Bei der Single "Son Gefühl" ist Sebastian Madsen zu Gast, und zusammen kommt dabei ein Song irgendwo zwischen Kraftclub und Mark Forster. Er handelt von einer gewissen Reizüberflutung in Zeitalter der sozialen Medien: „Ich hab da keine Meinung, ich bitte um Entschuldigung.“ - Videopremiere 20.01.23 um 18 Uhr < Hier >.
Was ich mit diesem Schnelldurchlauf durch diese samt und sonders heute erschienenen Lieder erzählen will, ist, dass der Deutschpop tatsächlich einerseits einheitlicher, gleicher wird und sich andererseits schon sehr breit aufstellt - an den Rändern passt so einiges noch rein. Und man weiß tatsächlich nicht, ob diese Verbreiterung der Ausweg aus einer Deutschpopkrise ist - oder wir erst an der Schwelle zu dieser stehen, weil der Markt implodieren könnte. Letzteres glaube ich eigentlich nicht, da, um einen Markt zum Implodieren zu bringen, erst einmal ein Markt da sein müsste, aber das ist ja fast nicht der Fall: Nie war es schwerer, als Musiker:in Geld zu verdienen, als heute - zumal wenn man neu hinzukommt. Das ist anders als bei der NDW, da konnte man mit paar Singles reich und berühmt werden.
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