Ohren auf Deutschpop werfen, Folge 24
/// Wenn man auf Garage-Band versucht, zu klingen wie eine Band, klingt man am Ende des Tages vielleicht wie die neue Single „In mir ist was kaputt gegangen“ von Finder - und also, ich meine das nicht negativ; jedenfalls nicht nur. Man könnte schon sagen, dass, dafür, dass was in ihm kaputt gegangen ist, der Sound dieses Liedes ein wenig glatt wirkt, es ein wenig wütender zugehen könnte, aber auf der anderen Seite strahlt etwas einsam Euphorisches aus dem Song, was wiederum ziemlich gut passt: „Ich brauche einen Kompass. / Ich brauche wen, der mir die Richtung zeigt / weil sich alles nur im Kreis dreht / und dann jeder einfach drüber steigt.“ - komischer Weise klingt dieses Lied auch ein wenig nach Heinz-Rudolf Kunze, und obgleich dieser sich kürzlich sprachlich missbräuchlicher über das Gendern aufregte, als das Gendern es jemals sein könnte, meine ich auch das nicht negativ: „In mir ist was kaputt gegangen“ sucht musikalisch und lyrisch Wege aus der Einsamkeit, die in der Summe berühren. /// Filigraner geht es bei Ketzberg zu, von dem hier schon vor Kurzem die Rede war, als „Wenn ich ich seh“ heraus kam. Diese und andere Singles hat der Songwriter nun zu der EP „immer“ gebündelt, die einerseits zeigt, dass der jazzige Popsoul Potential hat, aber vielleicht noch nicht austariert und variiert genug daher kommt, um für die Dauer eines Albums zu funktionieren. Andererseits: EPs boomen eben genau deswegen, weil Künstler:innen im Streamingzeitalter austarieren, wo für längere Strecken nachhaltige Popentwürfe stecken, und so wie und wo Ketzberg seinen trocken Sound sucht, irgendwo zwischen Justin Timberlake und Roger Cicero, denen er gesanglich in nichts nachsteht, wird er ihn auch finden. /// Nina Chuba hat ihn schon gefunden: Ihr TikTok-Teenie-Dancehall rund um den Konsum-Fetisch-Hit „Wildberry Lillet“ hätte mir persönlich auch als EP gereicht, aber wer spricht schon von mir, wenn es um TikTok-Teenie-Dancehall geht? Weder bin ich Teen, noch nutze ich TikTok oder höre Dancehall. Dennoch erstaunlich, dass man TikTok-Teenie-Dancehall überhaupt auf ein Album ausbreitet, denn die Währungseinheiten hier sind Playlisten und Follower (von denen Nina Chuba auf TikTok eine halbe Millionen hat). Dieser Pop auf diesem Album „Glas“ macht jedenfalls Spass, und was sind das für irre Texte, die Pops Versprechen Freiheitsdrang par excellence zelebrieren: „Mexico-City, Mangos mit Chili / Palm-Trees sind groß und die Röcke sind mini / Es hat sich gelohnt, hab' keinen Job im Büro / Meine Sterne stehen gut zwischen Dreck und Graffiti / Ich nehm' alle mit, schreibe auf Inseln / Tour’ durch die Charts, wenn ich da grade hinwill / Und falls ich ma' für ein paar Tage verschwinde / Komm’ ich zurück mit einem strahlenden Grinsen.“ /// Man sollte „Amor & Psyche“, das Debüt-Album der Augsburger Elektro-Popper „Fliegende Haie“, auf keinen Fall unmittelbar nach Nina Chuba hören, denn was bei Chuba unverblümt und jugendlich daher kommt, ist bei den fliegenden Haien Attitüde. Nun ist Attitüde seit je her ein Baustein von Pop, aber wenn es angestrengt fresh ist, wirkt es eben kalkuliert. Wenn man es aber nicht mit der Wildberry-Lillet-Nonchalance von Chuba vergleicht, hat man größere Chancen, weitestgehend genre-befreite Elektro-Club-Musik mit Störgeräuschen und Originalitätsboni zu hören, und hinter dem trashigen NDW-Anleihen finden sich urplötzlich verstörendere Zeilen - wie in dem Song „Venus“, in dem es Sexualisierung und Sichtbarkeiten geht: „Je mehr sie von dir haben / desto weniger hast du dich.“ - in dieser Musik steckt vielleicht mehr Tiefe, als ich darin erhören kann, aber das liegt wohl eher an mir, als an der Musik. /// Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Songwriter „Janner“ ein Album veröffentlicht, das „Vor dem Hörsturz“ hieß, und heute nun erscheint seine neue LP „Nach dem Hörsturz“; und den Hörsturz hatte der Musiker tatsächlich, und so kann man den neuen Songs mit bestem Grund eine Art Musiker-Wiedergeburt als Thematik attestieren: „Was wir geschafft haben, hat uns geschafft / es gibt keine Schuld / Atme durch.“, heißt es in „Atme durch“, ein anderes Lied heißt „Aufwachraum“ - vielleicht der stärkste Song auf dieser Platte: Flächige Synthies, auf denen sich eine Gitarre ausbreiten kann, während darunter Bass pulsiert und Beats tropfen. Irgendwo zwischen Singer- und Songwriting-Pop, der die Fühler in Rap und Soul ausstreckt, findet das Album keine rechte Mitte oder ist für sich genommen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass man die Mitte erkennt. Dennoch macht es Spass, hier einem Musiker beim Sich-Wieder-Finden zuzuhören. ///
Links
Video-Premiere < Finder / in mir ist was kaputt gegangen > am 24.02.23 um 17 Uhr ///
Website < Ketzberg > /// Video < Nina Chuba / Mangos mit Chilly > ///
Website < fliegende Haie > /// YouTube-Kanal von < Janner >
Kommentare