Erkenntnis-Hacks in Popmemes: Dauerzustand Deichkind
„Neues vom Dauerzustand“, so HEISST nicht nur Deichkinds neues Album, so ist auch die Dramaturgie eines neuen Deichkindalbums an sich - ihre Musik ist, seit sie die volle Wandlung von Deutschrap zum Diskurs-Elektropop vollzogen hat, ein Dauerzustand, und vom eben diesem berichtet ein jedes, neues Album. Verblüffender Weise ist ihr Popentwurf trotz seiner Fortdauer aber noch immer formbar und somit in der Lage, tatsächlich neu zu sein - womit wieder poptickers alter Aphorismus bewiesen wäre, nachdem wir im Pop das Neue wieder-erkennen. Im aktuellen Fall war schon die Vorab-Single von „in der Natur“ derart strange und deichkindisch, dass man selbst das bizar darin verbaute Jodeln als Teil ihres Soundentwurfes hinnahm: „In der Natur / Wirst du ganz langsam verrückt / Und plötzlich wünscht du dich so sehr zum Hermannplatz zurück.“ - so geht die Indernaturlyrik noch recht traditionell gebaut. Mit dem zuletzt ausgekoppelten „Kids in meinem Alter“ dann sind Deichkind aber im Minimalpop ihrer Selbst angekommen: Das ist kein Lied mehr im eigentlichen Sinne, eher ein ironisch unterkühlter Rant, ein Pop gewordenes Meme, eine gesprochene, gebrabbelte Zustandsbeschreibung der Generation irgendeines Buchstabens, unter dem eine fast atonale Synthielinie und ein trappender Beat sitzen: „Er hat Fashion-Advisor, holt sich Klamotten-Packs / Wollte sich gesund stoßen mit Coronahilfen / Sehnsucht nach einer Zeit / Herr des Hauses / Hochgezüchtete Männerversteher*innen sind verunsichert“ - ein Pop-Proton weniger, und wir hätten es mit einem experimentellen Hörbuch zu tun, und das Hören dieser Musik ist weniger ein Hörerlebnis als vielmehr ein Endlos-Scrollen durch Zeitgeist spiegelnde Floskeln und Floskeln des verworrenen Zeitgeistes - gut, könnte man nun sagen: Das sind Sätze zur Rettung des Popfeuilletons, Du Spex-Blogger Du; aber man kann es auch einfacher sagen: Deichkind spielen spätestens mit „Neues vom Dauerzustand“ in der eigenen Liga.
Das Erstaunliche an der Stabilität des Signature-Sounds von Deichkind ist, dass die Geschichte dieser Formation derart von Personalwechseln geprägt ist, dass man in der Hinsicht schon von den Fleetwood Max des Deutschrap sprechen könnte - von den anfänglichen drei Rappern ist nur noch Philipp Grütering (alias Kryptik Joe) übrig - Malte Pittner und Buddy Buxbaum verliessen die Formation 2006 bzw. 2008, weil ihnen der neue Elektro-Sound missfiel, und der, der diesen Sound erfunden hatte, Sebastian Hackert, starb 2009. Live-Aushilfe Ferris Hilton wiederum wurde 2008 vollständiges Mitglied und schied 2018 dann wieder aus. Die nominellen drei festen Mitglieder sind heute neben Kryptik Joe, der wohl das kreative Zentrum ist, Sebastian „Porky“ Dürre und Henning Besser aka Dj Phono.
Ein anderes Lied auf dem neuen Album ist eine Aufzählung moderner Absurditäten, die stets mit dem aus Socialmedia-Forums stammenden irony-speech „merkste selber“ kommentiert werden: „Boomer haten, aber Bierschinken auf das Brot / Selbsthilfegruppen / Merkste selber, ne? / Datenschutz Setting bei WhatsApp einstellen / Cringe / Merkste selber!“ - da wird man gewahr, dass man es eben manchmal selber nicht merkt, sondern dass Deichkind es für einen merken müssen. Dann hören wir es und denken, wir hätten es selber gemerkt - die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Pop-Hören also.
Kommentare