Von Dienstleistung bis Hamilton
09. Februar 23
Was machen eigentlich all die Sänger:innen, die bei "the voice" weit gekommen sind, so?
Mit dem Ende des vorgeblichen Castingformates, Deutschland suche den Superstar, bleibt der Pop- und TV-Landschaft hierzulande nurmehr noch „The Voice Of Germany“ als Popcasting. Doch obgleich sich bei „The Voice“ alljährlich ein angenehm diverses Teilnehmer:innenfeld zeigt und man dort zudem auch immer wieder unterhaltsame TV-Momente und brauchbare Musik-Augenblicke zeigen, lässt sich nicht leugnen, dass auch dieses Format schon seit Längerem keine Musiker:in mit nachhaltigem Popentwurf für eine wirkliche Popstar-Karriere mehr hervor gebracht hat. Grund genug, dem mal auf dem Grund zu gehen: Was machen denn so die Teilnehmer:innen von „The Voice Of Germany“, die es ins Finale einer der 12 Staffeln geschafft haben.
Zunächst einige nüchterne Zahlen: 4 Teilnehmer:innen schaffen es in das Finale, nur in den Jahren 20 und 21 gab es aufgrund eines parallelen Online-Castings, der „Comebackstage“, 5 Sänger:innen in den Finalshows. Unter den also insgesamt 50 Finalist:innen waren 21 Frauen, 27 Männer sowie 2 Duos. Sieben mal gewann eine Frau, fünf mal ein Mann.
Von diesen zwölf Gewinner:innen ist wohl Andreas Kümmert derjenige, der als Musiker die stabilste Karriere machen konnte - er veröffentlicht regelmässig Musik und tourt mit seinem Soul-Rock in in verschiedenen Formationen quer durch mittelgroße Hallen des ganzen Landes. Größeren Erfolg als originäre Musiker haben nur zwei Männer aus der ersten Staffel, die allerdings beide nicht gewonnen haben: Max Giesinger mit klassischem Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Deutschpop auf deutsch und Michael Schulte mit einer Art Deutschfolk auf Englisch. Kürzlich haben die beiden zusammen ein Lied aufgenommen.
Viele, die es unter die ersten 4 oder 5 der Voice-Show geschafft haben, versuchen sich natürlich nach wie vor als Musiker:innen, viele selbstverwaltet oder mit kleinen Agenturen und mit Veröffentlichungen im Direktvertrieb, über soziale Kanäle oder kleineren Plattenfirmen. Da wäre zum Beispiel Debbie Schippers, ein für die Pop-Bühne geschaffenes Supertalent: Sie tanzt auf verschiedensten Hochzeiten und spielt, singt, darbietet und veröffentlicht in verschiedenen Kanälen Popsoul und RnB - sie war Vierte der dritten Staffel 2013. Oder die sehr filigrane Folksängerin Lina Arndt, zweitplatziert in der vierten Staffel 2014, die eine tolle Band gegründet hat, die „The Married Men“ heißt - wunderbarer Folkrock ist das, leider nicht sehr erfolgreich, so weit ich das beurteilen kann, aber vielleicht fühlt sich diese Band auch genau damit recht wohl. Einen ähnlichen Weg hat Judith van Hel eingeschlagen, die mit Band durch Stadtfeste und Kneipen tourt - wenngleich mit klassischem Punk-Rock, gecovert und selbst komponiert; Hel war 2013 Dritte.
Viele Ex-Voice-Finalist:innen haben in einem Popsektor, den man fast Dienstleistung nennen könnte, eine Nische gefunden - man kann sie über die eigene Website oder über eine Agentur buchen. Nick Howard macht das so, Gewinner der zweiten Staffel, ein veritabler Coldplay-Coverband-Chris-Martin, der, wenn er heute auftritt, sicher auch den Songkatalog von Ed Sheeran darbieten kann. Howard veröffentlicht aber durchaus in schöner Regelmässigkeit Singles, EPs, Alben mit Folkrock, der in besten Fällen an James Taylor erinnert - fair enough. (Ähnlich zwischen Ed Sheeran und James Taylor sucht nach wie vor Robin Resch, Zweiter der 6. Staffel, seinen Popentwurf, und mit ein wenig mehr Prisen Country kann man in dieser Linie auch Benedict Koestler nennen, der auch einmal Zweiter bei „The Voice“ geworden ist - 2017 in der 7. Staffel, oder Chris Schummert, Zweiter 2013, der auf Instagram sehr aktiv ist.) Ihr könnt für Events, Hochzeiten oder Gemeindefeste aber auch Samuel Rösch buchen - den Gewinner von 2018, der seinem christlichen geprägten Popschlager Ende 2022 einen „Neuanfang“ verordnete - mit einem Album gleichen Namens. Wenn man ehrlich ist, so hört man in den Liedern darauf keinerlei Neuartigkeit - Breitwandpop, der sich nicht vor Schlager scheut, damit hatte Rösch auch 2018 gewonnen, und obgleich das Null Komma gar nicht meine Wiese ist, so wohnt dem Ganzen der Charme der Beharrlichkeit inne.
Zwei Finalistinnen der Castingshow sind als Sängerinnen beim Musical aktiv: Marion Campbell, Vierte der vierten Staffel, spielt zum Beispiel derzeit am Staatstheater Brauschweig in „Chicago“, während Ivy Quainoo, „The Voice Of Germany“ der ersten Staffel im Jahre 2011 in Hamburg die weibliche Hauptrolle in dem Blockbuster „Hamilton“ gibt.
Dann gibt es Kandidat:innen, die entweder wirklich vermutlich ganz bewusst abgetaucht sind, von denen wir nichts mehr hören - Paula Dalla Corte zum Beispiel, Gewinnerin 2020, oder Tay Schmedtmann, Gewinner 2016, oder auch Claudia Emmanuela Santoso, Erste 2019, sind nicht zu ergoogeln, und auch in sozialen Netzen kommen diese Drei quasi nicht mehr vor. Andere sind beruflich oder geografisch in andere Richtungen gegangen - Natia Todua, „The Voice“-Erste 2017, in ihre Heimat Georgien, Charley-Ann Schmutzler, Siegerin 2014, ist wiederum verstärkt Schauspielerin, während die Zweite der zweiten Staffel, Isabell Schmidt, heute Ergotherapeutin in Stralsund und Ayke Witt Leiter einer Künstler:innen-Agentur in Berlin ist - er war 2015 Zweiter geworden.
Jamie Lee ist die einzige Gewinnerin, die uns noch fehlt. Sie war, als sie 2015 gewann, gerade mal 17 und sucht als Sängerin ihren Weg und Popentwurf - so sang sie die Titelsongs zweier Disney-Serien, tat sich für verschiedene Cover-Versionen mit verschiedenen Produzent:innen zusammen, und man wird das Gefühl nicht los, dass wir von dieser Popsängerin irgendwann mal wieder sehr viel hören werden.
Meine Lieblingskünstler:in von allen Ex-Voice-Teilnehmer:innen aber ist Isabel Ment Vierte der 5. Staffel im Jahre 2015, die mit ihren vertrackten und gleichzeitig stillen Liedern, gecovert oder von ihr komponiert, eine Kandidat:in war, die für einen klaren Popentwurf stand und steht. Ihre 2018 erschienene EP „As The Words Come Through“, ist ein Kleinod fragilen Folks und Songwritings. Ment arbeitet als Gitarrist:in und manchmal Keyboarder:in für verschiedene Künstler:innen wie Sam Vance-Law, Alli Neumann, Stella Sommer oder auf dem mutmasslich großartigen, kommenden Album von Charlotte Brandi. Zudem, so ist auf ihrer Website zu lesen: „She/they are currently working on an album and finished their first single along with a music video, aiming to create a queerer, softer, intersectional-eco-feminist future.“ … darauf freue ich mich sehr.
Auch wenn dieser mein Überblick hin und wieder einer Aufzählung gleichkommt, so ist schon draus zu lesen: Wer bei „The Voice“ weit kommt oder gar gewinnt, ist nicht automatisch in der Popwelt angekommen, sondern man kann seinen Status in der Musikwelt ein kleines bisschen heben, wenn man dran bleibt. Schon seit Langem gibt es auch nicht mehr automatisch neue, originäre Songs der Finalist:innen, die man dann kaufen oder streamen könnte. Dementsprechend ist auch hier kein automatischer Fuss in der Tür.
Links auf den meisten Namen. Dieser Artikel wird mutmasslich stetig neu bearbeitet. Ergänzungen, Korrekturen und Kritik gerne in den Kommentaren.
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