Der Sänger- und Songwriter Sören Vogelsang ist seit 14 Jahren hauptberuflich Musiker, seine Musik ist Folk mit deutschsprachigen Texten. Am heutigen Freitag den 10. März 2023 erscheint seine neue Single "Nerd", und ebenfalls mit dem heutigen Tag beginnt Vogelsangs Crowdfunding-Kampagne für sein neues Album. Grund genug mal ein paar Fragen zu stellen - das erste waschechte Interview des Poptickers, das wir diese Woche per Mail geführt haben
Lieber Sören Vogelsang, ihr neues Lied heißt „Nerd“, ihr letztes war „Asoziale Medien“. Gleichzeitig liebäugeln Sie und ihre Musik immer ein wenig mit dem Mittelalter, dem man den Nerd und Instagram eher nicht zuordnen würde. Welcher Zeit fühlen Sie sich näher - dem Heute oder dem Mittelalter?
Definitiv dem Heute. Ich habe 2008 mit Songs auf YouTube angefangen, mache seit mittlerweile 4 Jahren regelmäßig Musik auf Twitch und das neue Album heisst „Optimismus Prime“, was sehr offensichtlich nichts mit Mittelalter zu tun hat. Ich würde tatsächlich auch nicht sagen, dass ich mit meiner Musik mit dem Mittelalter liebäugele. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Auf meinem ersten Album „Augenblick“ war die Mittelalter-Folk Musik noch sehr stark vertreten, aber auch hier gab es mit Irgendwann, oder Langeweile schon Lieder, die man auf einem Mittelaltermarkt eher weniger hören würde. Mit dem zweiten Album „Fernweh“ habe ich mich dann komplett dem Singer-Songwriter/Pop zugewandt, da gab es keine mittelalterlich anmutenden Songs mehr, weder musikalisch noch textlich.
Ich habe allerdings in diesem Bereich 2010 angefangen Musik zu machen und habe aus der Zeit auch noch viele Fans. Wir haben mit der Band das CD Projekt „LARP“, auf dem wir bekannte Songs der Liverollenspielszene live im Studio (ohne Dubs) spielen. Auch treten wir weiterhin mit unserem Mittelalter-Programm noch immer auf solchen Veranstaltungen auf.
Dank der in den letzten 10 Jahren stark gewachsenen Szene ist es heutzutage auch keine „Frevelei“ mehr, wenn die Songs auf der Bühne durchaus einen modernen Touch haben und der Sänger dort eben nicht mit Knickhalslaute, sondern mit Gitarre steht. Es ist schön, dass wir mittlerweile auch auf diesen Konzerten zwischendurch eigene, moderne Songs singen können, ohne anzuecken.
Ich liebe die Szene und ich mag auch mittelalterlich anmutende Folk Songs, aber meine und unsere Richtung ist mit dem letzten Album gelegt worden und wird mit dem kommenden Album konsequent weitergeführt. Aber wie gesagt: Es sind zwei Seiten einer Medaille und es wird auch eine LARP Vol. III erscheinen.
Die Musik, die es von Ihnen gibt, hat, egal ob sie vom Mittelalter oder von heute erzählt, einen sehr unverstellten Klangcharakter, sehr akustisch und wenig „produziert“ im Sinne von Sound-Effekten (sieht man mal von einem kurzen Autotune-Einsatz in „asoziale Medien“ ab), auch die Texte kommen auf sehr direkte Weise auf den Punkt, den sie machen wollen. Das Ganze wirkt dadurch sehr unverstellt. Macht man sich mit einem solchem Popentwurf nicht auch furchtbar angreifbar?
Ich bin tatsächlich kein großer Fan vom Drumherum-reden. Weder im Alltag, noch in der Musik. Hamburger Schule, in denen alles zerfasert und ver-metaphert wird, finde ich eher anstrengend. Ich kann nicht nachvollziehen, dass man Menschen ohne ein bestimmtes Bildungsniveau aktiv von seinen Songs ausschließen möchte. Klar mache ich mich damit auf der einen Seite absolut angreifbar, aber auch ohne das „an“, ich mache mich und meine Musik greifbar. Meine Texte sind leicht zugänglich, aber, (so hoffe ich zumindest) trotzdem nicht platt. Sehr viel im Radio ist komplett platt-produziert. Da fehlt für mich die Seele, das Atmen.
An die letzte Frage anknüpfend: Sie sind auch Schauspieler und haben sich in der LARP-Szene („Live Action Role Playing“) einen Namen gemacht. Wie viel Kunstfigur steckt in Sören Vogelsang, wenn sie nun unter diesem Namen Lieder singen?
Kurz: Nichts.
Ich bin so wie ich bin. Ich habe keine Lust mich zu verstellen. Klar, wenn ich schlecht drauf bin, versuche ich es mir natürlich nicht anmerken zu lassen und den Leuten natürlich trotzdem eine schöne Zeit zu machen, aber auch das kennt sicherlich jeder.
Anders ist das bei meinem Comedy-Musik Duo „Das Niveau“. Hier spiele ich immer wieder auch eine Rolle auf der Bühne.
In vielerlei Hinsicht wirkt ihre sehr authentische Musik aus der Zeit gefallen, ich habe den Eindruck, sie schert sich auch in keiner Weise darum, auf Streaming-Plattformen zu funktionieren. Finden Sie es blöd, wenn ich daraus schliesse, dass sich Ihre Musik eher nicht an junge Leute richtet?
Nein, Sie haben durchaus Recht. Klar, auch ich habe jetzt so einen TikTok Account, aber eher, weil mich Technik und Neues interessiert, nicht, weil ich auf „Teufelkommraus“ versuchen will dort jetzt „meine Brand zu platzieren“. Ich finde die Musikwelt sehr anstrengend. Ich habe viele gute Freunde, die in den letzten Jahren mit ihrer Musik sehr bekannt geworden sind und mit großen Labeln im Rücken im Mainstream stattfinden. Versengold, Saltatio Mortis, Faun, Mr. Hurley und die Pulveraffen. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite spielt man in ausverkauften Hallen, findet im TV statt, ist „relevant“, auf der anderen Seite muss man immer auch Dinge tun und Lieder spielen, auf die man selbst absolut gar keine Lust hat. Es ist eben ein Business. Auch ich bin natürlich in diesem Business tätig, aber ich versuche das so gut es eben geht, nach meinen Regeln zu tun, ohne das ich mir von außenstehenden sagen lassen muss, was ich als nächstes zu tun habe. Reich werde ich damit sicherlich nicht, aber das ist auch nie mein Ziel gewesen. Ich mache Musik und kann davon Dank meiner Patreons und den Unterstützern auf YouTube und Twitch okay leben. Das reicht mir. Ich mache das, was mir Spaß macht.
Anders gefragt: Sie nutzen zur Promotion Crowdfunding-Plattformen wie eine Patreon-Seite und ab dem 10. März sammeln Sie nun Mittel zur Finanzierung ihres nächsten Albums - macht sie das unabhängig von Druck von Plattenfirmen, Promotor:innen und so weiter, oder raubt das auch Zeit, die Sie als Künstler dann weniger haben?
Man ist immer abhängig. Das ist in jeder Kunstrichtung so. Ob nun von großen Plattenfirmen, oder von den Fans. Aber ich muss sagen, ich bin lieber von den Menschen abhängig, die meine Musik schätzen, als von Leuten, die meinen zu wissen, was gut für meine Musik ist.
Noch mal zurück zur ihrer neuen Single „Nerd“, denn aus Anlass ihres Erscheinens findet dieses schriftliche Interview ja statt: Früher war der Nerd eher eine Figur Abseits der Gesellschaft, heute ist sie eher positiv konnotiert, und irgendeinen Spleen pflegt jeder, der was auf sich hält. Haben Sie auch einen?
Einen? Hahahahaha!
Im Lied „Ich bin ich“ aus dem letzten Album „Fernweh“ besinge ich sogar einige davon.
Ich denke man muss sich nur das Video zum Song angucken um genug zu sehen. Es ist in meinem Wohnzimmer gedreht worden.
- VIDEO-PREMIERE "Nerd" am 10.03.23 um 19 Uhr -
Und auch noch mal zurück zur ihrer letzten Single „asoziale Medien“ - dafür, dass Sie soziale Medien für asozial halten, sind Sie im Netz unfassbar präsent - facebook, twitter, twitch, instagram, discord, blog, reiseblog und irgendein gaming-Kanal, den ich nicht mal verstanden habe. Wie ist ihre Abneigung aus dem Lied mit dieser doch recht hohen Präsenz im Netz in Einklang zu bringen?
Hm, ich denke jeder hat schon mal länger als eigentlich beabsichtigt durch irgendwelche Social Media Timelines gescrollt und sich danach eher schlechter al besser gefühlt. Nun, genau davon handelt der Text. Jeder kennt es, niemand hat so wirklich ultimativ Lust darauf und doch kommt auch niemand so ganz davon los.
Auf der anderen Seite: Ich liebe die Möglichkeiten und ich war schon immer extrem Technik- und Internet-affin. Ich liebe Twitch, die Möglichkeit zu haben dort interaktiv für meine Community Musik zu machen und gleichzeitig, ähnlich einem Konzert, mit den Menschen die zuhören zu interagieren. Wie großartig ist das denn? Auf der anderen Seite sehe ich mit meinen 70 Zuschauern Kanäle auf denen eine leichtbekleidete Dame ihre nur sehr marginal verschnürten Brüste präsentiert und mit keinerlei erkennbaren Talenten von ihren 1500 Zuschauern mit Geld beworfen wird.
Bei sowas wird einem die Ambivalenz der Welt in der man sich dort bewegt erst so richtig bewusst.
Und dann habe ich noch ein über 2-stündiges Gespräch mit Ihnen und Jens Böckenfeld von Große „Freiheit TV“, ein „libertärer Klima-Wandel-Skeptiker“ - Ihre Geduld dort ist bewundernswert, aber ich habe mich gefragt: Warum tut man sich das an?
Hahaha, gute Frage. Ich hatte erst letzte Woche ein Gespräch mit einem Schauspiel-Kollegen aus dem eher linken politischen Spektrum, der derzeit Memes von rechten Trollseiten auf seinem Facebookprofil postet und sich offen auf seinem Profil mit Russland solidarisiert. Klar, eine Möglichkeit wäre nun den Kollegen schlicht zu blockieren. Aber davon zieht sich seine Bubble ja nur noch enger zu. Also suche ich das Gespräch und versuche zu verstehen, wie man solche für mich völlig abstrusen Gedankengänge vor sich selbst rechtfertigen kann. Ich glaube das geht ein bisschen in die Richtung Chez Krömer. Ich will es einfach nicht unversucht lassen.
Gestern Abend hat mich meine Frau gefragt, an wen sich die Fragen, die da formuliere eigentlich richten, was für ein Mensch das sei, und meine erste Antwort war: Dieser Sören Vogelsang scheint ein ziemlicher Freigeist zu sein. Sind Sie das?
Ich fürchte alle meine Freunde würden hier sehr klar mit einem vehementen „Ja“ antworten.
Ich selbst bin mir tatsächlich gar nicht so sicher. Vielleicht bin ich einfach nur ein Dickkopf. Klar, ich habe Schauspiel studiert, mache seit 12 Jahren hauptberuflich Musik, habe nerdige Hobbies, schlage mich irgendwie durch… das könnte man schon als Freigeist bezeichnen. Auf der anderen Seite führe ich ein eigenes Musiklabel mit mittlerweile knapp 30 Künstlern, mache meine Buchhaltung selbst und bin in ziemlich vielem, ziemlich normal. Das klingt schon fast konservativ. Ich nehme an die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Lieber Sören Vogelsang, ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre vielfältigen Aktivitäten - vor allem natürlich für Ihre Musik & Ihr kommendes Album - bis demnächst.
Vielen herzlichen Dank, bleiben sie gesund und bis hoffentlich bald.
Links:
< Website > von Sören Vogelsang
(wiederum mit Links zu seinen vielfältigen Online-Präsenzen)
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