Nicht völlig zu Unrecht spricht man im Jahr 2023 von eine Anstieg der NDW-Referenzen bei jungen Musiker:innen. Was dabei wiederholt vergessen wird, ist das die neue deutsche Welle durchaus auch der deutschsprachige Postpunk gewesen ist, dass diese deutsche Pop-Welle ihre Wut und ihren Humor aus dem Punk bezog damit Punk nicht (nur) überwand - sondern weiter schrieb und zitierte. Das ist ein Element der NDW, auf dass sich heute weniger bezogen wird - aber bei Paula Carolina ist das anders. Die hat den Wut- und Befreiungsgestus, den Witz, Zynismus und die Provokationsfreude des Punk, bezieht sich musikalisch ohne Retrogedöns auf die NDW - und hat dennoch oder gerade deswegen ihren eigenen, eigensinnigen und unfassbar heutigen Popentwurf. Ihre fünf letzten Singles bündelt sie nun, ein oft gesehener Move in der VÖ-Dramaturgie in heutigen Zeiten, zu einer EP, die wiederum benannt ist nach einem neuen Song - „heiß & kalt“. Dieser bunte Popstrauss-Potpurri erscheint heute, und wenn man die sechs Songs in einem weg hört, hat man unweigerlich gute Laune: Sprachwitz und Feminismus, Wortbiss und Rockriffs, Pop und Punk-Attitüde wie aus einem Guss, vor allem wie Paula Carolina vom rhythmischen Singen ins Rappen und zurück ins melodische Intonation wechseln kann, ist groß - ein Wahnsinnstalent deutschsprachiger Popmusik; und „heiß / kalt“ ist eine EP, die vom Ideenreichtum quasi ein Album ist.
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Der Song „Hirn“ der Hamburger Band „DiNA“ zusammen mit dem Berliner Liedermacher Tristan Brusch ist schwer zu ertragen, denn hier ist das singende Ich ein Mann, der offenbar seine Frau umgebracht hat. Femizid ist an sich schon ein nicht gerade oberflächliches Thema für einen Popsong, aber aus Täterperspektive gesungen wird das Ganze zu einem Vorhaben jenseits der Beiläufigkeit des Mediums Popmusik - hier bräuchte es fast schon eine Triggerwarnung. Denn das beiläufige Hören, das Weghören oder die temporäre Annahme, hier höre man nur die Metapher einer Trennung, die in tiefer Depression und Düsternis erzählt wird, bedarf schon so viel innerer Verdrängung, dass es in der Summe leichter scheint, sich der Wahrheit zu stellen: Dass das singende Ich in diesem Lied ein Mörder ist. Die Frage, was hier erreicht werden soll, muss erlaubt sein, und man kommt auf der Suche nach einer Antwort nur auf die Idee, dass der Song eine Art Katharsis mit sich bringen könnte, eine innere Reinigung durch Abschreckung. Das wiederum ist ein Effekt, der in der Popmusik quasi noch nicht versucht wurde, sieht man vielleicht einmal von Falcos „Jeanny“ ab, der als Popsong ökonomisches Kalkül der Provokation sowie Doppeldeutigkeit und Schmäh mit sich brachte; und spätestens mit dem Sequel „Coming Home“ konnte man zudem mit Fug und Recht annehmen, dass Jeanny lebt oder aber ohnehin nur das Hirngespinst eines Irren ist und also nie gelebt hat. In dem Lied „Hirn“ ist all zu deutlich, dass wer hier besungen wird, unwiederbringlich tot und ermordet in einem Flur liegt, das Ganze ist verstörend scharf getextet, mit emotionaler Tiefe und doch genügend distanziert gesungen und dramaturgisch geschickt gebaut. So könnte man also abschliessend sagen: Ein grandioses Lied; das ich persönlich aber trotzdem kein zweites Mal hören möchte.
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