Der Popticker arbeitet sich einmal wieder an dem Phänomen "Santiano" ab
Der Shanty-Rock-Entwurf von Santiano ist ein in sich so klar definiertes Sub-Sub-Genre mit gleichzeitigem Mainstream- und Erfolgsanspruch, das in seiner Praxis kaum mehr Spielraum für Veränderungen bleibt - die Band liefert linear und in stetem Zeit-Rhythmus ihr Patentrezept als Album ab, Dagegen kann man nicht viel haben, denn das Rezept hat sich nun mal bewährt, aber für den Aussenstehenden ist in diesem strengen Output kaum ein Unterschied zwischen den Alben auszumachen. Das ist auch im Falle von „Doggerland“ so, ihrer neuesten Platte - wieder hören wir Männerchöre und Mittelalter, Hardrockanleihen und Folkarrangements. Erstaunlich an dem Santiano-Konzept ist dass dessen starrer Popentwurf seinen Authentizitätsanspruch aus der Vorstellung generiert, hier seien Musikanten am Werk, deren Anspruch und Könnerschaft es ist, dies diese Musik hervor bringen. Komponisten und Texter der Lieder der aBand sind aber vielbeschäftigte Songschreiber und Produzenten, die zumeist aus den Schlager und dem Mittelalterrock stammen und einer Band wie Santiano die Lieder auf den scheinbaren Seemansleib schreiben. An der Idee Santiano ist also an sich nichts authentisch und alles männlich.
Doggerland ist im Übrigen ein Gebiet im Nordsee-Becken, das heute überflutet ist - früher aber als Landzunge das Jütland mit Großbritannien verband. Sein mythisches Potential erkannten nicht erst die Song- und Schlager-Schreiber von Santiano sondern in der Vergangenheit auch immer wieder nationalsozialistische Ideologen, die in jenem Doggerland die Urheimat der Germanen phantasierten. Damit will ich nun nicht der Band Santiano nationales oder gar rechtes Gedankengut unterstellen, aber wenn ein paar googelende Texter für Santiano dies hier dichten: „Ich war in Doggerland / Und ich sah seinen Untergang / Jeden der dort verschwand / Hab’ ich gekannt / Ich war in Doggerland / Tief versunken im Nordseeschlamm / Dort liegt das Doggerland“ - dann hätte sich schon einer von diesen dichtenden Männern überlegen können, jegliche ideologische Vereinnahmung mit ein paar Zeilen zu unterbinden. Dass das besungene Doggerland nun anschlussfähig in alle Richtungen in den Tiefen der Nordsee versunken liegt, erscheint mir ein wenig naiv - das müsste nicht sein. Aber statt sich des riskanten Fahrwassers, in das man sich hier begeben hat, bewusst zu sein, geht man lieber kein ökonomisches Risiko ein, potentielle Hörer:innen zu verprellen, deren Weltbild man vielleicht nicht gerade teilt.
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