Ach Freitag, was heute so erscheint

Das Schmierfett von Pop

Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.27/// Augen auf beim Deutschpopkauf & Die Freitagskolumne treffen sich /// Ehrlichkeit ist eine Tugend - da trifft die Band Jante den nagel auf den Kopf: Jemand, wahrscheinlich ein Paar, war bei jemandem, wahrscheinlich auch ein Paar, zum Essen und zum Spielabend eingeladen: „Doch irgendwie, wenn ich ehrlich sein soll, jetzt wo wir uns besser kennen, find’ ich euch gar nicht mal so toll, und die Stimmung ist gedrückt, weil sich keiner traut Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.00 zu sagen, was doch offensichtlich ist: Lass uns bitte bitte keine Freunde sein.“ - den Song finde ich prima, zumal ich über die Situation eines misslungenen Paar-Abends mal ein recht pessimistisches Stück geschrieben habe. Wenn die vier Personen in „Herr Kolpert“ so ehrlich gewesen wie die in dem Song von Jante, es wäre uns viel Theaterblut erspart geblieben; und ich wäre heute allerdings auch kein Theaterautor. Aber hier soll es ja um Pop gehen: Prima Band, prima Thema, melodischer Gitarrenpop, prima Song: Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.25.21Danke! /// Bisschen rauher geht es im Allgemeinen bei der Band „Kicker Dibs“ zu, aber die Veröffentlichung ihres Album „Die Pointe“ flankieren sie jetzt mit dem Song „irgendwo“, der mutmasslich mal als Ballade geplant war und jetzt doch als Song eher Uptempo geworden ist. Aber ist ja auch wurscht: „Ich will irgendwohin mit dir“, heißt es im Refrain, und da ist natürlich eine herrliche Rockzeile; überhaupt: So beiläufig „selig“ machenden Gitarrenrock hört man nicht alle Tage - wenn es solche Bands nicht mehr gibt, können wir’s auch gleich lassen. /// Wer den Neo-Hype und das Comeback der Poptugenden der NDW noch immer nicht glaubt, dem sei auf die Band „Die neue Zärtlichkeit“ verwiesen, die heute ihre zweite Single „Ein Replikant geht durch die Wand“ veröffentlichen: Butterzarter Synthiepop, zurückgehalten produziert und gesungen, dass man sich in der Lakonie an die „Dreiklangdimensionen“ Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.24.49 von Rheingold erinnert fühlt: „Traurige Roboter lesen Zeitung, traurige Roboter sitzen auf Arbeit.“ - irgendwo zwischen konstruierter Naivität und angeeigneter Technikskepsis findet dieser NDW-2.0 seine Skizze, die sich dann schon als Ausformulierung entpuppt. /// Nico Gomez hat mit seiner letzten Single im wehmütigen Pianopop gebadet, sein neuer Song heißt „Keine Lust“ und ist eher wieder tanzbarer Synthiepop: „Verpass meiner Todoliste einen Arschtritt.“, heißt es darin - das ist nicht so unbedingt meine Wiese, aber als Song funktioniert das Ganze schon ziemlich gut, weil die Unlust hier euphorisch und lustvoll rüber kommt: Gegensätze können ja bekanntlich das Schmierfett von Pop sein /// Video-Links /// Jante /// Kicker Dibs /// Die neue Zärtlichkeit /// Nico Gomez ///


Reissverschluss klemmt - was heute erscheint

L7_Bqq3ADie Freitagskolumne /// Die Wohnung als solche oder die nach einer Bleibe ist natürlich ein fester Topos im Setzkasten der Poplyrik; weil das Dach über dem Kopf, ohne dass man etwas dafür tun muss, mithin allegorisch ist: Wo soll ich hin? Wo bin ich zuhause? Solche Fragen sind gestellt, wenn ich die Wohnung auch nur erwähne. Insofern nimmt es nicht wunder, wenn Julia Kautz, ihres Zeichen langjährige und erfolgreiche Deutschpop-Songwriterin, auf eben diesen Kniff zurück greift und den Text ihrer zweiten Solosingle „kaputt“ so beginnt: „Eine Zweiraumwohnung mit einer Einbauküche ist das Verliess der düsteren Gedanken“; dazu hören wir glasklare Synthieflächen und simplen Gesang - weit und breit kein Verließ und keine düsteren Gedanken. Das macht aber ja auch nix: Eine Musik-Text-Schere kann ja sehr produktiv sein, aber hier kommt nicht so recht Wind in das Lied, das auch immerhin kaputt heißt, ohne irgendwo kaputt zu sein. Da Julia Kautz aber aber eben gewieft genug ist, Sprachbilder für Popsongs zu kreieren, die zwar naheliegend sind, aber dennoch Räume eröffnen, merkt man nicht, dass dieser Song wohl ein wenig langweilig ist - und genau in diesen Widersprüchlichkeiten ist das Ganze dann doch wieder spannend oder macht jedenfalls Lust darauf, weiter zu verfolgen, was diese Sängerin noch so veröffentlichen wird. GhnnY7Ly/// Was Julia Kautz an Professionalität und Erfahrung mitbringt, kann Rahel, aus Wien, so nicht vorweisen, aber das ist vielleicht auch ganz gut so: Ihr in den 80ern, Austropop und Indierock gebadeter Soundentwurf lebt zumindest auf ihrer heute erscheinenden Single „Schaffner“ von einer gewissen Wuschigkeit, die sich ihrerseits aus einer gehörigen Portion Naivität speist. Mir gefällt das sehr gut; der Song klingt anfangs zumindest sehr nach Mia Diekow und ihrem fantastischen Album „Ärger im Paradies“ (kleine Randnotiz *), dann aber hört man auch sehr Wien und Pop aus Bilderbuch aufscheinen: „Siehst du jetzt wie gut es ist / Dass du doch noch geblieben bist / Das Tischtuch im Speisewagen / Passt zu rosa Schnurrbarthaaren / Alle ham vergessen / Ob sie männlich oder weiblich waren / Den Strohhalm durchs Fenster / Einfach in das Meer hinein / Es ist gar nicht salzig / Es ist echter Veltliner Wein.“ - wunderbar getextet! /// In den 80ern gab es ja das Internet noch nicht, aber es gab Posterversandhändler, die den Preis für jedes Einzelposter verringerten, je mehr man bestellte, und daher gab man dann die Kataloge in der Schule rum. Ein Subgenre der damaligen Postermotive waren die schicken Männer, die Autoreifen durch die Gegend trugen, wer immer so Bildschirmfoto 2023-09-08 um 11.30.51etwas bestellte, aber Ben Zucker, jene Kreuzung aus Helene-Fischer und Hans-die-weißen-Tauben-sind-müde-Hartz, hat sich nun an diese Autoreifen tragenden Männer erinnert und ist auf seinem neuen Album als Autoreifen tragender Mann zu sehen. Das Album heißt „heute nicht“, und es erscheint auch heute nicht, und auch nicht nächste Woche, sondern im Dezember, Weihnachtsgeschäft, ich hör Dir trapsen, aber der Titelsong „heute nicht“ erscheint tatsächlich heute nicht nicht, sondern erscheint heute. Und lässt Schlimmes erahnen: Zucker hat die restlichen Mikrokramm Rock aus seinem Schlagerentwurf gestrichen und klingt jetzt nur noch nach Bumm-Bounce; und mit diesen saudämlichen Texten („Seh ich auch dunkle Wolken am Horizont: Ist mir egal, heute nicht / Und wenn das Chaos auch immer näher kommt: Ist mir egal, heute nicht“), da hat man das Gefühl man hört einem Motivationstrainer bei der gesungenen Zusammenfassung seiner Show: „An einem Wochenende das Mindset für Dein Glück“ zu. Diese Musik ist wirklich entsetzlich. /// Herrlich bekloppt ist auch wieder der neue Song von Alexander Marcus: "Und keinen interessiert es, obwohl es wirklich brennt / Immer mehr Menschen erleben, dass ihr Reissverschluss klemmt" /// * Mia Diekow hat gerade eine Crowdfunding-Kampagne für ihr nächstes Album gestartet, dazu mehr in der nächsten Woche. /// Links: Website Julia Kautz /// Linktree Rahel /// Ben Zucker "heute nicht" /// Alexander Marcus "Reissverschluss klemmt" ///


Snooze-Pool vor deinem Fenster

Heute neu - die Freitagskolumne 010923

GowkyMiQ/// „Einen Plansch vorm Haus, yeah / Es glitzert blau, yeah / Gib mir das, gib mir das, mmmhh / Und mach mich nass“, so singen „Impala Ray“ in ihrem neuen Song „POOOL“; nur echt, glaube ich, mit den drei „O“. In jedem Falle kommt in dem Lied wie zitiert das Wort „Plansch“ vor, und wer mit „Plansch“ an „Bilderbuch“ denkt, die einmal ein Lied mit diesem Titel heraus gebracht haben, der ist auch insgesamt nicht auf der völlig falschen Parellelen-Fährte, wem man den Sound von „Impala Ray“ umschreiben wollten: Synthie-Wave-Fun-Funk-Pop und zwischen allen Stühlen dieses tanzwütigen Mischmaschs, bayrisch irgendwie, Austropop-inspiriert und mit dem nötigem Augenzwinkern. VOR DEINEM FENSTER_COVERDie groovige Versiertheit und taschenspielerische Leichtig- und Dreistigkeit von Bilderbuch hat Münchner Duo noch nicht ganz, aber der Spirit stimmt, und dem nahenden Herbst fächert „POOOL“ trotzig ein paar Sommerhitvibes zu - nice. /// Eher schon in den Vibes des Herbstes fächert sich der neue Song „Vor deinem Fenster“ von „Florian Paul & und die Kapelle der letzten Hoffnung“ auf. Dieser Singer und Songwriter hat mit eben dieser seiner Kapelle einen wunderbaren, deutschsprachigen Vaudeville-Chanson erfunden, der lebens- und liebestrunken Rio Reiser, ZAZ oder „Fleet Foxes“ zuwinkt. Die Platte „auf Sand gebaut“ wurde so zum  „Popticker-Album des Jahres“ 2022 - siehe < hier >. Der neue SnoozeSong nun ist eine aufbrausend melancholische Ballade, wie sie nur diese herrliche Band hinbekommt, und eine Zeile wie „Jetzt sitze ich hier und hab Heimweh und wüsste so gerne wonach.“ dichtet so schnell auch niemand sonst hierzulande. Einfach wunderbar. /// Und einen englischen Song haben wir auch noch: Die junge Musikerin Celia May hat in den 80ern vermutlich auch noch nicht gelebt, aber ihr Soulpop hat in Depeche Mode gebadet, und heraus gekommen ist eine Indie-Ballade für die allgemeine Entschleunigung: „Snooze“. Den Wecker und sich selber zurück in den Schlaf schicken ist hierbei eine Art Symbol gegen den gehetzten Optimierungswahn unserer Zeit - das ist ein großartiger Topos für Popsongs (also ein Popsongtopos), und Celia May also eine echte Entdeckung. ///

Links: Website von

< Impala Ray > /// < Florian Paul > /// < Celia May >


Heute neu - die Freitagskolumne

ET2u7ctg/// Der Deutschpop ist nach wie vor ein Strom von Beständigkeit und einem Füllhorn an Bausteinen, aus denen man auch sechs Jahre nach Böhmermanns „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ hittauglichen Pop zusammen basteln kann. Das ist vermutlich selten brillant aber auch oft nicht völlig blöd. Moritz Ley ringt dem Ganzen nun eine Münchner Hommage an Mittzwanziger ab, die mit Wegbier und Fluppen über Leben und Liebe philosophieren: „wir kennen uns schon seit ein paar monaten / hätt nie gedacht, dass da irgendwas zwischen uns schlummert / doch heute nacht lern ich dich anders kennen / bin nicht der einzige, der hier wen bewundert.“, singt Ley, und es stammen diese Zeilen aus seinem neuen Song „Casanova“, denn die Bewunderte weiß offenbar, dass er einer ist oder hält ihn Yannic Kötterzumindest dafür. Summa summarum kommt dieser Pop ein wenig harmlos um die Ecke, aber will schon was gegen harmlosen Pop sagen - manchmal kann man ihn brauchen. Manchmal brauch es aber auch ein wenig Wut. Vielleicht dann auf einem Album, Herr Ley. /// Mittzwanziger ohne viel Probleme - aber nun auf dem Land, so könnte man den Link zu dem Kölner Duo „colin“ setzen; nun, die wirken in Wirklichkeit noch Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.19jünger als Ley, und unter ihrem Indiepop auf Englisch diesmal schlummern schon auch Risse und Abgründe, und dennoch oder gerade deshalb flimmern hier einfache, schöne Melodien durch ihren neuen Song, der „7“ heißt. „2 guys making indiepop“, schreiben die beiden über sich selber - so einfach und schön ist das. /// Wieder ein paar Jahre älter  sind die vier Mitglieder von „Die neue Zärtlichkeit“, aber auch sie sind nicht alt genug, um in den 80ern schon gelebt zu haben, aber in letzter Zeit gibt es ja viele Musiker:innen, die dieser Umstand nicht davon abhält die 80er wieder-erklingen zu lassen. Der Synthie-Pop dieses Quartetts ist versierter Wavemit heutigen Soundmitteln direkt aus den 80ern importiert, während die Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.56Lyrics des neuen Songs „Traum von Dir“ Liebe als Trotz gegen die Abgefucktheit der Welt feiert: „Kaltes Eis wo einmal Erde war / Unsere Luft sie leuchtet Nuklear / Und jeder weiß dass bald das Ende naht, egal / Ich träume von dir / Ich / träume von dir / Soll diese Welt doch untergehen / Ich bleib hier und träum von dir.“; und dann kommt auch noch ein Gitarrensolo: Prima Band, prima Song, prima Zeitreise. /// Wirklich aus den 80ern sind natürlich OMD, die immer noch oder vielmehr wieder mit drei Gründungsmitgliedern beisammen sind und nicht nur ihr musikalisches Erbe verwalten, sondern auch hin und wieder neue Singles heraus bringen - und nun Ende Oktober auch ein ganzes Album. Von eben diesem ist nun der Titelsong vorab erschienen: „Bauhaus Staircase“ ist eine typische OMD-Uptempo-Nummer, die mit beiläufigem Beat und flächigen Synthiesounds einen unterkühlten Bombast sucht.; das mag redundant sein, aber ich liebe es. ///

Links:

Moritz Ley / Casanova / < video >  (Premiere 25.08. um 15 Uhr)

colin / 7 / < video > 

Die neue Zärtlichkeit / < website >

OMD / Bauhaus Staircase / < video >


Heute neu - die Freitagskolumne

Cover - EP - HeißKalt - Paula Carolina credits_ Sophie LöwNicht völlig zu Unrecht spricht man im Jahr 2023 von eine Anstieg der NDW-Referenzen bei jungen Musiker:innen. Was dabei wiederholt vergessen wird, ist das die neue deutsche Welle durchaus auch der deutschsprachige Postpunk gewesen ist, dass diese deutsche Pop-Welle ihre Wut und ihren Humor aus dem Punk bezog damit Punk nicht (nur) überwand - sondern weiter schrieb und zitierte. Das ist ein Element der NDW, auf dass sich heute weniger bezogen wird - aber bei Paula Carolina ist das anders. Die hat den Wut- und Befreiungsgestus, den Witz, Zynismus und die Provokationsfreude des Punk, bezieht sich musikalisch ohne Retrogedöns auf die NDW - und hat dennoch oder gerade deswegen ihren eigenen, eigensinnigen und unfassbar heutigen Popentwurf. Ihre fünf letzten Singles bündelt sie nun, ein oft gesehener Move in der VÖ-Dramaturgie in heutigen Zeiten, zu einer EP, die wiederum benannt ist nach einem neuen Song - „heiß & kalt“. Dieser bunte Popstrauss-Potpurri erscheint heute, und wenn man die sechs Songs in einem weg hört, hat man unweigerlich gute Laune: Sprachwitz und Feminismus, Wortbiss und Rockriffs, Pop und Punk-Attitüde wie aus einem Guss, vor allem wie Paula Carolina vom rhythmischen Singen ins Rappen und zurück ins melodische Intonation wechseln kann, ist groß - ein Wahnsinnstalent deutschsprachiger Popmusik; und „heiß / kalt“ ist eine EP, die vom Ideenreichtum quasi ein Album ist.

< Website Paula Carolina >

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Bildschirmfoto 2023-07-21 um 14.29.27Der Song „Hirn“ der Hamburger Band „DiNA“ zusammen mit dem Berliner Liedermacher Tristan Brusch ist schwer zu ertragen, denn hier ist das singende Ich ein Mann, der offenbar seine Frau umgebracht hat. Femizid ist an sich schon ein nicht gerade oberflächliches Thema für einen Popsong, aber aus Täterperspektive gesungen wird das Ganze zu einem Vorhaben jenseits der Beiläufigkeit des Mediums Popmusik - hier bräuchte es fast schon eine Triggerwarnung. Denn das beiläufige Hören, das Weghören oder die temporäre Annahme, hier höre man nur die Metapher einer Trennung, die in tiefer Depression und Düsternis erzählt wird, bedarf schon so viel innerer Verdrängung, dass es in der Summe leichter scheint, sich der Wahrheit zu stellen: Dass das singende Ich in diesem Lied ein Mörder ist. Die Frage, was hier erreicht werden soll, muss erlaubt sein, und man kommt auf der Suche nach einer Antwort nur auf die Idee, dass der Song eine Art Katharsis mit sich bringen könnte, eine innere Reinigung durch Abschreckung. Das wiederum ist ein Effekt, der in der Popmusik quasi noch nicht versucht wurde, sieht man vielleicht einmal von Falcos „Jeanny“ ab, der als Popsong ökonomisches Kalkül der Provokation sowie Doppeldeutigkeit und Schmäh mit sich brachte; und spätestens mit dem Sequel „Coming Home“ konnte man zudem mit Fug und Recht annehmen, dass Jeanny lebt oder aber ohnehin nur das Hirngespinst eines Irren ist und also nie gelebt hat. In dem Lied „Hirn“ ist all zu deutlich, dass wer hier besungen wird, unwiederbringlich tot und ermordet in einem Flur liegt, das Ganze ist verstörend scharf getextet, mit emotionaler Tiefe und doch genügend distanziert gesungen und dramaturgisch geschickt gebaut. So könnte man also abschliessend sagen: Ein grandioses Lied; das ich persönlich aber trotzdem kein zweites Mal hören möchte.

< Video Hirn >


Songs zum Sonntag 160723

Bildschirmfoto 2023-07-16 um 12.49.11/// Wer der Ansicht ist, die Welt brauche kein weiteres Cover von Radioheads’ „Creep“, wird sich vermutlich durch die Version der Französin Jeanne Bonjour nicht eines Besseren belehren lassen - die junge Popsängerin bringt den Evergreen als Indie-Chanson im Synthpop-Gewand. Oder andersherum formuliert: Wer französischen Lounge-Pop, der im Chanson badet, liebt, wird auch Bonjours „Creep“ mögen, Radiohead-Ultras werden wahrscheinlich eher mit den Augen rollen. Ich jedenfalls liebe das Jeanne Bonjours Version < Hier > der Link zum catch Video. Bildschirmfoto 2023-07-16 um 12.50.12/// Und wer auf Synthiepop mit französischen Texten steht, könnte auch die neue Single von „La Couleur“ lieben, ein Trio aus Québec, wie überhaupt die französierendste Musik derzeit aus Kanada zu kommen scheint: „Autobahn“ ist, anders als man vermuten mag, kein Kraftwerk-Cover sondern ein Roadtrip aus eigener Feder: Funky Flächen, catchy Bass und viel Remiszenzen an den Pop von St Etienne - was will mehr? Qu’est-ce que to veuy enplus? Ihr findet den Streamlink zum Song auf Bandcamp < hier >. Bildschirmfoto 2023-07-16 um 12.50.47/// Nico Gomez, ganz andere Wiese, könnte mit dem Namen natürlich auch als Spanier durchgehen, und seine neue Single heißt denn auch „Barcelona“ - ist aber kein spanischer Song: Was als Klavier-Ballade beginnt, findet mit seichtem Beat und viel Echo-Einsatz seine Breite im Deutschpop. So ganz kommt man nicht dahinter, was jetzt das Problem vom Sänger-Ich dieses Liedes ist: „Du bist gemeinsam mit den Girls in Barcelona / Und ich allein in Bildschirmfoto 2023-07-16 um 12.49.27kurzer Hose am Klavier / In deiner Story trägst du meinen Pullover / Und eigentlich wär ich jetzt gern bei dir.“ - nun gut, er vermisst seine Freundin und freut sich „drauf, wenn du mich wieder in den Arm nimmst / Und bis dahin schreib ich dir noch ein, zwei Songs“ - da könnte man schon mäkeln, hier sind jemand von seinen Luxus-Problemen, die er durch den Song, den wir gerade hören, bereits überwunden hat, aber wenn man von dieser Haltung Abstand nimmt und „Barcelona“ ohne diese Deutung wieder von vorne hört, nimmt man ihm den Pathos auch wieder ab. Das Video zum Song gibt es < hier >. /// Dass sich heutige, junge Pop-Musiker:innen wieder auf die NDW beziehen, ist mehr als ein Gerücht - die Band „Die neue Zärtlichkeit“ hat Bildschirmfoto 2023-07-16 um 12.49.47sogar das Ungestüme, Postpunkige der neuen deutschen Welle Zitatgepäck: „Tokio Girl“ ist ein deutsch-englischer Synth-Punk-Song, der gleichsam melodisch wie aggresiv daher kommt. Diese Band ist für mich eine echte Entdeckung, aber noch findet man nicht viel im Internet von ihr - aber eine Aufbau befindliche Homepage gibt es immerhin. /// Die Kicker-Dibs haben im NDW-Seminar auch nicht gefehlt, dennoch würde man als ihre deutschpoppige Referenz vielleicht eher die frühen „selig“ nennen - ihre neue Single „Wenn das hier keine Liebe ist“ ist melodischer Punk par excellence (< Hier > der Videolink), Powerchords und Zigaretten von jungen Männern gehen auf die Zwölf. Wenn es solche Bands nicht mehr gibt, ist Pop am Ende. ///


Unterwasserbeat

Gloria Nussbaum und ihre neue, wunderbare Single "water"

TWADRhssAls ginge auch der Beat unter Wasser, oder man höre den Song „Water“ mit den Ohren im Selbigen, so hingehuscht und daher gehaucht hört sich die neue Single der Sängerin und Songschreiberin Gloria Nussbaum an. Obgleich diese noch kein Album veröffentlicht hat, kann man auch in den letzten drei Singles dieses Jahres im Unterschied zu ihrer ebenfalls aus 2023 stammenden EP „Camel Blues“ eine Entwicklung erkennen; klangen die Songs auf dem Mini-Album noch nach elektronisch aufgepopten Indierock oder gar -folk, sind Nussbaums neuere Veröffentlichungen bekennend elektronischer und schubladenmässig im Bereich des Synthipops zuhause. „Water“ nun, heute erschienen, kommt so unterspannt und leichtfüssig daher, wie es vielleicht nur Wasser kann - eine simple, fast bluesige  Singmelodie durchstöbert Synthieflächen und einen erwähnt wie im Flüssigen verschwindenden Beat. Das Ganze scheint so lässig aus der Hand geschüttelt, wie man das eigentlich nur von Lorde kennt. Gloria Nussbaum ist in ihrer Biografie und ihrem Popentwurf eine Globetrotterin und, um das Wortspiel einmal gemacht zu haben, mit vielen musikalischen Wassern gewaschen und jenseits von Wortspielen in Sachen Popmusik ein riiiiiesiges Talent. (Ich sag mal ganz nebenbei, dass ich Selbiges vor vier Jahren über "Jain" und ihren Song „Makeba“ gesagt habe - und zwar < HIER > -  und nun wird dieser Song urplötzlich zum weltweiten Hit auf tiktok und instagram - schauen wir also mal, wo Gloria Nussbaum in vier Jahren steht. Ihr erfahrt es bestimmt hier, im Popticker.)

 


Heute neu - die Freitagskolumne

Jbs/// Jocelyn B. Smith habe ich durch meine ehemalige Mitbewohnerin in Berlin kennen gelernt, das muss etwas 25 Jahre her sein, da haben wir sie live gesehen. Heute ist sie immer noch als Popmusikerin aktiv, inzwischen durch das Musical „König der Löwen“ deutlich bekannter. Heute erscheint eine neue Single von ihr, „Dancing In The Dark“ (nein, kein Springsteencover) - ein Dance-Soul-Song mit housigem Uptempobeat. Kompositorisch mag das nicht das Nonplusultra sein, aber Jocelyn B. ColinSmith hat eine Stimme, mit der auch mittelmässige Nummern großer Pop werden. Wie sie dann im Video mit der beinahe 80-jährigen Stilikone Günther Anton Krabbenhöft tanzt, ist so unwiderstehlich charmant, dass man über diese Veröffentlichung eigentlich nur glücklich sein kann. /// „Call Me A Mess“ nennt das Kölner Duo „colin“ ihre neue Single - während im Text die Entropie des Alltags von Mittzwanzigern besungen wird, geht es musikalisch eher 60d9992a-9023-09ec-9619-c080f46e9aaf britisch verhalten zu und das im klassischen Gewand versierten, Gitarren wie Synthiesounds enthaltenden Indiepops. Der Song kommt wenig aufregend daher, aber die unbeschwerte Dreistigkeit, sich einen Popsong lang Zeit zu nehmen, von inneren Chaoszuständen zu erzählen, empfinde ich als befreiend und wundervoll melancholisch. Da finde ich mich selbst wieder, obgleich die beiden Typen von „colin“ altersmässig vermutlich meine Söhne sein könnten. Da sie es aber nicht sind, kann ich guten Gewissens sagen: Bloss nicht aufräumen, Jungs. /// Da geht es bei Julia Kautz ein wenig aufgeräumter zu, womit ich wohl den „Heribert Fassbender“-Award der konstruiertesten Überleitungen bekommen könnte. Julia Katz jedenfalls ist versierte Songschreiberin für zum Beispiel Wincent Weiss, Cassandra Steen oder Max Mutzke; und das hört man auch ihrer Single „Utopia“ an - im Guten wie im etwas Statischen: Kautz beherrscht versiert die klassische Mechanik des Deutschpop, ein melancholisches Flussbett für Hörer:innen zu machen, die gänzlich unmelancholisch sind, durch die man dann einen melancholischen Uptempofluss fliessen lassen kann - so ist der empfundene Kitsch quasi ein sich selbst prophezeiendes Perpetum Mobile der Traurigkeit für untraurige Menschen. An sich kann ich damit also nicht so viel anfangen. Im Falle besagter Single „Utopia“ aber steht dem hoch professionellem Songwriting die skizzenhafte Machart entgegen: Hingehuscht produziert klingt dieser Song so, als sei er dafür gemacht, für ihn eine Sängerin zu finden, für die man ihn dann ausformuliert, aber genau das etwas Unfertige der Machart und der unterkühlte Gesang fangen für mich ganz fluffig den sich selbst Bildschirmfoto 2023-06-30 um 11.24.54prophezeienden Kitsch auf. /// Das Lied „rosarot“ hat seinen Sänger sozusagen gefunden und ist ausproduziert - wenngleich die Machart hier sicherlich zurückhaltend ist, ein Ballade über einen One-Night-Stand, von dem sich das singende Ich mehr erhofft hat und noch immer erhofft - die Suche nach Liebe also, der Pop so viel zu verdanken hat, hier ist auch wieder. Moritz Ley gibt sich hier verschwindend bis zerbrechlich still, und wer kürzlich Ähnliches erlebt hat, wie erwähnt singendes Ich dieses Liedes, wird hier vermutlich in Tränen ausbrechen - also: Ein Song, der seine Berechtigung FNsZDmzuhat, aber hallo, auch wenn er mich persönlich jetzt nicht anspringt. /// House, Soul, Pop, Funk, Jazz - alles diese Stile könnte man nennen, wenn man den Song „Falling For The Music“ von Olga Dudkova auch nur 30 Sekunden hört - und das bleibt auch so. Ein Song, der sozusagen die eigene Multistilistik dadurch feiert, von der Musik als solchen zu handeln. Und dann auch noch eine fantastische Soul-Stimme einer Globetrotterin - wer hier nicht das Gefühl bekommt, einen kommenden Superstar zu hören, von dessen Bahnhof fahren auch nicht mehr all zu viel andere Züge. ///

links

Jocelyn B Smith "dancing in the dark" < audio >

colin "call me a mess" < audio >

Julia Kautz "utopia" < audio >

Moritz Ley "rosarot" < video > (Video-Premiere: 20.06. um 17 h)

Olga Dudkova "Falling For The Music" < video > (Video-Premiere: 20.06. um 19 h)

 


Songs zum Sonntag /// 040623

Bildschirmfoto 2023-06-04 um 15.42.17/// „Wir wollen alles und ein Happy End.“, singt Anika Auweiler in ihrem neuen Song, der auch so heißt: Wir wollen alles. Das erwünschte Happy End ist ihr programmatischer Ausruf zum Beginn des Pride Month, und mit allem, das sie wollen, meint Auweiler queere Sichtbarkeit im Alltag- und Mediengeschehen. Dazu hat sie sich für das Musikvideo von 16 Vereinen und Netzwerken kurze Clips schicken lassen, die sie zu einem Kurzfilm montiert hat. Cover1Der Song selber ist eine Piano-Uptemponummer bei der der Einsatz von Autotune für mich ein wenig fehlplatziert klingt - es passt einfach nicht recht zum sonst sehr authentischen Gestus des aktivistischen Liedes. /// Auch bei AMAU gibt es Autotune - aber hier scheint häuslicher: Deutsch-Soul mit Funk-Gitarre. Der Song „ich und meine Homies“ klingt, als wäre AMAU eine ein Wiedergänger des leider schon verstorbenen Edo Zanki. Kann man machen - ist aber nicht so sehr meine WIese. /// Auch Gloria Bildschirmfoto 2023-06-04 um 15.35.53Nussbaum nutzt den Stimmefekt Auotune - sie aber  eher für flächig geschichtete Hintergrundchöre ihrer neuen Single „INK“. Der Song klingt damit, als würde eine Synthiepopband in einer Kirche auftreten. Während wir es bei ihrer kürzlichen erschienenen Single „Maze“ und auf der seit Anfang des Jahres erhältlichen EP „Camel Blues“ eher mit elektronisch unterfütterteten Indierock zu tun hatten, sind wir mit „INK“ nun bei blubberndem Elektropop. Wenn noch irgendwo Gitarren zu hören sind, gefällt mir der Nussbaumsche Popentwurf besser, aber die tremolofrei eingesetzte Folk-Stimme mit jazzigem Timbre dieser tollen Sängerin macht das allemal wett. /// Videos /// "Wir wollen alles" /// "ich und meine Homies" /// INK - ist noch nicht erschienen ///


Songs zum Sonntag /// 280523

Bildschirmfoto 2023-05-28 um 11.33.39/// Die trotzige Popfarbe, die Carla Lina ersingen kann, macht auch ihre neue Single „Lift Me Up“ zu einem Song, bei dem man sich in zweiter Instanz fragt, ob er eigentlich aus dem Jazz oder dem RnB kommt; was aber ja auch wurscht ist. Carla Lina ist auf jeden Fall eine tolle Sängerin, „Lift Me Bildschirmfoto 2023-05-28 um 11.34.27Up“ ist kompositorisch vielleicht nicht der Originalität letzter Schluss, aber Pop erfindet selten das Rad neu, und das wird mit dem Songtitel, der auch schon mal da war, auch nicht suggeriert oder gar versprochen. Ich verspreche aber, dass ich Carla Lina im Auge behalte. Oder im Ohr, je nachdem. /// Das neue Album von Peter Fox muss ich nicht auch in den Himmel heben, aber glücklich macht mich, und das sei eben doch erwähnt, Bildschirmfoto 2023-05-28 um 11.34.04ein Song darauf: „Toscana Fanboys“ im Duett mit dem wunderbaren Adriano Celentano - das Ding ist so relaxed und reduziert, es klingt schon fast nach Gorillaz - für mich einer der besten Popsongs des bisherigen Jahres. /// Da kann man natürlich hintendrei auch noch den diesjährigen ESC-Beitrag aus Italien hören, „Due Vite“ von Marco Megini - ein italiano-Schmachtfetzen aus dem Lehrbuch von Eros Ramazotti. Das kann kaum blöd finden. /// Links /// "You Lift Me Up" (video) /// "Toscana Fanboys" (audio) /// "Due Vite" (video) ///