Folk

Brav kann schöner Widerspruch sein

Bildschirmfoto 2023-03-24 um 10.02.18/// „Hide & Seek“ ist die zweite Single der Münchner Sängerin Dimila - aber die erste unter diesem Künstlernamen, der zuvor Meela lautete. Das getragene Folk-Lied wird hier angegangen wie ein Jazz-Song und bekommt davon eine soulige Tiefe, derer die Stimme von Dimila auch gewachsen ist, zumal sie auch die Beiläufigkeit von Pop streifen kann, ohne ihren eigenen Song zu verraten. Bildschirmfoto 2023-03-24 um 10.05.26 Mögen Zeilen wie „Wrong direction, heading home / Physically in company / Being here alone / Even though it’s quite early / I drive into the unknown.“ auch nicht der lyrischen Weisheit letzter Schluss sein, so ist der Song dennoch eine Pop-Perle, und man darf bei der frisch getauften Dimila gespannt sein, was da noch so alles kommt. /// Andere Wiese, anderes Genres „Kicker Dibs“ machen astreinen Postpunk, der ja derzeit wieder angesagt ist, und sie veröffentlichen Bildschirmfoto 2023-03-24 um 10.02.41heute ihre neue Single "die Pointe". Hier geht’s nach vorne, auch wenn man Zeilen wie „Für ein kleines bisschen Liebe / Wär der Moment jetzt gerade nicht schlecht.“ in einem anderen musikalischen Genre verankern könnte, von Deutschpop bis Schlager wäre hier alles denkbar. Dadurch schimmert immer auch ein wenig Bildschirmfoto 2023-03-24 um 10.06.02Bravheit durch, aber vielleicht ist gerade dieser Gegensatz der Reiz. /// Naja, bisschen brav wirken auch „Schnaps im Silbersee“, aber eventuell liegt das am Namen, und der damti verknüpften Erwartung, dass man Schnaps-getränkten Partypop bekommt. Bekommt man irgendwie auch mit ihrer neuen Single „nichts mehr“ - aber er kommt lässig und im Reggae-Offbeat daher, und wer „Kunst ist voll mein Thema, ich geh ab zu Moritz Krämer:“ reimt, den finde ich sowieso erstmal gut. /// Leichter Tom-Beat, jazzige Gitarren-Licks, wenig Synthies - mehr braucht Peter Fox nicht für seine neue Single „weisse Fahnen“ - so reduziert hat er noch nie geklungen, sehr chillig, sehr trocken, sehr gut gemacht. /// Video-Links /// Dimila < hide & seek > ///Kicker Dibs < die Pointe > /// < Schnaps im Silbersee > /// Peter Fox < weisse Fahnen > ///


Songs zum Sonntag 190323 ///

Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.57.27/// Olliso nennt sich ein Sänger und Songwriter aus Berlin, und wenn man den Namen ein wenig flapsig kumpelhaft herleiten würde, „Ich so zum ihm, und Olli so zu mir“ - dann passt das auch ein wenig auf diese kumpelhafte, zerbrechliche, akustische Musik dieses Musikers. Sein am Freitag erschienenes Lied „nur Du“ ist seinem Sohne gewidmet und auf englisch geschrieben - wechselt im Refrain dann aber ins Deutsche. Das Lied ist durchaus anrührend, aber Oliisos Englisch passt für mich nicht so recht in rein, und man hört das Deutsche in der Aussprache durch. Macht aber nichts, leise Lieder braucht die Welt dennoch … Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.57.05/// Ein solches ist auch „Fuchs“ von LEA von ihrem kommenden Album „Bülowstrasse“, bei dem es sich augenscheinlich um ein Konzept-Album handelt: Die meisten Lieder haben nur „Hausnummer 4“,“Hausnummer 7“ und so weiter zum Titel, und auch der Fuchs dieses Songs scheint in der Bülowstrasse zu hausen, und LEA fühlt sich so wie dieser, und sie „nie sein wie ihr“, denn „ihr ihr seid alle gleich, ihr wisst’n Scheiß“ - man kommt nicht so recht dahinter, wie sie das meint, denn uns, ihr Hörer:innen, kann sie ja eigentlich nicht meinen; das wäre jedenfalls Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.56.22ein wenig unverschämt, Leuten entgegen zu singen. Wie dem auch sei: Der Song ist eine klassische Deutschpopballade mit seichten Klavier-Akkorden, zu denen LEA zunächst rappt, den Refrain aber singt, und erst nach dem zweiten Refrain schichtet sich ein elektronisch verfremdeter und daher nach Bläser-Sätzen klingender Chor zu einem B-Teil, nach dem das Lied dann ausklingt. Das ist ungewöhnlich und verdammt gut gemacht aber auch von dieser merkwürdigen hochtrabigen Deutschpop-Emotions-Suppe. /// Unterdessen frage ich mich, wie es die gute alte Jennifer Rush auf einmal wieder in die Charts geschafft hat - konkret mit einem House-Remix von „Ring Of Ice“, der aber dennoch noch genug nach 80er klingt. Irgendwie finde ich das gut - aber das Original ist trotzdem besser. ///

/// Video-Links /// Olliso "nur du" /// LEA "Fuchs" /// Jennifer Rush "ring of ice" (Original) ///


"Vielleicht bin ich einfach nur ein Dickkopf"

Der Sänger- und Songwriter Sören Vogelsang ist seit 14 Jahren hauptberuflich Musiker, seine Musik ist Folk mit deutschsprachigen Texten. Am heutigen Freitag den 10. März 2023 erscheint seine neue Single "Nerd", und ebenfalls mit dem heutigen Tag beginnt Vogelsangs Crowdfunding-Kampagne für sein neues Album. Grund genug mal ein paar Fragen zu stellen - das erste waschechte Interview des Poptickers, das wir diese Woche per Mail geführt haben

Lieber Sören Vogelsang, ihr neues Lied heißt „Nerd“, ihr letztes war „Asoziale Medien“. Gleichzeitig liebäugeln Sie und ihre Musik immer ein wenig mit dem Mittelalter, dem man den Nerd und Instagram eher nicht zuordnen würde. Welcher Zeit fühlen Sie sich näher - dem Heute oder dem Mittelalter?

Nerd CoverDefinitiv dem Heute. Ich habe 2008 mit Songs auf YouTube angefangen, mache seit mittlerweile 4 Jahren regelmäßig Musik auf Twitch und das neue Album heisst „Optimismus Prime“, was sehr offensichtlich nichts mit Mittelalter zu tun hat. Ich würde tatsächlich auch nicht sagen, dass ich mit meiner Musik mit dem Mittelalter liebäugele. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Auf meinem ersten Album „Augenblick“ war die Mittelalter-Folk Musik noch sehr stark vertreten, aber auch hier gab es mit Irgendwann, oder Langeweile schon Lieder, die man auf einem Mittelaltermarkt eher weniger hören würde. Mit dem zweiten Album „Fernweh“ habe ich mich dann komplett dem Singer-Songwriter/Pop zugewandt, da gab es keine mittelalterlich anmutenden Songs mehr, weder musikalisch noch textlich.

Ich habe allerdings in diesem Bereich 2010 angefangen Musik zu machen und habe aus der Zeit auch noch viele Fans. Wir haben mit der Band das CD Projekt „LARP“, auf dem wir bekannte Songs der Liverollenspielszene live im Studio (ohne Dubs) spielen. Auch treten wir weiterhin mit unserem Mittelalter-Programm noch immer auf solchen Veranstaltungen auf. 

Dank der in den letzten 10 Jahren stark gewachsenen Szene ist es heutzutage auch keine „Frevelei“ mehr, wenn die Songs auf der Bühne durchaus einen modernen Touch haben und der Sänger dort eben nicht mit Knickhalslaute, sondern mit Gitarre steht. Es ist schön, dass wir mittlerweile auch auf diesen Konzerten zwischendurch eigene, moderne Songs singen können, ohne anzuecken.

Ich liebe die Szene und ich mag auch mittelalterlich anmutende Folk Songs, aber meine und unsere Richtung ist mit dem letzten Album gelegt worden und wird mit dem kommenden Album konsequent weitergeführt. Aber wie gesagt: Es sind zwei Seiten einer Medaille und es wird auch eine LARP Vol. III erscheinen.

Die Musik, die es von Ihnen gibt, hat, egal ob sie vom Mittelalter oder von heute erzählt, einen sehr unverstellten Klangcharakter, sehr akustisch und wenig „produziert“ im Sinne von Sound-Effekten (sieht man mal von einem kurzen Autotune-Einsatz in „asoziale Medien“ ab), auch die Texte kommen auf sehr direkte Weise auf den Punkt, den sie machen wollen. Das Ganze wirkt dadurch sehr unverstellt. Macht man sich mit einem solchem Popentwurf nicht auch furchtbar angreifbar?

Bildschirmfoto 2023-03-09 um 16.05.43Ich bin tatsächlich kein großer Fan vom Drumherum-reden. Weder im Alltag, noch in der Musik. Hamburger Schule, in denen alles zerfasert und ver-metaphert wird, finde ich eher anstrengend. Ich kann nicht nachvollziehen, dass man Menschen ohne ein bestimmtes Bildungsniveau aktiv von seinen Songs ausschließen möchte. Klar mache ich mich damit auf der einen Seite absolut angreifbar, aber auch ohne das „an“, ich mache mich und meine Musik greifbar. Meine Texte sind leicht zugänglich, aber, (so hoffe ich zumindest) trotzdem nicht platt. Sehr viel im Radio ist komplett platt-produziert. Da fehlt für mich die Seele, das Atmen.

An die letzte Frage anknüpfend: Sie sind auch Schauspieler und haben sich in der LARP-Szene („Live Action Role Playing“) einen Namen gemacht. Wie viel Kunstfigur steckt in Sören Vogelsang, wenn sie nun unter diesem Namen Lieder singen?

Kurz: Nichts.

Ich bin so wie ich bin. Ich habe keine Lust mich zu verstellen. Klar, wenn ich schlecht drauf bin, versuche ich es mir natürlich nicht anmerken zu lassen und den Leuten natürlich trotzdem eine schöne Zeit zu machen, aber auch das kennt sicherlich jeder.

Anders ist das bei meinem Comedy-Musik Duo „Das Niveau“. Hier spiele ich immer wieder auch eine Rolle auf der Bühne.

PressefotoIn vielerlei Hinsicht wirkt ihre sehr authentische Musik aus der Zeit gefallen, ich habe den Eindruck, sie schert sich auch in keiner Weise darum, auf Streaming-Plattformen zu funktionieren. Finden Sie es blöd, wenn ich daraus schliesse, dass sich Ihre Musik eher nicht an junge Leute richtet?

Nein, Sie haben durchaus Recht. Klar, auch ich habe jetzt so einen TikTok Account, aber eher, weil mich Technik und Neues interessiert, nicht, weil ich auf „Teufelkommraus“ versuchen will dort jetzt „meine Brand zu platzieren“. Ich finde die Musikwelt sehr anstrengend. Ich habe viele gute Freunde, die in den letzten Jahren mit ihrer Musik sehr bekannt geworden sind und mit großen Labeln im Rücken im Mainstream stattfinden. Versengold, Saltatio Mortis, Faun, Mr. Hurley und die Pulveraffen. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite spielt man in ausverkauften Hallen, findet im TV statt, ist „relevant“, auf der anderen Seite muss man immer auch Dinge tun und Lieder spielen, auf die man selbst absolut gar keine Lust hat. Es ist eben ein Business. Auch ich bin natürlich in diesem Business tätig, aber ich versuche das so gut es eben geht, nach meinen Regeln zu tun, ohne das ich mir von außenstehenden sagen lassen muss, was ich als nächstes zu tun habe. Reich werde ich damit sicherlich nicht, aber das ist auch nie mein Ziel gewesen. Ich mache Musik und kann davon Dank meiner Patreons und den Unterstützern auf YouTube und Twitch okay leben. Das reicht mir. Ich mache das, was mir Spaß macht.

Anders gefragt: Sie nutzen zur Promotion Crowdfunding-Plattformen wie eine Patreon-Seite und ab dem 10. März sammeln Sie nun Mittel zur Finanzierung ihres nächsten Albums - macht sie das unabhängig von Druck von Plattenfirmen, Promotor:innen und so weiter, oder raubt das auch Zeit, die Sie als Künstler dann weniger haben?

Man ist immer abhängig. Das ist in jeder Kunstrichtung so. Ob nun von großen Plattenfirmen, oder von den Fans. Aber ich muss sagen, ich bin lieber von den Menschen abhängig, die meine Musik schätzen, als von Leuten, die meinen zu wissen, was gut für meine Musik ist.

Noch mal zurück zur ihrer neuen Single „Nerd“, denn aus Anlass ihres Erscheinens findet dieses schriftliche Interview ja statt: Früher war der Nerd eher eine Figur Abseits der Gesellschaft, heute ist sie eher positiv konnotiert, und irgendeinen Spleen pflegt jeder, der was auf sich hält. Haben Sie auch einen?

Einen? Hahahahaha!

Im Lied „Ich bin ich“ aus dem letzten Album „Fernweh“ besinge ich sogar einige davon.

Ich denke man muss sich nur das Video zum Song angucken um genug zu sehen. Es ist in meinem Wohnzimmer gedreht worden.

- VIDEO-PREMIERE "Nerd" am 10.03.23 um 19 Uhr -

Und auch noch mal zurück zur ihrer letzten Single „asoziale Medien“ - dafür, dass Sie soziale Medien für asozial halten, sind Sie im Netz unfassbar präsent - facebook, twitter, twitch, instagram, discord, blog, reiseblog und irgendein gaming-Kanal, den ich nicht mal verstanden habe. Wie ist ihre Abneigung aus dem Lied mit dieser doch recht hohen Präsenz im Netz in Einklang zu bringen?

Hm, ich denke jeder hat schon mal länger als eigentlich beabsichtigt durch irgendwelche Social Media Timelines gescrollt und sich danach eher schlechter al besser gefühlt. Nun, genau davon handelt der Text. Jeder kennt es, niemand hat so wirklich ultimativ Lust darauf und doch kommt auch niemand so ganz davon los.

Auf der anderen Seite: Ich liebe die Möglichkeiten und ich war schon immer extrem Technik- und Internet-affin. Ich liebe Twitch, die Möglichkeit zu haben dort interaktiv für meine Community Musik zu machen und gleichzeitig, ähnlich einem Konzert, mit den Menschen die zuhören zu interagieren. Wie großartig ist das denn? Auf der anderen Seite sehe ich mit meinen 70 Zuschauern Kanäle auf denen eine leichtbekleidete Dame ihre nur sehr marginal verschnürten Brüste präsentiert und mit keinerlei erkennbaren Talenten von ihren 1500 Zuschauern mit Geld beworfen wird.

Bei sowas wird einem die Ambivalenz der Welt in der man sich dort bewegt erst so richtig bewusst.

Und dann habe ich noch ein über 2-stündiges Gespräch mit Ihnen und Jens Böckenfeld von Große „Freiheit TV“, ein  „libertärer Klima-Wandel-Skeptiker“ - Ihre Geduld dort ist bewundernswert, aber ich habe mich gefragt: Warum tut man sich das an?

Hahaha, gute Frage. Ich hatte erst letzte Woche ein Gespräch mit einem Schauspiel-Kollegen aus dem eher linken politischen Spektrum, der derzeit Memes von rechten Trollseiten auf seinem Facebookprofil postet und sich offen auf seinem Profil mit Russland solidarisiert. Klar, eine Möglichkeit wäre nun den Kollegen schlicht zu blockieren. Aber davon zieht sich seine Bubble ja nur noch enger zu. Also suche ich das Gespräch und versuche zu verstehen, wie man solche für mich völlig abstrusen Gedankengänge vor sich selbst rechtfertigen kann. Ich glaube das geht ein bisschen in die Richtung Chez Krömer. Ich will es einfach nicht unversucht lassen.

Gestern Abend hat mich meine Frau gefragt, an wen sich die Fragen, die da formuliere eigentlich richten, was für ein Mensch das sei, und meine erste Antwort war: Dieser Sören Vogelsang scheint ein ziemlicher Freigeist zu sein. Sind Sie das?

Ich fürchte alle meine Freunde würden hier sehr klar mit einem vehementen „Ja“ antworten.

Ich selbst bin mir tatsächlich gar nicht so sicher. Vielleicht bin ich einfach nur ein Dickkopf. Klar, ich habe Schauspiel studiert, mache seit 12 Jahren hauptberuflich Musik, habe nerdige Hobbies, schlage mich irgendwie durch… das könnte man schon als Freigeist bezeichnen. Auf der anderen Seite führe ich ein eigenes Musiklabel mit mittlerweile knapp 30 Künstlern, mache meine Buchhaltung selbst und bin in ziemlich vielem, ziemlich normal. Das klingt schon fast konservativ. Ich nehme an die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Lieber Sören Vogelsang, ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre vielfältigen Aktivitäten - vor allem natürlich für Ihre Musik & Ihr kommendes Album - bis demnächst.

Vielen herzlichen Dank, bleiben sie gesund und bis hoffentlich bald.

Links:

< Website > von Sören Vogelsang

(wiederum mit Links zu seinen vielfältigen Online-Präsenzen)

 


Womit füll ich jetzt die Strophen?

- Ach Freitag, was heute so erscheint #01 -

/// Die Berliner Band, „Schatz im Sibersee“, im Kern ein Trio, oft, wie es auf ihrem Youtube-Kanal scheint, mit mehr Menschen auf der Bühne, sind an ihrer eigenen Vision eines Klimaschlagers mit Pauken und Trompeten und schönen Streichersätzen herrlich gescheitert; denn ihr heute erscheinender Song „Die Arktis brennt“ mag vieles sein - Schlager ist er nicht: „Ich hab ganz kurz überlegt: Womit füll ich jetzt die Strophen doch dann schaute ich mich um: überall nur Katastrophen! / Hitze, Dürre, Hurricane – Seychellen gehen Baden / Ich frag mich manchmal: Juckt das wen? Wann folgen Worten Taten?“ Zunächst ist das Gesamtpaket dieser sympathischen Band so gar nicht berlinerisch, diese Musik kommt eher vom Land, von Biohöfen in der Uckermark, durchspült von kollektiven Gedanken und netten Leuten. Wenn ich also Scheitern sage, dann meine ich das, vermutlich klang das durch, Kraft meiner Ohren, durchweg positiv. Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Zuhause dieser Musik das Konzert ist - und nicht so sehr die aufgenommene Musik: Wenn man sich den Folk der neuen Single und der anderen Lieder dieser Band anschaut, dann bekommt man sofort Lust, diese Band live zu sehen. Aber gut - wenn das das Ergebnis einer Single ist, ist die Single ganz sicher nicht gescheitert. ///Bildschirmfoto 2023-02-10 um 10.58.57/// Vom Popentwurf her ist Sören Vogelsang sicher nicht so weit weg von „Schatz im Silbersee“ - auch seine Musik ist handgemacht und kaum als Pop produziert. Seine Texte sind jedoch eine Spur melancholischer, zumindest bei seiner neuen, ebenfalls heute erscheinenden Single „Große Freiheit“ ist das so: „Ist díe Straße ausgelatscht, und du wanderst ganz allein, kein Ausweg und kein Trampelpfad schlägst du dich mühsam querfeldein (…), auf dem Weg Richtung Meer.“ - wir befinden uns also höchstens zu Beginn des Liedes in der Uckermark und hören von einem Menschen, dessen Utopie der Weg zum Meer ist. Wobei etwas unscharf bleibt, wer sich hier warum nach dem Meer sehnt, aber das macht ja nichts. Das ist, ich bin da ehrlich, nicht so sehr meine Musik, aber in einem gewissen unerschütterlichen Glauben an die Musik und an den Song ist diese Musik mutig und bewundernswert. ///

Die Videos beider Lieder feiern heute 10.02.2023 um 19 Uhr ihre Premiere

"Schnaps im Silberseee" < HIER > und das von Sören Vogelsang < HIER >


Schüchtern tropfen

Eine Entdeckung: Sophie Hallberg

„Rhythm beats don’t touch my soul“, singt Sophie Hallberg, und genau in dem Moment setzt das Schlagzeug ein. Es ist dies nicht die einzige allegorische Rückkopplung zwischen Text und Musik in diesem famosen Song, der „I had it all“ heißt - an anderer Stelle heißt Bildschirmfoto 2023-02-03 um 09.20.44es „Piano chords, they don`t seem much to me at all / Since you’re gone.“ In erster Ordnung scheint hier eine Trennungsgeschichte erzählt zu werden, den die Verlassene singt, aber spätestens mit der zweiten Strophe muss man fest stellen, dass man vielleicht übereilt interpretiert hat und das singende Ich wohl vielmehr ein Fenster der Befreiung aufgestossen hat: „Tasting freedom is like getting high“, heißt es dann nämlich.

Musikalisch ist das Ganze ähnlich vielschichtig. Man könnte sagen, dass hier ein klassischer Popsong mit den Mitteln von Folk und Soul erspielt und jazzig gesungen wird: E-Piano-Akkorde tropfen schüchtern, dann setzt, ich erwähnte es, der fluffige Beat ein, hier und dann umspielen Gitarre und ein Xylophon (oder?) die Melodie, und auf dem Refrain folgt eine vorsichtig in andere Gefilde verweisende Gitarren-Linie. Produziert ist „I had it all“ zurückhaltend und kompakt.

Sophie Hallberg war vor diesem ihrem Debüt als Solokünstlerin 50% des Indiepop-Duos „SweetLemon“, welches musikalisch einen ähnlichen Entwurf verfolgte, und es wäre auch erschreckend, wenn eine solche Pop-Perle wie dies „I had it all“ die erste Veröffentlichung einer Musikerin wäre. Ich bin jedenfalls jetzt schon Fan dieser Musikerin und freue mich auf eine noch für den ersten Teil des Jahres angekündigte EP.

Link: < Video >-Premiere am 03.02.23, 16 Uhr

 


"Cheap highs on marble stone kitchens"

Bildschirmfoto 2023-01-17 um 12.00.46Die EP als Suchhilfe: Gloria Nussbaum

Die erste EP der Sängerin Gloria Nussbaum zeigt, was die EP zu leisten imstande ist, wenn man auf der Suche nach eigener musikalischer Sprache ist: In einzelnen Singles manifestiert sich nicht mithin schon ein Still, und ein Album bedarf anderer Kraftanstrengungen. Da kann die kurze Langspielplatte ein schöner Zwischenweg sein. Gloria Nussbaum jedenfalls zeigt mit ihrer Debüt-EP „Camel Blues“ einen stillen, nachdenklichen Coming-Of-Age-Folk mit tollem Songwriting und schönem Gespür für Reduktion und Klarheit: „Twenty“ schiebt sich leicht elektronisch in die Fläche, „Highest Highs“ ist klassischer Indierock, „Camel Blues“ findet Pop-Euphorie in Pop-Melodien, „Idly“ ist eine zerbrechliche Piano-Ballade, und spätestens wenn sich in dem weirden Akustik-Song „Climax“ plötzlich Autotune reindreht, ist man an „Soccer Mommy“ oder früheren Freak-Folk erinnert - für mich eine unheimliche schöne Referenz. „Camel Blues“ ist ein kleines, feines Album mit fünf tollen Songs. 

Link: < website >


Poltische Lieder

/// Songs zum Sonntag /// 150123 ///

Why_from_hell_cover/// Der orchestrale Popentwurf, der hinter dem Song „Why From Hell To Redemption“ steckt, fände vielleicht auch auf dem ESC seinen Platz, zumal der verbindende Ansatz, mit dem der Song auf die „women life freedom“-Bewegung im Iran aufmerksam machen will, eine ähnliche Hintertür für ein politisches Statement sucht und findet, wie es beim per se ja unpolitischen Eurovision Songcontest oft gemacht wird. Mit 0-8-15-Pop haben wir es hier freilich aber nicht zu tun. Der Song stammt von Michael Mc Cain, ein offenbar bekannter Produzent und Komponist, der nun ein Pseudonym benutzt, und der Sängerin Agneta Ivers. Er beginnt mit der präsenten Stimme dieser: „See their faces watching over me over me“, und darunter brummen merkwürdige, tiefe Blasinstrumente, das orchestrale Klangbild reichert sich dann mit Streichern, Glocken und einem einfachen Beat. ESC war meine erste Assoziation, aber man könnte sich auch in einem Fall befinden, im Abspann einer Netflix-Serie mit Fantasy-Mittelalter und viel Pathos. Wenn sich ein Song zu solch einem Kitsch aufplustert, kann man mal wieder sehen, zu was Tollem Pop in der Lage ist. Bildschirmfoto 2023-01-15 um 13.58.27/// Andere Band, anderer Sound, andere Sprache - fast Alles ist anders bei „ok.danke.tschüss“; dennoch könnte man eine Parallele zwischen deren neuem Song „Soldat“ und dem zuvor thematisierten von Michael Mc Cain  und Agneta Ivers ziehen: Beide sind der Versuch eines politischen Liedes. Während aber „Why From Hell To Redemption“ erwähnte Hintertür sucht und die Lyrics allenfalls über den Umweg einer poetischen Deutung ein politisches Statement setzen, sind „ok.danke.tschüss“ direkter und konkreter: „Soldat“ ist letztlich die Aufforderung zu desertieren: „Soldat, leg die Waffen nieder, Du hast soviel zu verlieren. Soldat, kehr heim, und komm nie wieder, was willst Du Deinen Kopf riskieren. (…) Soldat lass und älter werden und nicht vor unseren Eltern sterben.“ - diese Lyrics der großartigen Songtexterin Eva Sauter dieser wunderbaren Band erinnern fast an politische Liedermacher:innen wie Walter Mossmann oder Wolf Biermann (der tatsächlich auch mal ein Lied namens „Soldat“ geschrieben hat.) Bei „ok.danke.tschüss“ ist diese ernste, pazifistische Note eine neue Dimension, denn in dem bisherigen Songkatalog (sprich: in einigen Singles und ihrem bislang einzigem Album „kaputt weil’s nicht funktioniert“) finden sich keine explizit politischen Songs - mich bewegt das; sehr. Auch wenn ich zugebe, dass mich „ok.danke.tschüss“ auch bewegen würden, wenn sie das Telefonbuch sängen. ///

/// Links /// „Why Hell Before Redemption“ < Video > /// "Soldat" < bandcamp audio > ///


You are my swimming pool

Die wunderschöne EP „Big Blue“ der fabelhaften Songwriterin Bess Atwell

In merkwürdigen Gefilden der Popmusik gibt es immer solche, die an Merkwürdigkeiten schrauben, die jenseits dessen, wie Popmusik bislang funktioniert haben könnte, Sounds und Strukturen generieren, die man noch nicht gehört hat - so kommt das Neue in die Welt, und das ist sicher auch gut so. Wieder andere musizieren Althergebrachtes erneut, kanonisieren das Bildschirmfoto 2019-11-14 um 14.47.45Dagewesene, indem sie es covern, wieder auflegen, remixen, pflegen und mit neuen Ohren hören wollen. Sicher sind dies nicht die einzigen wesentlichen Strömungen von Popmusik, aber sie nehmen für sich genommen so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die beständig an der Popularmusik als Kulturtechnik weiter Denkenden manchmal im Schatten stehen, Musiker*innen, die Songs schreiben und mit den wesentlich zur Verfügung stehendem Instrumenten erschallen lassen.

Pop würde aber ohne diese Menschen den Boden unter den Füssen verlieren. Und da kommt nun Bess Atwell ins Spiel, im Spezifischen deren neue EP „Big Blue“, welche den Song als Kern der Popmusik anerkennt und mit bekannten künstlerischen Mitteln erklingen lässt - ohne so eine unprätentiöse Popmusik würde sie, die Popmusik, zur Gänze wohl in der Sackgasse landen. Genannte EP umfasst 5 Songs irgendwo zwischen flächigem Folk, gezupften Slowrock und leicht brüchigem Indiepop, simpel gehalten, unaufgeregt produziert und zur Gänze sympathisch und wunderschön. Bess Attwell strickt aus einer Allegorie, einer Idee einen Songtext, der immer knapp über der Oberfläche des Privaten das Allgemeine sucht, feinsinnig Zwischenmenschliches so leichtfertig und lässig singt, dass man sich wieder erkennt, und sich dann oft erst hinterher fragt, warum jemand für die Singende wohl ein Swimming Pool sein könnte - was singt die denn da? Und warum fühl ich mich gemeint, obwohl ich nichts verstanden habe?

Wenn solche Songs nicht mehr gemacht würden, würde auch die Suche nach Neuem einfrieren, insofern zieht der Popticker seinen Hut vor 5 so wunderbaren Liedern.

< HIER > geht es zur Website von Bess Atwell


Weltmusikalischer Glücksfolk

So schön kann Popmusik sein: Vampire Weekend

VwfotbVampire Weekend haben auf schon auf ihren ersten drei Platten die Suche nach dem perfekten (Indie)-Popsong kultiviert - und zwar mit recht eigenwilligen Zutaten: weltbeatige Polyrhythmik, folkiges Songwriting, garagige Drumsounds, poppiges Understatement, rätselhafte Lyrics und über dem Ganzen eine intellektuelle Relaxtheit. So ist das jetzt auch wieder auf Album Nummer vier, mit einem kleinen Unterschied vielleicht: Es fehlt an der ein oder anderen Stelle der Drang, all diese Zutaten zu verdichten, es ist eine Form der Reduktion, dem Perfektionisten hin und wieder das Wort zu verbieten. Mancher Song kommt eher wie die Skizze seiner selbst daher, und so flickert das Album „father of the bride“ immer zwischen Perfektion und Zufriedenheit mit dem ersten Take. Dadurch wirkt es im Ganzen dann manchmal zwar ein wenig inkohärent, zumal es ein Doppelalbum ist, aber so lange diese Band solche Song-Perlen wie auf diesem Album findet, kann das auch egal sein.

Da gibt es das indisch gewürzte „rich man“, das winzige Lied „2021“, welches in eineinhalb Minuten ein Einwort-Ohrwurm kreiert, oder „married in a gold rush“, wo elektronischer Folk im Reggae-Tone mit Duettpartnerin Danielle Haim herauf beschwört wird. Spätestens bei dem anderen Duett mit ihr, „this life“, hier wird Afrobeat mit Rockabilly fusioniert, muss man als nörgelnder Besserwisser die Klappe halten, schlechterdings hingerissen kapitulieren und sich seufzend hingeben: So schön kann Popmusik sein.