Hefte raus: Theorie !

Fünf Forderungen für den ESC 2024

Dsx

von Dietmar Poppeling

- wegen der unklaren Lage bei den Bildrechten vom ESC in diesem Jahr mit Fotos von Rüttelplatten

01 / Wir brauchen schleunigst eine schmissige Verschwörungstheorie zum steten Scheitern der deutschen Beiträge - 2023 wieder nur letzter Platz, da ist doch was oberfaul. Vielleicht ist Bill Gates dran schuld, oder die Jurys werden bestochen oder russische Hacker rächen sich an der waffenliefernden Ampel - an den Beiträgen kann es nicht liegen, denn die sind derartig unterschiedlich gewesen, dass … es an den Beiträgen nicht liegen kann.

02 / Die Zeit zwischen  Veröffentlichung der Songs und der ESC-Finalwoche sollte wenn irgend möglich verkürzt werden - oder man sollte eine Art Rezension-, Reaction- oder Wettsperre einführen, um zu verhindern, dass es zu schnell Favorit:innen gibt. Denn der psychologische Effekt, dass man gerne zur Mehrheit gehören möchte und somit favorisierten Beiträgen zugeneigt ist, darf nicht unterschätzt werden. Schweden hätte in diesem Jahr ohne diesen Effekt eher nicht gewonnen.

Apps03 / Die Anzahl der Finalist:innen sollte noch einmal verkleinert werden, von 26 auf 22, das wäre mein Vorschlag. Das Feld von 26 Songs ist zu groß, und es begünstigt, dass man sich nicht auf Beiträge fokussiert, die GEfallen, sondern auf Beiträge, die AUFfallen, die also sich in irgendeiner Weise von den anderen unterscheiden - und sei es auch nur, weil ein Beitrag favorisiert wird.

04 / Die Jury- und Zuschauer:innenvotes sind auch in diesem Jahr wieder extrem divergent, und tendenziell hat das Publikum klüger gewählt als die Jurys. Musik lebt vom Moment, und ich finde daher, 81bS23HC1CL._AC_UL640_QL65_dass die Jury ihr Votum schon der Generalprobe abgibt, gehört abgeschafft - auch die Jurys sollen nach dem ESC-Final-Auftritten über ihre Punkte entscheiden.

05 / Ich fände es gut, den deutschen Beitrag, auf gewisse Art und Weise zu kuratieren - von Musiker:innen: Ein Team von drei Musiker:innen entscheidet über den Weg der Auswahl, die Art des Liedes, des Beitrages etc. Nehmen wir doch nächstes Jahr einfach Herbert Grönemeyer, Stephanie Klos und Joy Denalane, und diese drei schreiben gemeinsam einen Song und suchen dann ein:e Interpret:in; oder sie suchen eine Interpret:in und schreiben ihr dann einen Song. Oder sie entscheiden sich, zur Dritt nach Stockholm zu fahren. Und im nächsten Jahr machen das dann Ute Lemper, Chima und Bela B - bildet absurde Teams und lasst sie kuratieren.


Ohren auf beim Deutschopopkauf

Bildschirmfoto 2023-04-14 um 12.28.57/// „Hier auf meiner langen Reise bist Du der einzige Passagier“, singt Poul Jacobsen in seinem Song, der auch „Passagier“ heißt. Klassischer Deutschpop könnte man im ersten Moment attestieren, aber hier hört man vor allem aber Bildschirmfoto 2023-04-14 um 12.29.18Rock durch, einen sehr basslastigen Sound-Teppich zudem, wie Indiepop, manchmal klingt PeterLicht so, auch wenn die doppelten Böden hier durch den Rocksieb gefallen sind. Jacobsen schickt dieses Lied einer EP voraus, die den sehr schönen Namen „ein Weg, der so nicht in den Büchern steht“ tragen wird, und auch wenn hier melodisch und lyrisch das Rad nicht neu erfunden wird, ist das Poprock mit einer sehr gesunden Mischung aus Melancholie, Wut und Understatement, das sehr in unsere Zeit passt. /// SOPHIA passt auch in unsere Zeit, in der sich der Schlager beim Bildschirmfoto 2023-04-14 um 12.30.01Deutschpop bedient und der Schlager sich den Deutschpop aneignet - irgendwo auf der Mittelspur der beiden Fahrwasser hat sich ein Subgenre herausgebildet; was erst einmal ein normaler Effekt der Popkultur ist: Scheinbar gegenläufige Phänomene graben sich gegenseitig das Wasser ab, nähern sich einander an, um dann schliesslich im eigenen Substil aufzublühen. So gesehen ist SOPHIA eine Art Kapitänin des neuen deutschen Schlagerpops: Ihre Einsamkeitsgassenhauer blähen Schlagertopoi wie Himmel, Ewigkeit, Kairos, behaupteter Kontrollverlust und so weiter mit den Verheissungen des Bubblegumpops auf: „Ich würde für dich tausend Sterne bewegen, ja, jeden Planeten / Die Erde soll beben / Ich will nur, dass du weißt / Du bist niemals allein!“ - so heißt es in dem Titelsong "Niemals Allein" ihres soeben erschienenen Debütalbums. Unter diesem lyrischen Empowerment liegt ein Soundteppich irgendwo zwischen Mark Forster und Helene Fischer, jedes Lied ist Uptempo gehalten und je nach Euphoriezustand als Ballade oder Eurodance zu antizipieren. Saugut gemacht und überragend öde. /// Da nimmt sich RAUHM einen ganz anderen Raum, obgleich man auch zu der Musik sagen könnte, dass sie sich aus zwei Quellen speist, die sich gegenseitig befruchten: Mit Mitteln des Cloud-Rap zieht RAUHM einen Deutschpopsong über Bildschirmfoto 2023-04-14 um 12.29.36das Wachsein in die epische Breite, die teils eine Breite erreicht, dass der Sing durchfällt. Dennoch: Zeilen, wie die, mit denen der Song „zwei Züge“ beginnt, muss man auch erst einmal schreiben können: „Wir reden übers wach sein /Pupillen werden weit. Zwei Züge später die Gedanken breit dann / Reden wir übers wach sein. Ich meine echte Worte. Sich nicht zu verlieren und jeden Satz auch so meinen.“ - das ist schon mehr als die low fruits allgemeiner Textbaukästen. /// Die neue Platte von „AnnenMayKantereit“ heißt „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ - und so klingt sie auch: Drei junge Männer sitzen bei sich. Ich kann damit nicht so viel anfangen, aber es ist natürlich völlig okay und gut und wichtig, dass es diese Band gibt: „Erdbeerkuchen, den musst Du mal versuchen.“ - wer kann da schon widersprechen? ///

Links /// < website > von SOPHIA /// und von AnnenMayKantereit /// Video von Poul Jacobsen /// Video von RAUHM ///


Eigenblutdoping

Das Eigencover als Album-Konzept - diese Idee hatten „die fantastischen Vier“ und „U2“

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.04.01Zwei Bands, die es schon recht lange gibt, haben Alben herausgebracht, auf denen sie sich selber covern - „die Fantastischen Vier“ und „U2“. Da kann man ja schon mal die Frage aufwerfen, warum Bands zu diesem Mittel des Eigencovers greifen. Promotion-Sprech dürfte sein, dass die Bands wichtige Songs ihrer Karriere einer Frischzellenkur unterziehen, um ihre Tauglichkeit in aktuelleren Popgewändern anzutesten. Zudem bietet das Eigencover ebenso wie das Covern überhaupt auf recht direkte Weise das Potential von Pop im Allgemeinen: Das Neue wieder-erkennen.

Schauen wir also erst einmal auf die beiden Werke im Spezifischen: U2 haben für „Songs Or Surrender“ sage und schreibe 40 Werke ihres Oeuvres neu eingespielt. Darunter sind einige ihrer Hits wie „Where the streets have no name“, „One“ oder „I still haven’t found, what I’m looking for“ (Letzteres haben sie auf „rattle & hum“ sogar schon mal selbst gecovert) - es finden sich aber auch randseitige Lieder wie „11 O’Clock Tick Tock“ oder „Peace on earth“ in dieser Sammlung. Jedes Mitglied hat augenscheinlich 10 Lieder ausgewählt, denn 4 Teil-Alben tragen jeweils die Vornamen der U2s: Larry, Edge, Bono, Adam. Die Band hat die Songs größtenteils entschlackt, ihre Breitwandigkeit eliminiert und mit schlichtem Band-Sound - Bass, Gitarre, Gesang - aufgenommen - merkwürdiger Weise ohne Schlagzeug. Da Drummer Larry Mullen in letzter Zeit ohnehin leicht isoliert in der Band zu sein scheint und bei der Las-Vegas-Residency in diesem Jahr gar nicht spielen wird, nähren sich Spekulationen über dessen Ausstieg, wozu der Popticker jetzt nichts sagen kann. Aber wie dem auch sei: 40 Songs lang U2 ohne gigantische Edge-Gitarren-Flächen, ohne viel Produktionsaufwand, fast durchweg im gleichen Uptempo und ohne Schlagzeug - sorry aber: Schnarch!

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.03.27Fanta 4 haben für ihre „Liechtenstein Tapes“ hingegen 15 ihrer Lieder neu aufgenommen und sich hierfür einen Bandsound ersonnen, der mutmasslich auch von ihrer Live-Band stammt - kaum noch Samples, funky-Bässe und Gitarrenlicks, hin und wieder mischt sich Hall unter Chöre und Bläsersätze oben drüber. Das ist zweifelsohne versiert in die Tat umgesetzt, aber wenn man ehrlich ist: So viel anders als die Originale sind diese Versionen dann auch nicht. Man kapiert einfach nicht den Mehrwert der Eigencover gegenüber ihren ursprünglichen Versionen.

Vielleicht liegt die lähmende Langweile der beiden Alben einfach an dem mangelndem Interesse an der Bands an ihren eigenen den Songs. Mit einer gewissen Berechtigung sind sowohl die Fantas als auch U2 offenbar davon ausgegangen, das Covern eigener Songs brächte als Konzept aufgrund der puren Nähe zum eigenen Werk bereits eine Idee für jeden Einlzelsong mit sich. Aber Covern existierender Lieder setzt auch immer voraus, dass man wirklich eine neue Idee an sie heran und in sie hinein trägt - ganz gleich, wer die Lieder schon einmal veröffentlicht hat. Aber hier herrscht wirklich zweimal gähnende Ideenleere. Nur das Cover von den Fantas ist wunderschön.


Merkste nicht selber?

Erkenntnis-Hacks in Popmemes: Dauerzustand Deichkind

4260393330894„Neues vom Dauerzustand“, so HEISST nicht nur Deichkinds neues Album, so ist auch die Dramaturgie eines neuen Deichkindalbums an sich - ihre Musik ist, seit sie die volle Wandlung von Deutschrap zum Diskurs-Elektropop vollzogen hat, ein Dauerzustand, und vom eben diesem berichtet ein jedes, neues Album. Verblüffender Weise ist ihr Popentwurf trotz seiner Fortdauer aber noch immer formbar und somit in der Lage, tatsächlich neu zu sein - womit wieder poptickers alter Aphorismus bewiesen wäre, nachdem wir im Pop das Neue wieder-erkennen. Im aktuellen Fall war schon die Vorab-Single von „in der Natur“ derart strange und deichkindisch, dass man selbst das bizar darin verbaute Jodeln als Teil ihres Soundentwurfes hinnahm: „In der Natur / Wirst du ganz langsam verrückt / Und plötzlich wünscht du dich so sehr zum Hermannplatz zurück.“ - so geht die Indernaturlyrik noch recht traditionell gebaut. Mit dem zuletzt ausgekoppelten „Kids in meinem  Alter“ dann sind Deichkind aber im Minimalpop ihrer Selbst angekommen: Das ist kein Lied mehr im eigentlichen Sinne, eher ein ironisch unterkühlter Rant, ein Pop gewordenes Meme, eine gesprochene, gebrabbelte Zustandsbeschreibung der Generation irgendeines Buchstabens, unter dem eine fast atonale Synthielinie und ein trappender Beat sitzen: „Er hat Fashion-Advisor, holt sich Klamotten-Packs / Wollte sich gesund stoßen mit Coronahilfen / Sehnsucht nach einer Zeit / Herr des Hauses / Hochgezüchtete Männerversteher*innen sind verunsichert“ - ein Pop-Proton weniger, und wir hätten es mit einem experimentellen Hörbuch zu tun, und das Hören dieser Musik ist weniger ein Hörerlebnis als vielmehr ein Endlos-Scrollen durch Zeitgeist spiegelnde Floskeln und Floskeln des verworrenen Zeitgeistes - gut, könnte man nun sagen: Das sind Sätze zur Rettung des Popfeuilletons, Du Spex-Blogger Du; aber man kann es auch einfacher sagen: Deichkind spielen spätestens mit „Neues vom Dauerzustand“ in der eigenen Liga.

Das Erstaunliche an der Stabilität des Signature-Sounds von Deichkind ist, dass die Geschichte dieser Formation derart von Personalwechseln geprägt ist, dass man in der Hinsicht schon von den Fleetwood Max des Deutschrap sprechen könnte - von den anfänglichen drei Rappern ist nur noch Philipp Grütering (alias Kryptik Joe) übrig - Malte Pittner und Buddy Buxbaum verliessen die Formation 2006 bzw. 2008, weil ihnen der neue Elektro-Sound missfiel, und der, der diesen Sound erfunden hatte, Sebastian Hackert, starb 2009. Live-Aushilfe Ferris Hilton wiederum wurde 2008 vollständiges Mitglied und schied 2018 dann wieder aus. Die nominellen drei festen Mitglieder sind heute neben Kryptik Joe, der wohl das kreative Zentrum ist, Sebastian „Porky“ Dürre und Henning Besser aka Dj Phono.

Ein anderes Lied auf dem neuen Album ist eine Aufzählung moderner Absurditäten, die stets mit dem aus Socialmedia-Forums stammenden irony-speech „merkste selber“ kommentiert werden: „Boomer haten, aber Bierschinken auf das Brot / Selbsthilfegruppen / Merkste selber, ne? / Datenschutz Setting bei WhatsApp einstellen / Cringe / Merkste selber!“ - da wird man gewahr, dass man es eben manchmal selber nicht merkt, sondern dass Deichkind es für einen merken müssen. Dann hören wir es und denken, wir hätten es selber gemerkt - die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Pop-Hören also.


Garage-Dancehall-Sturz

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Ohren auf Deutschpop werfen, Folge 24

/// Wenn man auf Garage-Band versucht, zu klingen wie eine Band, klingt man am Ende des Tages vielleicht wie die neue Single „In mir ist was kaputt gegangen“ von Finder - und also, ich meine das nicht negativ; jedenfalls nicht nur. Man könnte schon sagen, dass, dafür, dass was in ihm kaputt gegangen ist, der Sound dieses Liedes ein wenig glatt wirkt, es ein wenig wütender zugehen könnte, aber auf der anderen Seite strahlt etwas einsam Euphorisches aus dem Song, was wiederum ziemlich gut passt: „Ich brauche einen Kompass. / Ich brauche wen, der mir die Richtung zeigt / weil sich alles nur im Kreis dreht / und dann jeder einfach drüber steigt.“ - komischer Weise klingt dieses Lied auch ein wenig nach Heinz-Rudolf Kunze, und obgleich dieser sich kürzlich sprachlich missbräuchlicher über das Gendern aufregte, als das Gendern es jemals sein könnte, meine ich auch das nicht negativ: „In mir ist was kaputt gegangen“ sucht musikalisch und lyrisch Wege aus der Einsamkeit, die in der Summe berühren. Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.35.46/// Filigraner geht es bei Ketzberg zu, von dem hier schon vor Kurzem die Rede war, als „Wenn ich ich seh“ heraus kam. Diese und andere Singles hat der Songwriter nun zu der EP „immer“ gebündelt, die einerseits zeigt, dass der jazzige Popsoul Potential hat, aber vielleicht noch nicht austariert und variiert genug daher kommt, um für die Dauer eines Albums zu funktionieren. Andererseits: EPs boomen eben genau deswegen, weil Künstler:innen im Streamingzeitalter austarieren, wo für längere Strecken nachhaltige Popentwürfe stecken, und so wie und wo Ketzberg seinen trocken Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.11.12Sound sucht, irgendwo zwischen Justin Timberlake und Roger Cicero, denen er gesanglich in nichts nachsteht, wird er ihn auch finden. /// Nina Chuba  hat ihn schon gefunden: Ihr TikTok-Teenie-Dancehall rund um den Konsum-Fetisch-Hit „Wildberry Lillet“ hätte mir persönlich auch als EP gereicht, aber wer spricht schon von mir, wenn es um TikTok-Teenie-Dancehall geht? Weder bin ich Teen, noch nutze ich TikTok oder höre Dancehall. Dennoch erstaunlich, dass man TikTok-Teenie-Dancehall überhaupt auf ein Album ausbreitet, denn die Währungseinheiten hier sind Playlisten und Follower (von denen Nina Chuba auf TikTok eine halbe Millionen hat). Dieser Pop auf diesem Album „Glas“ macht jedenfalls Spass, und was sind das für irre Texte, die Pops Versprechen Freiheitsdrang par excellence zelebrieren: „Mexico-City, Mangos mit Chili / Palm-Trees sind groß und die Röcke sind mini / Es hat sich gelohnt, hab' keinen Job im Büro / Meine Sterne stehen gut zwischen Dreck und Graffiti / Ich nehm' alle mit, schreibe auf Inseln / Tour’ durch die Charts, wenn ich da grade hinwill / Und falls ich ma' für ein paar Tage verschwinde / Komm’ ich zurück mit einem strahlenden Grinsen.“ /// Man sollte „Amor & Psyche“, das Debüt-Album der Augsburger Elektro-Popper Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.11.42„Fliegende Haie“, auf keinen Fall unmittelbar nach Nina Chuba hören, denn was bei Chuba unverblümt und jugendlich daher kommt, ist bei den fliegenden Haien Attitüde. Nun ist Attitüde seit je her ein Baustein von Pop, aber wenn es angestrengt fresh ist, wirkt es eben kalkuliert. Wenn man es aber nicht mit der Wildberry-Lillet-Nonchalance von Chuba vergleicht, hat man größere Chancen, weitestgehend genre-befreite Elektro-Club-Musik mit Störgeräuschen und Originalitätsboni zu hören, und hinter dem trashigen NDW-Anleihen finden sich urplötzlich verstörendere Zeilen - wie in dem Song „Venus“, in dem es Sexualisierung und Sichtbarkeiten geht: „Je mehr sie von dir haben / desto weniger hast du dich.“ - in dieser Musik steckt vielleicht mehr Tiefe, als ich darin erhören kann, aber das liegt wohl eher an mir, als an der Musik. /// Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Songwriter „Janner“ ein Album Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.35.28veröffentlicht, das „Vor dem Hörsturz“ hieß, und heute nun erscheint seine neue LP „Nach dem Hörsturz“; und den Hörsturz hatte der Musiker tatsächlich, und so kann man den neuen Songs mit bestem Grund eine Art Musiker-Wiedergeburt als Thematik attestieren: „Was wir geschafft haben, hat uns geschafft / es gibt keine Schuld / Atme durch.“, heißt es in „Atme durch“, ein anderes Lied heißt „Aufwachraum“ - vielleicht der stärkste Song auf dieser Platte: Flächige Synthies, auf denen sich eine Gitarre ausbreiten kann, während darunter Bass pulsiert und Beats tropfen. Irgendwo zwischen Singer- und Songwriting-Pop, der die Fühler in Rap und Soul ausstreckt, findet das Album keine rechte Mitte oder ist für sich genommen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass man die Mitte erkennt. Dennoch macht es Spass, hier einem Musiker beim Sich-Wieder-Finden zuzuhören. ///

 

Links

Video-Premiere < Finder / in mir ist was kaputt gegangen >  am 24.02.23 um 17 Uhr ///

Website < Ketzberg > /// Video < Nina Chuba / Mangos mit Chilly > ///

Website < fliegende Haie > /// YouTube-Kanal von < Janner > 


Post-Atemlos

Wo steht Deutschpop? Eine Fragestellung anhand 5 heute erschienener Singles

Wenn man sich erinnert, wie sich die Neue Deutsche Welle in den 80ern selber zu Grabe trug, indem der Markt vollkommen Kometübersättigt wurde und man sich zudem dem Schlager anbiederte, kann man sich heute fragen, ob Deutschpop gerade an selbiger Schwelle steht - kurz davor im eigenen Hype zu ersticken; oder aber: Sich am erweiterten Schlagerentwurf im Post-Helene-Fischer-Atemlos-Zustand gesund zu stossen. Schaut man zum Beispiel auf die heutigen Charts, sieht man auf Platz 02 einen Song von Udo Lindenberg und Apache 207. Der Rocknroller und der Trap-Beat-Rapper finden für „Der Komet“ in der Schlager-Referenz einen gemeinsamen Nenner - auch wenn mich wahrscheinlich beide für diese Analyse erschiessen würden. Aber man kann das Ganze ja auch positiv sehen: Seit Helene Fischer Schlager zu Pop gemacht und Deutschpop sich in Silbereisen-Sphären entgrenzt hat, seit sogar Gangster-Rapper über psychische Gesundheiten sprechsingen, scheinen alle Genregrenzen Makulatur. LeyaUnd der leicht verschleppte Trap-Beat, der sogar Udo und Apache zusammen bringt, ist ein Kleister, der verschiedenste Einflüsse zusammen halten kann.

So auch die neue Single „neu verliebt“ der Newcomerin Leya Valentina (Videopremiere 20.01.23 um 19 Uhr < Hier >) - hier dient der dem Hip-Hop entlehnte Trap als flächiges Fundament für eine Ballade, auf der Valentina einerseits mit tremolofreier, breiter Stimme singt, als ginge es um Soul, während sie anderseits kurze Sprecheinwürfe dazwischen zieht („ist ja völlig klar“) - Aylivaheraus kommt ein Genrehybrid, der sowohl TikTok-affin als auch schlagerparadentauglich ist; und ich meine das durchaus positiv. Auf ähnliche Weise sucht Sängerin oder Rapperin AYLIVA die Schnittstelle zwischen Deutschpop in Schlagernähe und Trap-Rap von ums Eck - ihr Song „Sie weiß“ handelt von einer möglichen Trennung und streckt textlich auch die Hände in Richtung deutschsprachigem Soul. In Letzterem ist die Band „Ketzberg“ zuhause, deren Sänger Paul Köninger beim leider verstorbenen Roger Cicero in die Schule gegangen sein könnte - seine Intonation zumal auf der neuen Single Ketz„wenn ich sie seh“ - findet fast schon Jazz-Anleihen. Auch wenn das Songwriting vielleicht nicht ganz hinterher kommt, ist das ein Popentwurf, den ich sehr spannend finde. Deutlich rockiger geht es bei der Band „KICKER DIBS“ zu, deren Sound nun Dibstatsächlich nicht dem Schlager zuzuordnen ist - da bekomme ich nun selbst mit ganz viele Heribert-Faßbender-Vibes keine Überleitung hin; aber egal: Bei der Single "Son Gefühl" ist Sebastian Madsen zu Gast, und zusammen kommt dabei ein Song irgendwo zwischen Kraftclub und Mark Forster. Er handelt von einer gewissen Reizüberflutung in Zeitalter der sozialen Medien: „Ich hab da keine Meinung, ich bitte um Entschuldigung.“ - Videopremiere 20.01.23 um 18 Uhr < Hier >.

Was ich mit diesem Schnelldurchlauf durch diese samt und sonders heute erschienenen Lieder erzählen will, ist, dass der Deutschpop tatsächlich einerseits einheitlicher, gleicher wird und sich andererseits schon sehr breit aufstellt - an den Rändern passt so einiges noch rein. Und man weiß tatsächlich nicht, ob diese Verbreiterung der Ausweg aus einer Deutschpopkrise ist - oder wir erst an der Schwelle zu dieser stehen, weil der Markt implodieren könnte. Letzteres glaube ich eigentlich nicht, da, um einen Markt zum Implodieren zu bringen, erst einmal ein Markt da sein müsste, aber das ist ja fast nicht der Fall: Nie war es schwerer, als Musiker:in Geld zu verdienen, als heute - zumal wenn man neu hinzukommt. Das ist anders als bei der NDW, da konnte man mit paar Singles reich und berühmt werden.

 


Die zwei Zeitbegriffe des Pop

Song-Jubiläen und ihre Schockmomente

Hitme01Lieder, die wir lieben, erinnern uns an die Zeit, zu der wir sie lieben gelernt haben - als hätten sie das Gefühl und die Umstände, zu denen wir sie das erste mal gehört hatten in sich eingeschlossen. Auch ganze Alben können uns in der Zeit zurück transportieren, wir kennen die Kratzer und Sprünge unserer alten Vinyl-Version, und manchmal braucht es für diese Zeitreisen nicht einmal eine hohe emotionale Bindung an Song oder Album - Radiohits zum Beispiel, die wir, ganz gleich, ob wir sie gut finden, zu einer bestimmten Zeit oft gehört haben, transportieren die Erinnerungen an diese Radiozeit.

Gleichzeitig zu dieser Stetigkeit transformieren sich Lieder, und wie wir sie hören, in der Popgeschichte, und sie altern, werden von denen, die sie heraus gebracht haben, anders gespielt, sie werden gecovert oder gesampelt, sie laden sich mit neuer Erinnerung auf, weil zum Beispiel unsere Kinder sie plötzlich hören, und man hört ihnen also ihr Alter an.

Zwei Zeitbegriffe schlagen ach in Pop-Songs Brust - einerseits die lineare Zeit, die, wenn auch subjektiv, voran schreitet, andererseits die stehende Zeit, die ein Gefühl pur und wie wir es vor 10, 20, 30 Jahren hatten, unveränderlich konservieren kann, und die scheinbar endlos dieses Gefühl wieder und wieder vermitteln kann. Aus diesem Grund der zwei Zeitbegriffe, die in der Popmusik wohnen, schockieren uns Jubiläen von Liedern und Alben: Plötzlich wird uns bewusst, dass zwischen der gealterten Rezeption und der frisch gehaltenen Erinnerung eine Differenz von 20 Jahren klafft, und diese Differenz, fällt auf uns zurück - wir sehen unser Alter im Spiegel eines Songs oder einer ganzen Langspielplatte: Was? Vor 20 Jahren lief „smells like teen spirit“ auf MTV?

Hitme02Nun haben wir wieder so ein Jubiläum, das schockieren könnte: 20 Jahre „(Hit me) … Baby one more time“ - und wir so: Whaaaaat? Mir ging es jedenfalls so. Der Hit von Britney Spears steht aber auch ikonografisch für Britney einerseits und für eine MTV-Dominanz im Pop im Allgemeinen andererseits, weil sich Britney und ihr Schuluniform-Look bis hin zur anfänglichen Pausenglocke in dem Video in unser Hirn gebrannt haben, ganz gleich, ob wir den Song mögen oder nicht. Er transportiert gleichzeitig seine Zeitlosigkeit und seine bewegte Geschichte bis hin zum einstigen öffentlich-psychischen Kollaps von Britney. Wir sehen uns im Spiegel dieses Hits, ohne den es im Übrigen diesen Blog auch nicht geben würde: Happy Birthday also!


Der Korridor der Norm

Die Klingeltonmarkt ist tot - hat aber seine Spuren hinterlassen

Hypes und Trends sind vermutlich die wichtigsten Marktmechanismen der Popkultur. Sie sind es freilich nicht zuletzt aufgrund ihrer oft nicht im Fokus stehenden Endlichkeit: Neue Trends kann es nur geben, wenn es ältere irgendwann nicht mehr gibt - der Hype ist eine Wellenbewegung, und es gibt merkwürdige Moden, bei denen man im Rückblick das Gefühl nicht los wird, dass diese nur aufgrund der intuitiv erahnten Kurzlebigkeit entstehen konnten; Phänomene, die unversehens hochkochen und dann ebenso schnell wieder verschwinden - zum Beispiel die Klingelton-Industrie: Vor 25 Jahren hätte vermutlich niemand sich auch nur vorstellen können, dass man im Jahre 2002 Geld für den Klingelton eines mobilen Telefons würde ausgeben können, und als dem vor 16 Jahren dann so war, war nicht zu erwarten, daß dieser gigantische Markt so schnell wieder einbrechen, ja verschwinden würde.

Klingeltöne als Produkt entstanden natürlich zunächst in einer Zeit, als noch keine Musik auf die Handys passte, und also der den Anruf signalisierende Ton einen eigenen technischen Standard hatte - das waren, kurz gesagt, noch keine MP3s. Zudem kam der Hype in einer Phase auf, in der man das Gefühl hatte, die Zukunft steht vor der Tür, und wer nicht mir der Zeit geht, der kann auch gleich zuhause bleiben. So dienten die Klingeltöne eben auch als Signal an die Aussenwelt: Freunde der Nach, ich habe ein Handy (heute gilt ja eher als Depp, wer sein Handy mehr als vibrieren lässt).

Als in den Jahren 2001 bis 2006 der Hype am Grössten war, hatte der Klingelton-Wahnsinn virtuelle Popstars, eigene Charts, Firmen, Labels und Subtrends hervor gebracht. Im Jahre 2005 wurden in Deutschland um die 14 Millionen Klingeltöne verkauft bei einem durchschnittlichen Preis von 1,99 €. Schätzungen zu Folge machte alleine der Crafroverrückte Frosch mit seinen Ringtones, Bildern und mobilen Kurzvideos einen Umsatz von 15 Millionen Euro. Der TV-Werbe-Etat des ehemals größten Klingelton-Anbieters „Jamba“ betrug im Jahre 2004 sage und schreibe 90 Millionen Euro. In den ersten Jahren des Hypes bis 2003 waren die meisten verkauften Töne kurze Melodie-Linien aus den Refrains von zu diesem Zeitpunkt populären Liedern, und die KonsumentInnen gaben in diesen Jahren mehr Geld für diese klanglich  minderwertigen Surrogate aus als für die Lieblingslieder selber.

Da überrascht es wenig, dass man im Hause Jamba damals auf die Idee kam, die Klingeltöne nicht mehr nur Songs zusammen fassen zu lassen (und somit Geld an die Urheber dieser Lieder abzutreten), sondern originäre Tonfolgen für Handys zu kreieren. Im nächsten Schritt aber blies man die meisten dieser Kurz-Melodien auf Song-Länge auf und verkaufte sie als Pop-Singles. Es dauerte nicht lange, da eroberten so die Klingeltöne auch die Popcharts. Sinnbildlich für die Krise der Pop-Musik im Würgegriff der Klingelton-Industrie wurden die britischen Singlecharts von 29. Mai 2005 interpretiert: Der „Crazy Frog“ landete mit seiner Ringtone-Single „Axel F“ auf Platz 1 landete und zwar vor den handwerklich emotionalen Poprockern Coldplay  und ihrer damaligen Single „Speed Of Sound“ - die Musik, so der damalige Tenor, hatte seine Seele an den Teufel des Hypes verkauft.

TnDa dauerte es nicht lange, und den den Klingeltönen schlug blanker Hass entgegen. Nicht nur weil sie Bands wie Coldplay von der Chart-Spitze vertrieben, sondern auch weil Jamba das Musikfernsehen - MTV und Viva - regelrecht totkaufte: Stundenlang bekam man nur noch hysterische Jamba-Spots um die Ohren, stundenlang riefen euphorisierte Stimmen „Sende Frosch5 an die 333“ oder boten „EIN FURZ ALS KLINGELTON?????“ feil. Hinzu kam, dass sich hinter diesen Bestellungen oft Flatrate-Modelle versteckten - wer also tatsächlich „Frosch5“ an die 333 sendete, der hatte in Wirklichkeit ein Klingelton-Abo abgeschlossen und das oft genug ohne es zu wissen oder zu merken, denn was man da tatsächlich bestellte, hätte man im nur einige Sekunde eingeblendeten Kleingedrucktem lesen müssen.  Die Folge waren etliche Teenager deren Prepaid-Karten meist schon beim Aufladen wieder leer waren, weil sie Schulden bei Jamba hatten. Nicht selten hatten Handy-NutzerInnen gar mehr als eines dieser Halsabschneider-Abonnements über dasselbe Handy laufen. Jamba wurde öfter verachtet und verklagt als heute Monsanto. Der Backclash-Hass aber wurde von Ring-Ring-Firmen sogleich auch wieder kapitalisiert: Video-Klingeltöne, in denen zum Beispiel Tweety ermordet oder der crazy frog gefoltert wurde, verkauften sich wie geschnitten Brot.

Die aus heutiger Sicht und auch Sicht der 90er vollkommen absurd erscheinende Bereitschaft, für eine 15-sekündige, klanglich billige Tonfolge 2 Euro auszugeben, kam aber eben auch in einer Zeit auf, in der im Pre-Napster-Musik-Markt deutlich weniger Menschen Geld für Lieder und Popmusik als solche auszugeben bereit waren, und das legt die Vermutung nahe, dass der Klingelton-Hype weniger mit dem Kaufverhalten bei Popmusik zu tun hatte; vielmehr waren Klingeltöne Distinktionsmerkmal und Norm-Korridor im kapitalisierten Individualisierungs-Druck und in diesem Sinne eigentlich Vorläufer der Smartphone-APPS: Mit ihnen liess sich die erste Massen-Generation der Mobiltelefone individuell ausgestalten, die Klingeltöne waren Handyschmuck.

Das Marktmodell, das die Klingelton-Anbieter so für ihre Zwecke geformt haben, hat Schule gemacht. Es besteht darin, einen an sich genormten Gegenstand durch Zusätze, Twe Applikationen und Ergänzungen so zu gestalten, dass er nicht mehr genormt erscheint. So ist der Markt für Klingeltöne heute zwar nicht mehr vorhanden, aber es gibt es ähnlich absurde Segmente, bei denen das Kaschieren von Normen in genormten Bahnen ähnlich absurd zu Geld gemacht wird - Waffen und Ausrüstung für das Spiel „World Of Warcraft“ kosten in spezifischen Online-Plattformen drei bis vierstellige Dollar-Summen. Handy-Hüllen oder die seit Neustem populären Popsockets (ausfaltbare Telefon-Halterungen) geben dem Handy auch einen scheinbar individuellen Look. Neuester Hype im Geschäftsmodell der Normkorridore ist die Smartphone-App „musically“, bei der die grösstenteils weiblichen Nutzerinnen im Alter von 9 bis 13 Kurz-Musikvideos zu aktuellen Hits drehen - innerhalb weniger Monate hat sich hier ein Alphabet von Gesten, Tänzen und Video-Effekten ausgebildet, deren geschickte Kombination zwar durchaus Kreativität fordert, deren Grund-Ästhetik aber letztlich seltsam unvariabel erscheint. (Die App wurde kürzlich umbenannt und heisst nun „tiktok“, warum auch immer).

Im Kapitalisierungsmodell dieser Normkorridore wird der Konsument zum Franchise-Nehmer des Anbieters - er übersieht seine Ausgaben, da diese virtuell erfolgen, vor allem aber weil das Gefühl, etwas auszuformen, überwiegt. In diesem Sinne waren Klingeltöne stilprägend für den inzwischen herauf beschworenen Begriff des Kunden als Prosumer. Der Markt für Klingeltöne ist eingebrochen - er hat aber seine Spuren in der Populärkultur hinterlassen.


In Zehn Schritten zum Popsoul-Hit

- einst haben KLF den Weg zum Eurodancehit beschrieben. Im Jahre 2018 ist der Popsoul das Pop-Subgenre der Stunde. Der Popticker hat um die 25 Hits der letzten Jahre ausgewertet und aus den Mittelwerten einen Hitbaukasten definiert - am Ehesten lässt sich mit diesen meinen Tips eine Uptempo-Nummer zimmern

01 Nimm Dir als erstes eine schöne Akkordfolge, auf der Dein gesamter Song beruhen kann, dieses Riff sollte aus 4 Akkorden bestehen. (Du kannst Dich auch für ein 3-Akkord-Schema entscheiden, aber lass dich dadurch nicht zu einem 3/4-takt verleiten, es sei denn Du bist Musiker*in.) Klassische Kadenzen, aus denen quasi die ganze Popgeschichte besteht, drängen sich natürlich auf.

    Diese Akkordfolgen würden gut funktionieren:

    bm em G  A
    bm A  D  G
    em C  B7 D
    bm D  bm F#7

Natürlich kannst Du diese Vorscgläge transponieren, aber rein statistisch hast Du grössere Hitchancen, wenn mindestens b-Moll oder e-Moll in Deinem Song vorkommt, bestenfalls also sogar beide.

Guitar-756326__340Du musst nun entscheiden, wie handgemacht oder elektronisch diese Akkordfolge klingen soll: Du kannst sie auf einem Synthie spielen oder auf einer Akkustik-Gitarre. Abzuraten ist von E-Gitarre und Instrumenten, die niemand kennt - zum Beispiel Spinett. (Es sei denn du bis Spinettist*in und möchtest Popluft schnuppern).

02 Das Tempo deiner Akkordfolge solltest Du nun mit der Stoppuhr bestimmen: Ein Durchgang Deines Riffs sollte entweder 5 oder 7,5 Sekunden dauern - du musst auf jeden Fall 15-sekündige Module aus diesem Riff bauen (für eine Strophe also 3 mal 5 oder 2 mal 7,5 Sekunden; zur Not gehen auch 4 mal 4 Sekunden, aber dann reicht das schon ins exzentrische Experiment). So baust Du Deinen Hit spe auf:

    Intro         7,5 Sekunden
    Strophe 01     15 Sekunden   
    Refrain        15 Sekunden  
    Strophe 02     15 Sekunden   
    Refrain        15 Sekunden  
    B-Teil/ Bridge 15 Sekunden   
    Refrain        15 Sekunden   
    Outro         7,5 Sekunden

- Intro und Outro ist dabei optional. Du solltest also im Gesamtem auf genau 03 Minuten oder auf 03 Minuten und 15 Sekunden kommen.

03 Auf Dein Gitarrenriff setze nun eine möglichst banale Melodie, am Besten mit zwei Tönen auf dem ersten Akkord, je 3 auf dem zweiten und dritten Akkord, und 4 auf dem Vierten - mit dieser leichten Verschiebung hast Du bereits eine gewisse Polyrhytmik ins Spiel gebracht. Spiel diese Töne mit einem elektronischen Instrument, wenn die Akkorde akkustisch klingen - und umgekehrt.

Ele04 Nun kommt das wichtigste Element - viele Songschreiber fangen mit diesem Schritt an und bauen den anderen Kram drumrum: Du brauchst einen Refrain. Beziehungsweise: Refrain ist so was von 80er, was Du jetzt brauchst, ist eine Hook - einen Codesatz, den Kern Deines Liedes - Du schreibst Dein Lied in der Pop-Ära der Refraindiktatur, hier musst Du wirklich eine Idee haben. Nimm einen Satz, der rhythmisch klingt und am besten (!) 8 Silben hat - (z.B. „I‘m in love with the shape of you“ - 8 Silben !!!), ein kleine Geschichte erzählt (z.B. „I kissed a girl“) oder einfach nur ein cooles Wort beinhaltet (z.B. Umbrella, Elephant, Sugarcube - Dein Lieblingswort sollte also drei Silben haben) - bestenfalls bringst Du alles drei unter und Du hast zudem noch eine Du-Ich-Struktur in Deiner Grammatik drin. Um die hiesigen Beispiele zu kombinieren also „I sometimes kissed your elephant“ (8 Silben !), "I cant't get no satisfaction" (8 Silben !) oder oder „I‘m in love with your umbrella“ (8 Silben !).

Wenn Du also einen catchy Satz hast, nimm einfach nur diesen oder setze noch einen davor, der nicht mehr zu sein hat als eine rhythmische und grammatische Einleitung für Deine Catch-Phrase - der erste Satz kann zum Beispiel eine Frage sein, zu der dann Deine Hook die Antwort ist (Mit unserem Beispiel wäre das dann: "Did I ever kiss you? I sometimes kissed your elephant."). Ein zweiter Satz im Refrain kann auch nach der Catchphrase folgen, wenn das Ganze eine Emotion addiert - wie Katy Perry das oft macht, wenn sie zum Beispiel auf „I kissed a girl - and I liked it“ (8 Silben !) folgen lässt. (In unser Beispielhook 02 wäre das dann: "I'm in love with your umbrella. I saves me from the rain of hate." - zweimal 8 Silben !) Wenn Dir nichts entsprechendes einfällt, was Deine Hook ergänzt, verzichte auf diesen Klimbim und nimm die Hook, wie sie ist, und wiederhole sie  so oft, dass es Dir schon zu viel vor kommt - Taylor Swift macht das auch so. (Ihre Hooks sind im Übrigen im Vergleich zum sonstigen Popsoul-Durchschnitt deutlich kürzer - „Cause Baby now we got bad blood“ mit 8 (!) Silben ist im Prinzip schon ihre Längste.)

Write-593333__34005 Nun schreibe einen Text für Deine beiden Strophen. Die Melodie ist dabei nicht so entscheidend, sie kann sich aus dem Sprachduktus ergeben (und muss natürlich auf Deine Akkordfolge passen). Entscheidend ist nur, dass der Text schneller ist als der Grund-Beat: Wenn Dein Riff 7,5 Sekunden dauert, brauchst Du für Deinen 15-Sekunden-Baustein nur zwei Zeilen - die erste Zeile sollte idealerweise 19 Silben haben, die zweite 18 - wenn Du davon abweichst entscheide Dich auf jeden Fall für eine ungerade Silbenanzahl in der ersten und eine niedrigere, gerade Anzahl in der zweiten Zeile.

Wenn Du 4 vier-sekündige Akkordfolgen hast, brauchst Du vier Zeilen Text pro Strophe - wechsele auch hier ungerade und gerade Silbenanzahl ab und halte die Zeilen 2 und 4 kürzer als die Zeilen 1 und 3 - aber wie gesagt: Wenn Du für Katy Perry oder Taylor Swift schreibst, schmeiss Deine Experimentier-Freude lieber über Bord.

Wenn Du Dich in Schritt 02 für eine 5-sekündiges Riff entschieden hast, brauchst Du 3 Zeilen je Strophe, dann sollten die ersten beiden aus ungerader Anzahl von Silben bestehen und die Dritte dann mit einer Silbe weniger und also gerader Anzahl - idealerweise auch hier zweimal 19 und einmal 18 Silben.

Inhaltlich könnte Dein Strophentext durchaus mit Deiner Hook im Zusammenhang stehen, wichtig ist das aber nicht. Wenn Du eine gute Hook hast, kann sie die Konklusion von allem möglichen sein: Du bist zum Beispiel Boot gefahren, hast Dein Portemonnaie verloren, aber wen kümmert das, wenn Du manchmal Ihren Elefant küsst? Dein Vater ist abgehauen, als du 7 warst, und deine Mutter musste immer arbeiten, aber das alles ist nebesächlich, weil Dein Regenschirm vor dem Hassregen schützt. Wenn dir nichts einfällt, schreib am Besten über Liebe und Selbstbewusstsein - das sind die wesentlichen Themen erfolgreicher Popsoulsongs.

06 Solltest Du Dich in Schritt 02 für einen B-Teil entschieden haben, brauchst Du nun noch für diesen einen Text (oder Du schreibst einfach als dritte Strophe noch eine leichte Variation von Strophe 1). Im Zweifelsfall aber ist ein B-Teil aber sogar einfacher, weil er das Lied in die Breite ziehen soll, und man also deutlich weniger Silben braucht als für eine Strophe - etwa 09 bis 11, um genau zu sein. Eine Sing-Melodie-Variation auf Deinem Grundriff reicht hier - spiel es ein wenig flächiger, zurückhaltender und vermeintlich langsamer (trotzdem unbedingt bei 15 Sekunden bleiben !!!) Wer mehr Ambitionen hat, kann sich für seinen B-Teil auch eine andere Akkordfolge ausdenken (hier dann aber bitte nur 3 Akkorde !!!), aber macht Euch nicht zu viel Arbeit - „Daft Punk“ haben in ihrer Karriere bislang fast nur Songs gemacht, deren Riff stets gleich bleibt, und sie sind dennoch die Könige des B-Teils.

07 Du brauchst nun für einen Basslauf einen guten Bass-Sound von Deinem Garage-Band-Programm oder einen Bassisten, der ihn Dir einspielt. Der Basslauf sollte auch aus abwechselnd ungerade und gerader Anzahl von Tönen je Riff-Durchgang bestehen. Halte ihn möglichst groovy und einfach, steigere seine Komplexität ein wenig in Strophe 02 (aber nicht beim Refrain !!!).

Drums-2599508__34008 Jetzt wird es noch mal knifflig: Du brauchst noch einen Beat. Dieser muss zwischen den Stühlen der Tanzbarkeit und Deinem Unplugged-Uptempo-Soulpop sitzen. Ausserdem muss er er im Grundsound bestenfalls von dem Deines Bass abweichen: Wenn Du einen erdigen und gar akustischen Bass-Klang hast, nimm eher elektronischere Beats, klingt Dein Bass eher künstlich und nach Synthie, suche nach einem erdig-authentischen Schlagzeug.

Wenn Du das gut kannst, probiere mit einem geeigneten Drum-Programm was Schmissiges aus - besser aber Du fragst einen Schlagzeuger Deines Vertrauens. Die Kickdrum sollte nicht so viel Wumms haben, dass der Grundsound Deines Hits Dir um die Ohren fliegt, die Snare sollte kurz und prägnant sein, ein scharfes „Klack“! könnte reichen, vielleicht ein elektronisches Hand-Clapping oder so. Hör Dich am Besten ein wenig durch die Popsoul-Hits der letzten Jahre.

09 Jetzt kommt der entscheidende Schritt für das Ganze: Du musst Dich für eine Sänger*in entscheiden. Sie oder er sollte eine auch im entspannten Modus volle Stimme haben, rhythmische Qualitäten mitbringen, die fast ins Rappen reichen und an den Key-Points Deines Liedes (Hook und B-Teil ) Volumen und Fläche aussingen können.

Dj-1573332__340Entscheidend bei dem Gesang ist, dass die oder der Singende sich beim Singen nicht festlegt, ob er gerade eine Ballade oder eine schmissige Tanznummer zum Besten gibt. Bestenfalls verrätst Du das Deiner SängerIn gar nicht. Wenn Du selber singen kannst, um so besser, dann aber musst Du, wenn Du Deinen Song einsingst, alles, was Du bisher gemacht hast, vergessen - und auch alle Tips, die in diesem Text hier stehen, aus Deinem Hirn tilgen.

Die Hook, zumal wenn Du keinen ihr zweiten Satz beiseite stellst, sollte man chorisch aus verschiedenen Takes der Main-Stimme schichten. Das sollte sich jemand ausdenken, der so etwas kann - einen vierstimmigen Chor schreiben. All zu viel Arbeit halst Du diesem Arrangeur ja nicht auf, denn wir sprechen ja wirklich nur von einer Zeile von 8 - 12 Silben.

10 Nimm Deinen Song auf und lass ihn von jemand mastern, so dass es auch auf einer Bluetooth-Box klingt wie auf einer Konzert-PA. Und nun heisst es Klinken putzen, Leute ansprechen und den Hype um Dich selber anfeuern. Viel Erfolg.

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Ergänzung: 10 Songs, die sich nahezu sklavisch an meine Tips gehalten zu haben scheinen: Ed Sheeran „shape of you“ / Katy Perry „I kissed a girl“ / Taylor Swift „Bad Blood“ / Rita Ora „Your Song“ / Pink „what about us“ / Miley Cyrus „Wrecking Ball“ / Julia Michaels „issues“ / Selena Gomez „good for you“ / Justin Bieber „sorry“ / Hailee Steinfeld „love myself“. Die letzten vier sind alle von Julia Michaels geschrieben - obwohl die kaum einer kennt, ist sie die ungekrönte Queen des effektiven Popsouls.