Das Album des Jahres ist bereits erschienen und ist von Lou-Adriane Cassidy
Das gibt es auch nicht oft: Kaum hat die Frankokanadierin Lou-Adriane Cassidy ihr bisheriges Opus Magnum veröffentlicht, um das es heute hier gehen soll, schickt sie noch ein ganzes Album hinterher: „Triste Animal“ ist deutlich zurückhaltender, chansons-orierntierter, einfacher - und trotzdem übrigens großartig.
Aber heute soll es um „Journal d’un Loup-Garou“ gehen, da dritte Album der Sängerin- und Songwriterin Lou-Adriane Cassidy: Der französische Pop hat in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass seine tiefen Chanson-Wurzeln eine große künstlerische Freiheit bedeuten. Die niemals unterbrochene Geschichte des französischen Kulturguts schlechthin hat eine große Anschlussfähigkeit verschiedenster Popentwürfe an den Chanson hervor gebracht, den ein rege Szene junger Künstler:innen zu nutzen weiß. Da nimmt sich Frankokanada nicht aus - im Gegenteil: Eine rege Szene großartiger Musiker:innen wie Ariane Roy, L’Isles oder Thierry Arose, um nur drei zu nennen, haben samt und sonders Meisterwerke extrem französischen Pops veröffentlicht.
Mit „Journal d’un Loup-Garou“ scheint Lou-Adriane Cassidy nicht nur ihr bisheriges Oeuvre zu subsumieren - sondern fast schon das besagte, frankokanadische Popgeschehen. Die erst 27-Jährige Musikerin zitiert sich in frech-virtuoser Weise durch die Musikgeschichte, streift Disko, dockt bei Synthpop an, kann rappen, schreibt Pianoballaden, die sie mit Streicherhimmeln zuzukleistern weiß, schüttelt Indierock (wie auf ihrem Album davor) aus dem Ärmel und experimentiert sich in Gefilden des Elektropops und immer auch die schönsten Melodien im Gepäck. Bei all diesem Ideenreichtum klingt sie aber immer wie sie klingt und integriert alle Reminiszenzen songdienlich.
Wenig überraschender Weise handelt das Album von Verwandlung - der titelgebende „Loup-Garou“ ist der Werwolf, der laut Titelsong wiederum in Lou-Adriane schlummert, und eben dieser Song überspannt das Konzeptalbum auch wirklich thematisch, in dem es quasi über sich selber dichtet: „Et si tu plonges au fond / De mon regard tu pourras voir de qui est la chanson“ („Wenn Du der Sache auf den Grund gehst: An meinen Augen kannst du erkennen, wessen Lied es ist.“) - als würde diese wunderbare Sängerin warnen: Seid Euch nicht zu sicher, wenn ihr das hört, es kann im nächsten Moment alles anders sein. Vielleicht erwuchs aus der ständigen Unsicherheit, die dieses Meisterwerk von Album ausstrahlt, die Sehnsucht, eine einfachere Platte zu machen, die dann letzte Woche aus dem Nichts, gerade mal vier Monate nach Tagebuch des Werwolfs erschienen ist.
„Journal d’un Loup-Garou“ ist mich ohne jede Frage die Platte des Jahres.