Das Ohr auf Deutschpop werfen - Folge 27

Bildschirmfoto 2023-10-05 um 12.17.55/// Anfang der Nuller sprach man auf einmal vom so genannten Freak-Folk, eine Popspielart, die den Folk mit Sound-Verheissungen von Indiepop und -rock ausmalt, die Stille suchte und Ablenkungen von Seichtheit fand. Irgendwie erinnert mich zunächst dass Debut-Album „Bitte Flieg“ des Songschreibers, Sängers und Multi-Instrumentalist „Lucito“ an diese Folkmusik: Zerbrechliche Songs über Einsamkeit, stille Töne über Verwirrungen, und plötzlich dann doch funky Einlagen, Rap-Parts, satte Bläser und Rock-Elemente, so dass die Musik fast in Jazz-Hiphop kippt. Ein reichhaltiges, unterhaltsames, virtuoses Album, dem vielleicht ein klein wenig der Signature-Hit fehlt, der eine Ohrwurm, der das Ganze einen Rahmen zur Erinnerung im Ohr verzahnt; aber also das ist wirklich Kritik auf sehr hohem Niveau. /// https://lucito-musik.de/ /// Bildschirmfoto 2023-10-05 um 11.33.24Joachim Witt hat zur NDW-Zeiten angefangen und diesem Subgenre der 80er einige höchst merkwürdige Hits abgerungen - „Der Weg in die Ferne“, „Kosmetik“ und vor allem natürlich „Goldener Reiter“ (welcher gerade erst wieder durch ein wunderbares Cover der Crucci Gang auf Trab gebracht wurde.) Man könnte sich gut vorstellen, dass Witt mit dieser Ironie-Attitüde auch 2023, da viel NDW-Elemente Bildschirmfoto 2023-10-05 um 12.07.51wiederkommen, einen Platz im Pop finden könnte, aber statt dessen versucht er sich seit einiger Zeit an einem poppigen Hardrock, der mit sturem Ernst einen darken Mittelalter-Ton sucht - komischer Versuch; und wahnsinnig enervierende Musik, die dabei rauskommt. So auch auf dem neuen Album „Der Fels in der Brandung“, auf dem Witt  als Wiedergänger von dem Grafen von „Unheilig“ daher kommt. Dumme Musik. /// http://joachimwitt.de/ Zwischen Pianopop und Bildschirmfoto 2023-10-05 um 12.14.25urbanen Schlager findet das erste Solo-Album von Rosenstolz-Sängerin AnNa R keinen rechten Halt und sitzt also zwischen Stühlen. Die Naivität, die hin und wieder aus der Verhinderung von Bombast spricht, hat teils Charme, aber das reicht nicht, um diese in der Summe eintönigen Lieder interessant zu machen; Hörer werden sie bestimmt trotzdem finden, und da muss man auch nix dagegen haben. /// https://www.anna-r.de/ /// Der breite Sound der Band karo nero ist fast Chamberpop, viele Musiker:innen hört man hier, viele Schichten von Pop und mehrere Stimmen. Auch hier fehlt vielleicht der überspannende Hit, aber in der Summe ist das Debut-Album „Zugvögel und Korallen“ in seinem immer nur fast kitschigen Popentwurf mit vielen Genre-Ausbrüchen und Zitaten das virtuose Zeugnis einer tollen Band. /// https://karo-nero.de/ /// 


Das Schmierfett von Pop

Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.27/// Augen auf beim Deutschpopkauf & Die Freitagskolumne treffen sich /// Ehrlichkeit ist eine Tugend - da trifft die Band Jante den nagel auf den Kopf: Jemand, wahrscheinlich ein Paar, war bei jemandem, wahrscheinlich auch ein Paar, zum Essen und zum Spielabend eingeladen: „Doch irgendwie, wenn ich ehrlich sein soll, jetzt wo wir uns besser kennen, find’ ich euch gar nicht mal so toll, und die Stimmung ist gedrückt, weil sich keiner traut Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.00 zu sagen, was doch offensichtlich ist: Lass uns bitte bitte keine Freunde sein.“ - den Song finde ich prima, zumal ich über die Situation eines misslungenen Paar-Abends mal ein recht pessimistisches Stück geschrieben habe. Wenn die vier Personen in „Herr Kolpert“ so ehrlich gewesen wie die in dem Song von Jante, es wäre uns viel Theaterblut erspart geblieben; und ich wäre heute allerdings auch kein Theaterautor. Aber hier soll es ja um Pop gehen: Prima Band, prima Thema, melodischer Gitarrenpop, prima Song: Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.25.21Danke! /// Bisschen rauher geht es im Allgemeinen bei der Band „Kicker Dibs“ zu, aber die Veröffentlichung ihres Album „Die Pointe“ flankieren sie jetzt mit dem Song „irgendwo“, der mutmasslich mal als Ballade geplant war und jetzt doch als Song eher Uptempo geworden ist. Aber ist ja auch wurscht: „Ich will irgendwohin mit dir“, heißt es im Refrain, und da ist natürlich eine herrliche Rockzeile; überhaupt: So beiläufig „selig“ machenden Gitarrenrock hört man nicht alle Tage - wenn es solche Bands nicht mehr gibt, können wir’s auch gleich lassen. /// Wer den Neo-Hype und das Comeback der Poptugenden der NDW noch immer nicht glaubt, dem sei auf die Band „Die neue Zärtlichkeit“ verwiesen, die heute ihre zweite Single „Ein Replikant geht durch die Wand“ veröffentlichen: Butterzarter Synthiepop, zurückgehalten produziert und gesungen, dass man sich in der Lakonie an die „Dreiklangdimensionen“ Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.24.49 von Rheingold erinnert fühlt: „Traurige Roboter lesen Zeitung, traurige Roboter sitzen auf Arbeit.“ - irgendwo zwischen konstruierter Naivität und angeeigneter Technikskepsis findet dieser NDW-2.0 seine Skizze, die sich dann schon als Ausformulierung entpuppt. /// Nico Gomez hat mit seiner letzten Single im wehmütigen Pianopop gebadet, sein neuer Song heißt „Keine Lust“ und ist eher wieder tanzbarer Synthiepop: „Verpass meiner Todoliste einen Arschtritt.“, heißt es darin - das ist nicht so unbedingt meine Wiese, aber als Song funktioniert das Ganze schon ziemlich gut, weil die Unlust hier euphorisch und lustvoll rüber kommt: Gegensätze können ja bekanntlich das Schmierfett von Pop sein /// Video-Links /// Jante /// Kicker Dibs /// Die neue Zärtlichkeit /// Nico Gomez ///


alle guten Dinge sind wir

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https://www.antjeschomaker.de/

::: Zwei Sängerinnen haben meinen zweiten Reeperbahnfestival-Tag geprägt: Antje Schomaker hat bei ihrem einstündigen Auftritt in der Großem Freiheit 36 gezeigt, dass  sich Pop-Appeal und hinreissende Ehrlichkeit nicht ausschliessen - die Hits, die sie hat, spielte sie mit mit Verve, aber die neuen Songs ihres im Oktober erscheinenden Albums „Snacks“ sind von derart entwaffnender Klarheit und Selbstanalyse gepackt in pfiffigen Popsongs, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. ::: Und die iranisch-israelische Sängerin Liraz packte einen dertig freiheitlichen Impetus in ihren Weltpop, dass Tanzen sich politisch anfühlt - zwei so tolle Konzerte, da war ich gefühlsmässig nicht mehr in der Lage, noch mehr zu sehen und bin beseelt nach Hause. ::: 

https://www.instagram.com/liraz_naz/?hl=de

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offiziell glücklich

Bildschirmfoto 2023-09-21 um 12.20.28::: Die  Zeiten, in denen der Mittwoch des Reeperbahnfestivals noch etwas ruhiger und leerer ist, sind allem Anschein nach vorbei - das Imperial-Theater ist um 21:30 h zwar noch nicht so gut gefüllt, aber die RBF-app meldet durchaus Locations, in denen Einlass-Stop verhängt wurde, und auch die Reihen des Kiez-Theaters, in den derzeit Edgar Wallace’ „Die blaue Hand“ spielt, füllen sich nach und nach. Im Bühnenbild dieses who-dunnit treten aber in dieser Woche Musiker:innen auf, und ich sah dort die Irin Ailbhe Reddy, die mit wunderschönen Songs einen filigranen Indierock spielt, der manchmal nach Folk mit elektrischen Instrumenten klingt - zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug; wenn es solche Bands nicht mehr gibt, sind wir verloren - wunderbar. ::: Deutlich voller dann im Knust, in dem Bildschirmfoto 2023-09-21 um 12.17.26Paula Carolina auftritt, und die hat auch schon einige Hits im Gepäck, die die Leute mitsingen. Der NDW-huldigende Indiepop ist im Studio eher mit Zurückhaltung und auf Stimme und Text fokussiert produziert, live (und in ihrem neuen Song "offiziell glücklich" schon auch) kommt das ganze eher als Postpunkrock daher, als hätte die erschreckend professionelle Band einen Workshop bei IDEAL besucht, deren „Berlin“ auch mindestens einmal vom Keyboarder direkt zitiert wird. Dieser noch unfassbar jungen Popsängerin, gehört die Zukunft des Deutschpop, die wird berühmt, davon bin überzeugt. ::: Feiner, filigraner und stiller hatte ich den Abend im Grünen Jäger, 100 Meter meiner Wohnung begonnen und beendet: Die Sängerin und Songwriterin „C’est Karma“ aus Luxemburg trat mit Pianist auf, der auch Keyboard und Ableton live bediente, und die beiden holten ihre Popsongs aus dem Chanson ab und bliesen sie mit Effekten und Autotune zu leicht bombastischen Synthiepop auf. ::: Während Mina Richman in gleicher Location zu später Stunde akustischen Bluesfolk suchte und fand: Die Sängerin schreibt wunderbare Lieder und hat eine Band dabei, die sie mit akustischer Leidenschaft spielt, und Mina Richmans Stimme wandert von tremolofreier Energie zu trotziger Neugier in zig Stile: Für mich der Schluss- und Höhepunkt eines großartigen ersten Tages vom Reeberbahnfestival 23 :::

https://www.cestkarma.com/ ::: http://www.ailbhereddy.com/

https://www.paulacarolinamusik.de/ ::: https://minarichman.de/ 

 


Sportfreunde: Stilles Wasser

Nach Pizzen, Drinks, Weinen, Bier etc. in Popstars-Edition hat nunmehr das Eis von Cher mit seinem kongenialen Namen „Cherlato“ die Lebensmittel-Promotion über Name-Dropping eine letzte Tür aufgestossen. Aber im deutschen Popraum ist noch keine Bewegung gekommen - der Popticker hilft aus und macht ein paar Produktvorschläge:

Bildschirmfoto 2023-09-11 um 12.44.17 Bildschirmfoto 2023-09-11 um 12.47.58::: Da wäre zunächst das TomatenMark Forster - mit sonnengereiften Tomaten, die „heute, morgen und übermorgen“ noch frisch schmecken. :::  Frisch geerntet und kuratiert wird der Tim Bendzkohl von Tim Bendzko: „Ich muss nur noch kurz den Kohl ernten - danach flieg ich zu Dir!“ ::: Ebenfalls in der Gemüse-Abteilung findet sich der „Yvonne Catterfeldsalat“: „Für den Salat schieb ich die Wolken weiter.“ ::: Vegetarische Mortadella könnte fortan als „Lena Meyer-Landwurst“ vermarktet werden. ::: Mild gesäuerte Butter mit dem Song „Das ist alles nur auf meinem Brot“ könnte in jedwedem Sinne ein Verkaufschlager werden - unter dem Namen Bildschirmfoto 2023-09-11 um 12.52.24„Andreas Boutterani“ ::: Einen fertigen Nachtisch aus dem Kühlregal, das ist „Birne Helene Fischer“::: „Atemlos durch die Nacht, Birne Helene, wie von Oma gemacht“ ::: Und die Schokohaube auf den Birnen ist aus Max Herre-N-SchokoLade Bildschirmfoto 2023-09-11 um 12.49.40::: und dazu passt der Tee ihres Exfreundes, der Florian Silberseisenkrautttee ::: erfrischend & lecker : Sportfreunde Stilles Wasser ::: Eine Kette von Verkaufsständen an Bahnhöfen hat bereits im Namen des Rappers mit der Pandamaske großen Erfolg - hier wird der Popticker nicht gebraucht: „Le Cro Bag“ ::: Adel Tawin produziert Adel Tahin ::: „Milchschokolade ist schlecht für die Zähne aber- leider geil“: Die Deichkindercountry ::: habt ihr noch Ideen? ::: In die Kommentare ::: !!! :::


Reissverschluss klemmt - was heute erscheint

L7_Bqq3ADie Freitagskolumne /// Die Wohnung als solche oder die nach einer Bleibe ist natürlich ein fester Topos im Setzkasten der Poplyrik; weil das Dach über dem Kopf, ohne dass man etwas dafür tun muss, mithin allegorisch ist: Wo soll ich hin? Wo bin ich zuhause? Solche Fragen sind gestellt, wenn ich die Wohnung auch nur erwähne. Insofern nimmt es nicht wunder, wenn Julia Kautz, ihres Zeichen langjährige und erfolgreiche Deutschpop-Songwriterin, auf eben diesen Kniff zurück greift und den Text ihrer zweiten Solosingle „kaputt“ so beginnt: „Eine Zweiraumwohnung mit einer Einbauküche ist das Verliess der düsteren Gedanken“; dazu hören wir glasklare Synthieflächen und simplen Gesang - weit und breit kein Verließ und keine düsteren Gedanken. Das macht aber ja auch nix: Eine Musik-Text-Schere kann ja sehr produktiv sein, aber hier kommt nicht so recht Wind in das Lied, das auch immerhin kaputt heißt, ohne irgendwo kaputt zu sein. Da Julia Kautz aber aber eben gewieft genug ist, Sprachbilder für Popsongs zu kreieren, die zwar naheliegend sind, aber dennoch Räume eröffnen, merkt man nicht, dass dieser Song wohl ein wenig langweilig ist - und genau in diesen Widersprüchlichkeiten ist das Ganze dann doch wieder spannend oder macht jedenfalls Lust darauf, weiter zu verfolgen, was diese Sängerin noch so veröffentlichen wird. GhnnY7Ly/// Was Julia Kautz an Professionalität und Erfahrung mitbringt, kann Rahel, aus Wien, so nicht vorweisen, aber das ist vielleicht auch ganz gut so: Ihr in den 80ern, Austropop und Indierock gebadeter Soundentwurf lebt zumindest auf ihrer heute erscheinenden Single „Schaffner“ von einer gewissen Wuschigkeit, die sich ihrerseits aus einer gehörigen Portion Naivität speist. Mir gefällt das sehr gut; der Song klingt anfangs zumindest sehr nach Mia Diekow und ihrem fantastischen Album „Ärger im Paradies“ (kleine Randnotiz *), dann aber hört man auch sehr Wien und Pop aus Bilderbuch aufscheinen: „Siehst du jetzt wie gut es ist / Dass du doch noch geblieben bist / Das Tischtuch im Speisewagen / Passt zu rosa Schnurrbarthaaren / Alle ham vergessen / Ob sie männlich oder weiblich waren / Den Strohhalm durchs Fenster / Einfach in das Meer hinein / Es ist gar nicht salzig / Es ist echter Veltliner Wein.“ - wunderbar getextet! /// In den 80ern gab es ja das Internet noch nicht, aber es gab Posterversandhändler, die den Preis für jedes Einzelposter verringerten, je mehr man bestellte, und daher gab man dann die Kataloge in der Schule rum. Ein Subgenre der damaligen Postermotive waren die schicken Männer, die Autoreifen durch die Gegend trugen, wer immer so Bildschirmfoto 2023-09-08 um 11.30.51etwas bestellte, aber Ben Zucker, jene Kreuzung aus Helene-Fischer und Hans-die-weißen-Tauben-sind-müde-Hartz, hat sich nun an diese Autoreifen tragenden Männer erinnert und ist auf seinem neuen Album als Autoreifen tragender Mann zu sehen. Das Album heißt „heute nicht“, und es erscheint auch heute nicht, und auch nicht nächste Woche, sondern im Dezember, Weihnachtsgeschäft, ich hör Dir trapsen, aber der Titelsong „heute nicht“ erscheint tatsächlich heute nicht nicht, sondern erscheint heute. Und lässt Schlimmes erahnen: Zucker hat die restlichen Mikrokramm Rock aus seinem Schlagerentwurf gestrichen und klingt jetzt nur noch nach Bumm-Bounce; und mit diesen saudämlichen Texten („Seh ich auch dunkle Wolken am Horizont: Ist mir egal, heute nicht / Und wenn das Chaos auch immer näher kommt: Ist mir egal, heute nicht“), da hat man das Gefühl man hört einem Motivationstrainer bei der gesungenen Zusammenfassung seiner Show: „An einem Wochenende das Mindset für Dein Glück“ zu. Diese Musik ist wirklich entsetzlich. /// Herrlich bekloppt ist auch wieder der neue Song von Alexander Marcus: "Und keinen interessiert es, obwohl es wirklich brennt / Immer mehr Menschen erleben, dass ihr Reissverschluss klemmt" /// * Mia Diekow hat gerade eine Crowdfunding-Kampagne für ihr nächstes Album gestartet, dazu mehr in der nächsten Woche. /// Links: Website Julia Kautz /// Linktree Rahel /// Ben Zucker "heute nicht" /// Alexander Marcus "Reissverschluss klemmt" ///


Akte Popticker JBL: Curiosity killed the cat

Der Popticker ist einer großen Sache auf der Spur: Wenn man eine JBL-Soundbox ausschaltet, erklingt ein kurzer Sound, und genau derselbe Sound ist der Auftakt zum Song "Down To Earth" der 80er Jazz-Pop "Curiosity killed the cat" (1986) - nun stellt sich natürlich die Frage: Warum? Ist das Ganze Zufall, oder wurde tatsächlich ein Schnipsel des Hits verwendet? Was meint ihr? Sachdienliche Hinweise nimmt jedes Polizei... Quatsch: Nimmt der Popticker entgegen. Bildet Euch selber ein Urteil: Absicht? Zufall? Paranoia von mir?

Der Ausschaltsound und der Song auf YouTube:

JBL-Sound anhören & < Down To Earth >


Snooze-Pool vor deinem Fenster

Heute neu - die Freitagskolumne 010923

GowkyMiQ/// „Einen Plansch vorm Haus, yeah / Es glitzert blau, yeah / Gib mir das, gib mir das, mmmhh / Und mach mich nass“, so singen „Impala Ray“ in ihrem neuen Song „POOOL“; nur echt, glaube ich, mit den drei „O“. In jedem Falle kommt in dem Lied wie zitiert das Wort „Plansch“ vor, und wer mit „Plansch“ an „Bilderbuch“ denkt, die einmal ein Lied mit diesem Titel heraus gebracht haben, der ist auch insgesamt nicht auf der völlig falschen Parellelen-Fährte, wem man den Sound von „Impala Ray“ umschreiben wollten: Synthie-Wave-Fun-Funk-Pop und zwischen allen Stühlen dieses tanzwütigen Mischmaschs, bayrisch irgendwie, Austropop-inspiriert und mit dem nötigem Augenzwinkern. VOR DEINEM FENSTER_COVERDie groovige Versiertheit und taschenspielerische Leichtig- und Dreistigkeit von Bilderbuch hat Münchner Duo noch nicht ganz, aber der Spirit stimmt, und dem nahenden Herbst fächert „POOOL“ trotzig ein paar Sommerhitvibes zu - nice. /// Eher schon in den Vibes des Herbstes fächert sich der neue Song „Vor deinem Fenster“ von „Florian Paul & und die Kapelle der letzten Hoffnung“ auf. Dieser Singer und Songwriter hat mit eben dieser seiner Kapelle einen wunderbaren, deutschsprachigen Vaudeville-Chanson erfunden, der lebens- und liebestrunken Rio Reiser, ZAZ oder „Fleet Foxes“ zuwinkt. Die Platte „auf Sand gebaut“ wurde so zum  „Popticker-Album des Jahres“ 2022 - siehe < hier >. Der neue SnoozeSong nun ist eine aufbrausend melancholische Ballade, wie sie nur diese herrliche Band hinbekommt, und eine Zeile wie „Jetzt sitze ich hier und hab Heimweh und wüsste so gerne wonach.“ dichtet so schnell auch niemand sonst hierzulande. Einfach wunderbar. /// Und einen englischen Song haben wir auch noch: Die junge Musikerin Celia May hat in den 80ern vermutlich auch noch nicht gelebt, aber ihr Soulpop hat in Depeche Mode gebadet, und heraus gekommen ist eine Indie-Ballade für die allgemeine Entschleunigung: „Snooze“. Den Wecker und sich selber zurück in den Schlaf schicken ist hierbei eine Art Symbol gegen den gehetzten Optimierungswahn unserer Zeit - das ist ein großartiger Topos für Popsongs (also ein Popsongtopos), und Celia May also eine echte Entdeckung. ///

Links: Website von

< Impala Ray > /// < Florian Paul > /// < Celia May >


Mixtapes und Karteikarten

Die Kassette wird 60

Die Audio-Kassette wird 60, und das weckt Erinnerungen. In den 80ern wussten wir, dass eine Chromdioxid-Kassette besser war - auch wenn wir den Grund dafür nicht kannten. Wir kannten die Tricks, dass man am oberen Rand ein Teilchen Plastik heraus brechen musste, um die Kassette unüberspielbar zu machen, und ebenso war bekannt, dass ein Stückchen Tesa reichte, um diese 009-685-00 Art Kopierschutz aufzuheben. Auch Bandsalat wussten wir zu beheben; aber das Schönste an den Tapes war natürlich, dass man sie auf dem Schulhof herum reichen konnte, weil jemand die neue Platte von Depeche Mode schon hatte und sie auf Kassette überspielen würde. Als Falk und ich 1987 aus London wieder kamen und dort die am selben Tag erschienenen neuen Alben von Housemartins und The Smiths mitbrachten, die in Deutschland noch nicht erhältlich waren, hatten wir Kassetten mit Namen darauf in Warteschleifen zuhause vor dem Plattenspieler liegen, da es ja die Länge eines Albums dauerte, um diese zu überspielen und ein Nachmittag natürlich nur begrenzt Zeit bot. (Interessanter Weise handelte es sich bei den beiden genannten Alben übrigens nicht nur um zwei Platten mit besonders langen Namen, „the people who grinned themselves to death“ und „strangeways here we come“, sondern auch, wie sich nachher heraus stellten sollte, um die jeweils letzten Alben der beiden Bands …). Aber natürlich war die Kassette auch ein Mittel der Liebeserklärung und von Freundschaftsbekundungen, weil man Mixtapes zusammen stellte. Und wirkliche Nostalgie überkommt mich, wenn ich an die Tapes denke, die ich erwartungsvoll vor dem Radio sitzend zusammen stellte. Die Anzahl meiner am Radio zusammen gestellten Compilations war irgendwann so hoch, dass ich diese Kassetten durchnummerierte und mir eine Kartei anlegte - für jede vertretene Band gab es eine Karte, auf der Stand dann, auf welcher Kassette an welcher Position der und der Hit drauf war - herrlich. 

So sah das das aus:

a-ha

Take on me             069 A 122

Cry Wolf               089 B 037

Hunting High And Low   072 A 317     

66816Diese Kartei anzulegen war ein riesiger Spass, auch wenn ich sie so gut wie nie brauchte, denn letztlich wußte ich zumindest bei den Songs, die wirklich liebte, wo diese zu finden waren. Und die Position fand man im Übrigen auch nur dann zuverlässig, wenn man die entsprechende Tape-Seite zurückspulte und dann den Zähler des Tapedecks auf Null stellte. (Ich müsste eigentlich mal schauen, ob ich diese Kartei noch habe, viele der Kassetten sind noch da …) - jedenfalls kann man es nicht anders sagen: Kein anderer Tonträger prägte die Entstehung meines Musikgeschmackes so sehr wie die Kassette: Happy Birthday!


Heute neu - die Freitagskolumne

ET2u7ctg/// Der Deutschpop ist nach wie vor ein Strom von Beständigkeit und einem Füllhorn an Bausteinen, aus denen man auch sechs Jahre nach Böhmermanns „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ hittauglichen Pop zusammen basteln kann. Das ist vermutlich selten brillant aber auch oft nicht völlig blöd. Moritz Ley ringt dem Ganzen nun eine Münchner Hommage an Mittzwanziger ab, die mit Wegbier und Fluppen über Leben und Liebe philosophieren: „wir kennen uns schon seit ein paar monaten / hätt nie gedacht, dass da irgendwas zwischen uns schlummert / doch heute nacht lern ich dich anders kennen / bin nicht der einzige, der hier wen bewundert.“, singt Ley, und es stammen diese Zeilen aus seinem neuen Song „Casanova“, denn die Bewunderte weiß offenbar, dass er einer ist oder hält ihn Yannic Kötterzumindest dafür. Summa summarum kommt dieser Pop ein wenig harmlos um die Ecke, aber will schon was gegen harmlosen Pop sagen - manchmal kann man ihn brauchen. Manchmal brauch es aber auch ein wenig Wut. Vielleicht dann auf einem Album, Herr Ley. /// Mittzwanziger ohne viel Probleme - aber nun auf dem Land, so könnte man den Link zu dem Kölner Duo „colin“ setzen; nun, die wirken in Wirklichkeit noch Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.19jünger als Ley, und unter ihrem Indiepop auf Englisch diesmal schlummern schon auch Risse und Abgründe, und dennoch oder gerade deshalb flimmern hier einfache, schöne Melodien durch ihren neuen Song, der „7“ heißt. „2 guys making indiepop“, schreiben die beiden über sich selber - so einfach und schön ist das. /// Wieder ein paar Jahre älter  sind die vier Mitglieder von „Die neue Zärtlichkeit“, aber auch sie sind nicht alt genug, um in den 80ern schon gelebt zu haben, aber in letzter Zeit gibt es ja viele Musiker:innen, die dieser Umstand nicht davon abhält die 80er wieder-erklingen zu lassen. Der Synthie-Pop dieses Quartetts ist versierter Wavemit heutigen Soundmitteln direkt aus den 80ern importiert, während die Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.56Lyrics des neuen Songs „Traum von Dir“ Liebe als Trotz gegen die Abgefucktheit der Welt feiert: „Kaltes Eis wo einmal Erde war / Unsere Luft sie leuchtet Nuklear / Und jeder weiß dass bald das Ende naht, egal / Ich träume von dir / Ich / träume von dir / Soll diese Welt doch untergehen / Ich bleib hier und träum von dir.“; und dann kommt auch noch ein Gitarrensolo: Prima Band, prima Song, prima Zeitreise. /// Wirklich aus den 80ern sind natürlich OMD, die immer noch oder vielmehr wieder mit drei Gründungsmitgliedern beisammen sind und nicht nur ihr musikalisches Erbe verwalten, sondern auch hin und wieder neue Singles heraus bringen - und nun Ende Oktober auch ein ganzes Album. Von eben diesem ist nun der Titelsong vorab erschienen: „Bauhaus Staircase“ ist eine typische OMD-Uptempo-Nummer, die mit beiläufigem Beat und flächigen Synthiesounds einen unterkühlten Bombast sucht.; das mag redundant sein, aber ich liebe es. ///

Links:

Moritz Ley / Casanova / < video >  (Premiere 25.08. um 15 Uhr)

colin / 7 / < video > 

Die neue Zärtlichkeit / < website >

OMD / Bauhaus Staircase / < video >