Ohren auf Deutschpop werfen, Folge 21: Madeline Juno, Maeckes und Nico Suave
Madeline Juno will nie wieder nach Neukölln. Warum eigentlich nicht? Dort zu sein, erinnert sie an Gefühle, die sie nicht mehr fühlen will, lieber würde sie sich „ihr Herz mit Teer auffüllen“ lassen, „denn wenn es kalt wird, ist es endlich still“. Man kann es nicht anders sagen: Als Opener eines Albums ist der Song „Neukölln“ ein wenig depressiv und insofern dramaturgisch ungewöhnlich. Anders gesagt: Dass die Popmusik tiefgründiger wird und nicht nur sporadisch an der Oberfläche blinken möchte, ist ein Trend, der sich mittlerweile auf die verschiedensten Sub-Genres ausweitet. Da bleibt eben auch der Deutschpop nicht aussen vor, und schon gar nicht im Falle von Madeline Juno, deren Hinwendung zur deutschen Sprache, früher sang sie Englisch, mutmasslich schon auf der Suche nach tolleren, tieferen, näher gehenden Popsongs erfolgte. Gleich im zweiten Lied auf ihrer neuen Platte „Besser kann ich es nicht erklären“ erzählt sie von einer Beziehung, die nicht zuletzt im Gespräch mit ihrem Therapeuten inzwischen „obsolet“ geworden ist. Die Texte, die Juno schreibt, operieren nicht mit den typisch deutschpop-lyrischen Versatzstücken. Zumal sie es zum Beispiel in besagtem Song „obsolet“ hinbekommt, die Zeilen im Sinn immer hängen zu lassen, über das Ende der Sätze bestehen zu lassen, so dass der Inhalt sich im natürlichen Sprachrhythmus nicht dem Versschema des Liedes unterordnet. Das ist eine große Kunst, die beim Song-Schreiben wenige beherrschen: „Noch immer find ich in Jackentaschen / Ein paar deiner Sachen / Hast du sie dagelassen / Damit sie mich kaputtmachen? / Mein Therapeut sagt, ich soll mich glücklich schätzen.“ Ich finde nur leider die Musik hält nicht mit den Texten mit. Die Melodien, der Sing-Duktus, die Refrain-Verschiebungen, alles das kennt man aus dem ABC des Deutschpops, und auch die Arrangements folgen klassischen Schemata mit räumlich aufgeputschtem, aber an sich klassischem Akkustikpop mit der ein oder anderen Synthie-Prise - alles recht hübsch gemacht, aber nirgends so aufregend, wie Madeline Juno Lieder schreiben kann. Ändert trotzdem nichts daran, dass dieses Album aus dem Deutschpopeinerlei heraus ragt - in der Summe äusserst hörenswert.
Nico Suave hat sich auf dem Deutschpop aus Richtung des Raps zugewandt - es scheint, dass adäquat, zum Schlager, welcher Deutschsingenden verlockende Identitätsangebote macht, der Deutschpop seinerseits Interpret:innen, die sich in ihrem angestammten Genre unsicher fühlen, Versprechen macht: Wenn sie sich im Deutschpop heimatlich einrichten, bekommen sie eine Art Karriere-Franchise-Vertrag. Suave jedenfalls hat nicht die Sprache seiner Musik gewechselt, sondern er hat dem Rappen entsagt und singt auf seinem neuen Album "Gute Neuigkeiten" also nun. Naturgemäss finden sich in seinem Popentwurf nun Spuren aus ohnehin schon übersetzten Partikeln von amerikanischem RnB, HipHop-Beats und Deutschrap. Daraus mischt sich ein merkwürdig indifferenter Breitwandpop mit viel Hall, Aaaahs, Ooooohs und Uuuuuhs und merkwürdig alltags- und alters-skeptischen Texten: „Wir tauchen ab und gehn auf Road über Felder und Schleichwege, keine Business-Calls keine Zeitpläne, kein GPS, keiner
kann uns orten und findet uns hier, angenommen verbotene Dinge passieren, we disappear“ - naja, das sind schon, wie er es singt und dichtet, noch Ideen des Rappens drin, aber es wird nichts recht Neues draus, die Umorientierung bleibt diffus, was manches Mal auch ganz sympathisch ist.
Ebenso irgendwo zwischen Deutschpop- und -rap tummelt sich Maeckes, der zuweilen auch schauspielert und Hip Hop in einen intellektuell konsumkritischen Kleinkunstpop übersetzt. Wenn man seine neue Platte „POOL refill“ anhört, bekommt man eins ums andere Mal das Gefühl, man hört einem jungen Stadttheaterschauspieler zu, der bei einem Liederabend rappen soll, und der hippe Theatermusiker probiert auch einmal Autotune fürs Abonnement aus: „Alle Menschen sind gleich / EASY / aber Amazon prime gehört halt Jezz Bezos allein / GANZ EINFACH / wir alle haben die gleich Chance / EASY / wie dumm, dass da einige die scheiss Jobs freiwillig machen / der Wohnungsmakrt wird geregelt vom kapitalistischen Prinzip / EASY / und mit bestimmten Nachnamen gibt’s halt kein Besichtigungstermin“ - mehr Wokeness bekommt man wohl nicht in vier, fünf Zeilen. Dieser Art Rap ist so antiseptisch aufgeweckt, dass man erschreckt einschläft.