Pop mit deutschen Texten

10 Jahre "Atemlos": Folge 02

10 Jahre "Atemlos" - das muss gefeiert werden! Der Popticker stellt sich die Frage: Was wäre, wenn Helenes Fischers Signature-Song das Aushängeschild ganz anderer deutschsprachiger Popacts wäre? Folge 01: Wie klängen die Lyrics, wenn "Atemlos" ein Song von PeterLicht wäre?

Atemlos

von PeterLicht

 

Was wir früher Disko nannten, nennt man heute Club

Und da ziehen sie dann hin, die Rentner-Renitenten

mit ihren Doppehaushälftennachbarn im Trupp

und schämen sich für ihre Arschgeweihe der 90er

 

Die wissen nicht, was zwischen ihnen ist,

die, zwischen die ein ganzer Stapel Druckerpapier passt

Und deren Blicke sagen: Eure Zeit ist vorbei

 

Nasenspray-Junkies der Nacht

Sie schlafen bis ein neuer Tag erwacht

Atemlos einfach raus

Das ist nicht unsere Zeit

 

Nasenspray-Junkies der Nacht

Sie schlafen bis ein neuer Tag erwacht

Atemlos einfach raus

Das ist nicht unsere Zeit

 

Die, die in Fonds investieren, halten sich für ewig, Tausende Konten Glücksgefühle

nicht einmal spüren, was sie sind, sie teilen nicht

Das billige Bild des Hamsterrades und die Phillip-Starck-Pfeffermühle

Komm nehmt Eure Hände in die Hand und schleicht Euch

 

Vom höchsten Dach auf der Welt, sieht man Wolken trotzdem noch von unten

und all die Farben ergeben trotzdem keine richtig bunten

Rahmen im Rahmen ihrer Ramen-Restaurants

Wo sie auch keine Fallschirme haben, auch wenn das oft behauptet wird

 

Alles, was ich will, ist da

Große Freiheit verwässert den Genuss

Nein, wir wollen hier nicht weg.

Denn nicht ist hier perfekt

 

Nasenspray-Junkies der Nacht

Sie schlafen bis ein neuer Tag erwacht

Atemlos einfach raus

Das ist nicht unsere Zeit

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10 Jahre "Atemlos" / Folge 01

10 Jahre "Atemlos" - das muss gefeiert werden! Der Popticker stellt sich die Frage: Was wäre, wenn Helenes Fischers Signature-Song das Aushängeschild ganz anderer deutschsprachiger Popacts wäre? Folge 01: Wie klängen die Lyrics, wenn "Atemlos" ein Song von Jan Delay wäre?

 

ATEMLOS

von Jan Delay

Wir ziehen durch die Reeperbahn

und kommen bisschen later an, 

als wie vereinbart per whatsapp

Wurscht. Die Zeit ist im Norden nie knäpp.

 

Was das bei uns in Hamburg ist

Wie Du die Non-Tabu-Fahne hisst

Gleich neben der Regenbogen Party

Nordlichter sind halt nicht arty

 

Atemlos durch Pauli

Kleine Pause Pommes Gaudi

Atemlos mit Craftbier

Hamburger sind Rudeltier

 

Der Ewigkeit am Arsch vorbei

Nordlichterdauerfeierei

Uns kann man nicht zersägen

Börlin kann sich gehackt legen

 

Der zwölfte Stock, die Türmen tanzen,

Landeier, Städte-Pommeranzen

Tanzbein schwingen Groove der Disko

Erst am Mittag San Frantschüssko

 

Atemlos durch Pauli

Kleine Pause Pommes Gaudi

Atemlos mit Craftbier

Hamburger sind Rudeltier

 

Natürlich bei nordisch, Hamburger Schule,

Du siehst den Markt vor lauter Fischen nicht.

Tocotronisch deichkindisch Bambule

Du dänst so ab wie schon seit Jahren nicht.

 

Atemlos durch Pauli

Kleine Pause Pommes Gaudi

Atemlos mit Craftbier

Hamburger sind Rudeltier

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Pop durch die Hintertür

Bildschirmfoto 2023-11-17 um 09.58.10::: Was heute erscheint: Die Freitagskolumne ::: Den Song „collapsing“ habe ich gestern auf meinem Rechner laufen lassen, als es an der Tür klingelte, und als ich von der Tüt zurück kam, dachte ich: Jetzt läuft hier aber ein anderer Song. War aber nicht so: Die neue Single von „still sane“ hat zwei höchst unterschiedliche Teile. Während die Strophe fast klassischer, akustischer Folk und uptempo daher kommt, ist der Refrain deutlich langsamer, flächiger, elektronischer, chorischer. Daraus ergibt sich eine selbst für weirden Folk recht ungewöhnliche Dramaturgie, weil sich stetig etwas Neues aus den Schaltstellen zu drängen scheint. Das kann ich zumindest nicht beiläufig hören, aber wenn man sich dem widmet, ist es textlich wie musikalisch wie autogenes Suchen nach sich selbst - also eine in allen Belangen ungewöhnliche Musik. Der Stuttgarter Michel Stirner Foosteps Artworkstecht hinter dem Namen „still sane“, und ohne jetzt all zu schubladig klingen zu wollen: Hört sich an wie Bon Iver aus Stuttgart. Die EP „i thought that i’d know“ jedenfalls, die von "collapsing" flankiert wird, lohnt sich allemal. ::: Bon Iver nennt das Trio „Varley“ auch als Referenz für ihren Sound, aber bei Bildschirmfoto 2023-11-17 um 10.03.36ihnen hört man das nicht in erster Instanz durch - Elektrojazz hat man das in den 90ern wohl mal genannt. Ihr neuer Song „Footsteps“ handelt zwar von innerer Angst, kommt aber in der Summe ein wenig harmlos daher. Auf der anderen Seite macht auch das seinen Reiz aus: Man misstraut beim Hören der Oberfläche, und ehe man sich es versieht, hat man einen Ohrwurm - Pop durch die Hintertür. ::: And then there were three: Nachdem die wunderbare Band „ok danke tschüss“ zunächst ihren Drummer verabschieden musste, dann ieine neue Drummerin (Pauline) fand, muss diese nun aus gesundheitlichen Gründen leider pausieren - die Band ist nun wieder offiziell ein Trio. Die rhythmische Vakanz hält die Band aber nicht davon ab, stetig neue Singles zu veröffentlichen: Nachdem bereits seit letzter Woche das sehr launige, bisher nur auf YouTube in einer jazzigen Version zu findende „Teesorten“ im gewohnten Ok-Danke-Disko-Rock-Gewand erhältlich ist, bei der auch der Text leicht überarbeitet wurde, erscheint heute „Joel“ - bei der es um einen CoverTypen gleichen Namens geht (nicht um Weihnachten) - und auf einmal klingen Ok Danke nach Wir sind Helden, jedenfalls erinnert mich der Song an deren "Aurelie" - ach wie dem auch sei: Vielen Dank für jedes Lied an diese wunderbare Band. ::: Und dann haben wir noch klassischen 80s retro-Synthiepop im Gepäck, konkret die Band „King Pigeon“ mit ihrem neuen Song „Home With You“: Funky Gitarre und pointierte Synth-Keys legen hier das Flussbett für melodischen Hippie-Wave samt Solo, Chor-B-Teil - saugut gemacht, retro kann so neu klingen. :::

::: Links :::

::: still sane "collapsing" < video > ::: Varley < YouTubeChannel > :::

::: King Pigeon "Home with you" (Videopremiere 17.11. 18 Uhr) :::

::: ok.danke.tschüss videos: < Teesorten > ::: < Joel > (Premiere 17.11. 12 Uhr) :::


Songs zum Sonntag ::: 121123

An und für sich_COVER::: Wer Florian Paul und seine letzte Kapelle der Hoffnung - nein, die Kapelle der letzten Hoffnung, so rum - kennt, und wer den Popticker liest, wird den Namen schon mal gehört haben, der erwartet vielleicht nicht unbedingt, dass Paul Fan der Frankfurter Eintracht ist, und vielleicht ist er das auch gar nicht, und wie so vieles in seinen Texten ist das Spiel der Eintracht auch eine Allegorie, eine poetisch aus der Zeit gefallene Anspielung: „Doch ich denke an Dich, wenn heute die Eintracht spielt, weil drüben die S-Bahn fährt, die gleich bei Dir hält.“ - wieder einmal ist es eine Bar, in der sich die Szene dieses Liedes "an und für sich", zumindest der ersten Strophe abspielt, ZeT6bCzcund es ist die Bar, die den Kitsch hier aushält, so weit lehnt sich Florian Paul dieses Mal aus dem kitschigen Barfenster, und und seine Vaudeville-Balladen triefen, so auch hier, wie immer vor Schönheit - was für ein ergreifender Song. ::: Video-Link < hier > ::: Mehr Indie-Unterstatement gibt es bei Rahel, hier kniedeln fast schon die Gitarren zwischen zwei Liedern, die soeben als Doppelsingle erschienen sind, zwischen Ich und Du, die Rahel erschienen sind, und nicht immer scheint sie das Ich zu sein: „ Ich küsste dich im Affekt / Muss was verwechselt haben / Du warst nicht mein Zielobjekt“ - fast schon deutschsprachiger Folkrock könnte man das nennen; irgendwie verstehe ich diese beiden Lieder „bitte nicht in blicken“ und „zum Tage des Barsches“ nicht, aber versteht schon Pop - schöne Songs sind es. ::: Rahel Doppelsingle : Video Release 14.11.23 < hier > :::


Das Schmierfett von Pop

Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.27/// Augen auf beim Deutschpopkauf & Die Freitagskolumne treffen sich /// Ehrlichkeit ist eine Tugend - da trifft die Band Jante den nagel auf den Kopf: Jemand, wahrscheinlich ein Paar, war bei jemandem, wahrscheinlich auch ein Paar, zum Essen und zum Spielabend eingeladen: „Doch irgendwie, wenn ich ehrlich sein soll, jetzt wo wir uns besser kennen, find’ ich euch gar nicht mal so toll, und die Stimmung ist gedrückt, weil sich keiner traut Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.26.00 zu sagen, was doch offensichtlich ist: Lass uns bitte bitte keine Freunde sein.“ - den Song finde ich prima, zumal ich über die Situation eines misslungenen Paar-Abends mal ein recht pessimistisches Stück geschrieben habe. Wenn die vier Personen in „Herr Kolpert“ so ehrlich gewesen wie die in dem Song von Jante, es wäre uns viel Theaterblut erspart geblieben; und ich wäre heute allerdings auch kein Theaterautor. Aber hier soll es ja um Pop gehen: Prima Band, prima Thema, melodischer Gitarrenpop, prima Song: Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.25.21Danke! /// Bisschen rauher geht es im Allgemeinen bei der Band „Kicker Dibs“ zu, aber die Veröffentlichung ihres Album „Die Pointe“ flankieren sie jetzt mit dem Song „irgendwo“, der mutmasslich mal als Ballade geplant war und jetzt doch als Song eher Uptempo geworden ist. Aber ist ja auch wurscht: „Ich will irgendwohin mit dir“, heißt es im Refrain, und da ist natürlich eine herrliche Rockzeile; überhaupt: So beiläufig „selig“ machenden Gitarrenrock hört man nicht alle Tage - wenn es solche Bands nicht mehr gibt, können wir’s auch gleich lassen. /// Wer den Neo-Hype und das Comeback der Poptugenden der NDW noch immer nicht glaubt, dem sei auf die Band „Die neue Zärtlichkeit“ verwiesen, die heute ihre zweite Single „Ein Replikant geht durch die Wand“ veröffentlichen: Butterzarter Synthiepop, zurückgehalten produziert und gesungen, dass man sich in der Lakonie an die „Dreiklangdimensionen“ Bildschirmfoto 2023-09-29 um 10.24.49 von Rheingold erinnert fühlt: „Traurige Roboter lesen Zeitung, traurige Roboter sitzen auf Arbeit.“ - irgendwo zwischen konstruierter Naivität und angeeigneter Technikskepsis findet dieser NDW-2.0 seine Skizze, die sich dann schon als Ausformulierung entpuppt. /// Nico Gomez hat mit seiner letzten Single im wehmütigen Pianopop gebadet, sein neuer Song heißt „Keine Lust“ und ist eher wieder tanzbarer Synthiepop: „Verpass meiner Todoliste einen Arschtritt.“, heißt es darin - das ist nicht so unbedingt meine Wiese, aber als Song funktioniert das Ganze schon ziemlich gut, weil die Unlust hier euphorisch und lustvoll rüber kommt: Gegensätze können ja bekanntlich das Schmierfett von Pop sein /// Video-Links /// Jante /// Kicker Dibs /// Die neue Zärtlichkeit /// Nico Gomez ///


offiziell glücklich

Bildschirmfoto 2023-09-21 um 12.20.28::: Die  Zeiten, in denen der Mittwoch des Reeperbahnfestivals noch etwas ruhiger und leerer ist, sind allem Anschein nach vorbei - das Imperial-Theater ist um 21:30 h zwar noch nicht so gut gefüllt, aber die RBF-app meldet durchaus Locations, in denen Einlass-Stop verhängt wurde, und auch die Reihen des Kiez-Theaters, in den derzeit Edgar Wallace’ „Die blaue Hand“ spielt, füllen sich nach und nach. Im Bühnenbild dieses who-dunnit treten aber in dieser Woche Musiker:innen auf, und ich sah dort die Irin Ailbhe Reddy, die mit wunderschönen Songs einen filigranen Indierock spielt, der manchmal nach Folk mit elektrischen Instrumenten klingt - zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug; wenn es solche Bands nicht mehr gibt, sind wir verloren - wunderbar. ::: Deutlich voller dann im Knust, in dem Bildschirmfoto 2023-09-21 um 12.17.26Paula Carolina auftritt, und die hat auch schon einige Hits im Gepäck, die die Leute mitsingen. Der NDW-huldigende Indiepop ist im Studio eher mit Zurückhaltung und auf Stimme und Text fokussiert produziert, live (und in ihrem neuen Song "offiziell glücklich" schon auch) kommt das ganze eher als Postpunkrock daher, als hätte die erschreckend professionelle Band einen Workshop bei IDEAL besucht, deren „Berlin“ auch mindestens einmal vom Keyboarder direkt zitiert wird. Dieser noch unfassbar jungen Popsängerin, gehört die Zukunft des Deutschpop, die wird berühmt, davon bin überzeugt. ::: Feiner, filigraner und stiller hatte ich den Abend im Grünen Jäger, 100 Meter meiner Wohnung begonnen und beendet: Die Sängerin und Songwriterin „C’est Karma“ aus Luxemburg trat mit Pianist auf, der auch Keyboard und Ableton live bediente, und die beiden holten ihre Popsongs aus dem Chanson ab und bliesen sie mit Effekten und Autotune zu leicht bombastischen Synthiepop auf. ::: Während Mina Richman in gleicher Location zu später Stunde akustischen Bluesfolk suchte und fand: Die Sängerin schreibt wunderbare Lieder und hat eine Band dabei, die sie mit akustischer Leidenschaft spielt, und Mina Richmans Stimme wandert von tremolofreier Energie zu trotziger Neugier in zig Stile: Für mich der Schluss- und Höhepunkt eines großartigen ersten Tages vom Reeberbahnfestival 23 :::

https://www.cestkarma.com/ ::: http://www.ailbhereddy.com/

https://www.paulacarolinamusik.de/ ::: https://minarichman.de/ 

 


Reissverschluss klemmt - was heute erscheint

L7_Bqq3ADie Freitagskolumne /// Die Wohnung als solche oder die nach einer Bleibe ist natürlich ein fester Topos im Setzkasten der Poplyrik; weil das Dach über dem Kopf, ohne dass man etwas dafür tun muss, mithin allegorisch ist: Wo soll ich hin? Wo bin ich zuhause? Solche Fragen sind gestellt, wenn ich die Wohnung auch nur erwähne. Insofern nimmt es nicht wunder, wenn Julia Kautz, ihres Zeichen langjährige und erfolgreiche Deutschpop-Songwriterin, auf eben diesen Kniff zurück greift und den Text ihrer zweiten Solosingle „kaputt“ so beginnt: „Eine Zweiraumwohnung mit einer Einbauküche ist das Verliess der düsteren Gedanken“; dazu hören wir glasklare Synthieflächen und simplen Gesang - weit und breit kein Verließ und keine düsteren Gedanken. Das macht aber ja auch nix: Eine Musik-Text-Schere kann ja sehr produktiv sein, aber hier kommt nicht so recht Wind in das Lied, das auch immerhin kaputt heißt, ohne irgendwo kaputt zu sein. Da Julia Kautz aber aber eben gewieft genug ist, Sprachbilder für Popsongs zu kreieren, die zwar naheliegend sind, aber dennoch Räume eröffnen, merkt man nicht, dass dieser Song wohl ein wenig langweilig ist - und genau in diesen Widersprüchlichkeiten ist das Ganze dann doch wieder spannend oder macht jedenfalls Lust darauf, weiter zu verfolgen, was diese Sängerin noch so veröffentlichen wird. GhnnY7Ly/// Was Julia Kautz an Professionalität und Erfahrung mitbringt, kann Rahel, aus Wien, so nicht vorweisen, aber das ist vielleicht auch ganz gut so: Ihr in den 80ern, Austropop und Indierock gebadeter Soundentwurf lebt zumindest auf ihrer heute erscheinenden Single „Schaffner“ von einer gewissen Wuschigkeit, die sich ihrerseits aus einer gehörigen Portion Naivität speist. Mir gefällt das sehr gut; der Song klingt anfangs zumindest sehr nach Mia Diekow und ihrem fantastischen Album „Ärger im Paradies“ (kleine Randnotiz *), dann aber hört man auch sehr Wien und Pop aus Bilderbuch aufscheinen: „Siehst du jetzt wie gut es ist / Dass du doch noch geblieben bist / Das Tischtuch im Speisewagen / Passt zu rosa Schnurrbarthaaren / Alle ham vergessen / Ob sie männlich oder weiblich waren / Den Strohhalm durchs Fenster / Einfach in das Meer hinein / Es ist gar nicht salzig / Es ist echter Veltliner Wein.“ - wunderbar getextet! /// In den 80ern gab es ja das Internet noch nicht, aber es gab Posterversandhändler, die den Preis für jedes Einzelposter verringerten, je mehr man bestellte, und daher gab man dann die Kataloge in der Schule rum. Ein Subgenre der damaligen Postermotive waren die schicken Männer, die Autoreifen durch die Gegend trugen, wer immer so Bildschirmfoto 2023-09-08 um 11.30.51etwas bestellte, aber Ben Zucker, jene Kreuzung aus Helene-Fischer und Hans-die-weißen-Tauben-sind-müde-Hartz, hat sich nun an diese Autoreifen tragenden Männer erinnert und ist auf seinem neuen Album als Autoreifen tragender Mann zu sehen. Das Album heißt „heute nicht“, und es erscheint auch heute nicht, und auch nicht nächste Woche, sondern im Dezember, Weihnachtsgeschäft, ich hör Dir trapsen, aber der Titelsong „heute nicht“ erscheint tatsächlich heute nicht nicht, sondern erscheint heute. Und lässt Schlimmes erahnen: Zucker hat die restlichen Mikrokramm Rock aus seinem Schlagerentwurf gestrichen und klingt jetzt nur noch nach Bumm-Bounce; und mit diesen saudämlichen Texten („Seh ich auch dunkle Wolken am Horizont: Ist mir egal, heute nicht / Und wenn das Chaos auch immer näher kommt: Ist mir egal, heute nicht“), da hat man das Gefühl man hört einem Motivationstrainer bei der gesungenen Zusammenfassung seiner Show: „An einem Wochenende das Mindset für Dein Glück“ zu. Diese Musik ist wirklich entsetzlich. /// Herrlich bekloppt ist auch wieder der neue Song von Alexander Marcus: "Und keinen interessiert es, obwohl es wirklich brennt / Immer mehr Menschen erleben, dass ihr Reissverschluss klemmt" /// * Mia Diekow hat gerade eine Crowdfunding-Kampagne für ihr nächstes Album gestartet, dazu mehr in der nächsten Woche. /// Links: Website Julia Kautz /// Linktree Rahel /// Ben Zucker "heute nicht" /// Alexander Marcus "Reissverschluss klemmt" ///


Snooze-Pool vor deinem Fenster

Heute neu - die Freitagskolumne 010923

GowkyMiQ/// „Einen Plansch vorm Haus, yeah / Es glitzert blau, yeah / Gib mir das, gib mir das, mmmhh / Und mach mich nass“, so singen „Impala Ray“ in ihrem neuen Song „POOOL“; nur echt, glaube ich, mit den drei „O“. In jedem Falle kommt in dem Lied wie zitiert das Wort „Plansch“ vor, und wer mit „Plansch“ an „Bilderbuch“ denkt, die einmal ein Lied mit diesem Titel heraus gebracht haben, der ist auch insgesamt nicht auf der völlig falschen Parellelen-Fährte, wem man den Sound von „Impala Ray“ umschreiben wollten: Synthie-Wave-Fun-Funk-Pop und zwischen allen Stühlen dieses tanzwütigen Mischmaschs, bayrisch irgendwie, Austropop-inspiriert und mit dem nötigem Augenzwinkern. VOR DEINEM FENSTER_COVERDie groovige Versiertheit und taschenspielerische Leichtig- und Dreistigkeit von Bilderbuch hat Münchner Duo noch nicht ganz, aber der Spirit stimmt, und dem nahenden Herbst fächert „POOOL“ trotzig ein paar Sommerhitvibes zu - nice. /// Eher schon in den Vibes des Herbstes fächert sich der neue Song „Vor deinem Fenster“ von „Florian Paul & und die Kapelle der letzten Hoffnung“ auf. Dieser Singer und Songwriter hat mit eben dieser seiner Kapelle einen wunderbaren, deutschsprachigen Vaudeville-Chanson erfunden, der lebens- und liebestrunken Rio Reiser, ZAZ oder „Fleet Foxes“ zuwinkt. Die Platte „auf Sand gebaut“ wurde so zum  „Popticker-Album des Jahres“ 2022 - siehe < hier >. Der neue SnoozeSong nun ist eine aufbrausend melancholische Ballade, wie sie nur diese herrliche Band hinbekommt, und eine Zeile wie „Jetzt sitze ich hier und hab Heimweh und wüsste so gerne wonach.“ dichtet so schnell auch niemand sonst hierzulande. Einfach wunderbar. /// Und einen englischen Song haben wir auch noch: Die junge Musikerin Celia May hat in den 80ern vermutlich auch noch nicht gelebt, aber ihr Soulpop hat in Depeche Mode gebadet, und heraus gekommen ist eine Indie-Ballade für die allgemeine Entschleunigung: „Snooze“. Den Wecker und sich selber zurück in den Schlaf schicken ist hierbei eine Art Symbol gegen den gehetzten Optimierungswahn unserer Zeit - das ist ein großartiger Topos für Popsongs (also ein Popsongtopos), und Celia May also eine echte Entdeckung. ///

Links: Website von

< Impala Ray > /// < Florian Paul > /// < Celia May >


Heute neu - die Freitagskolumne

ET2u7ctg/// Der Deutschpop ist nach wie vor ein Strom von Beständigkeit und einem Füllhorn an Bausteinen, aus denen man auch sechs Jahre nach Böhmermanns „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ hittauglichen Pop zusammen basteln kann. Das ist vermutlich selten brillant aber auch oft nicht völlig blöd. Moritz Ley ringt dem Ganzen nun eine Münchner Hommage an Mittzwanziger ab, die mit Wegbier und Fluppen über Leben und Liebe philosophieren: „wir kennen uns schon seit ein paar monaten / hätt nie gedacht, dass da irgendwas zwischen uns schlummert / doch heute nacht lern ich dich anders kennen / bin nicht der einzige, der hier wen bewundert.“, singt Ley, und es stammen diese Zeilen aus seinem neuen Song „Casanova“, denn die Bewunderte weiß offenbar, dass er einer ist oder hält ihn Yannic Kötterzumindest dafür. Summa summarum kommt dieser Pop ein wenig harmlos um die Ecke, aber will schon was gegen harmlosen Pop sagen - manchmal kann man ihn brauchen. Manchmal brauch es aber auch ein wenig Wut. Vielleicht dann auf einem Album, Herr Ley. /// Mittzwanziger ohne viel Probleme - aber nun auf dem Land, so könnte man den Link zu dem Kölner Duo „colin“ setzen; nun, die wirken in Wirklichkeit noch Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.19jünger als Ley, und unter ihrem Indiepop auf Englisch diesmal schlummern schon auch Risse und Abgründe, und dennoch oder gerade deshalb flimmern hier einfache, schöne Melodien durch ihren neuen Song, der „7“ heißt. „2 guys making indiepop“, schreiben die beiden über sich selber - so einfach und schön ist das. /// Wieder ein paar Jahre älter  sind die vier Mitglieder von „Die neue Zärtlichkeit“, aber auch sie sind nicht alt genug, um in den 80ern schon gelebt zu haben, aber in letzter Zeit gibt es ja viele Musiker:innen, die dieser Umstand nicht davon abhält die 80er wieder-erklingen zu lassen. Der Synthie-Pop dieses Quartetts ist versierter Wavemit heutigen Soundmitteln direkt aus den 80ern importiert, während die Bildschirmfoto 2023-08-25 um 13.22.56Lyrics des neuen Songs „Traum von Dir“ Liebe als Trotz gegen die Abgefucktheit der Welt feiert: „Kaltes Eis wo einmal Erde war / Unsere Luft sie leuchtet Nuklear / Und jeder weiß dass bald das Ende naht, egal / Ich träume von dir / Ich / träume von dir / Soll diese Welt doch untergehen / Ich bleib hier und träum von dir.“; und dann kommt auch noch ein Gitarrensolo: Prima Band, prima Song, prima Zeitreise. /// Wirklich aus den 80ern sind natürlich OMD, die immer noch oder vielmehr wieder mit drei Gründungsmitgliedern beisammen sind und nicht nur ihr musikalisches Erbe verwalten, sondern auch hin und wieder neue Singles heraus bringen - und nun Ende Oktober auch ein ganzes Album. Von eben diesem ist nun der Titelsong vorab erschienen: „Bauhaus Staircase“ ist eine typische OMD-Uptempo-Nummer, die mit beiläufigem Beat und flächigen Synthiesounds einen unterkühlten Bombast sucht.; das mag redundant sein, aber ich liebe es. ///

Links:

Moritz Ley / Casanova / < video >  (Premiere 25.08. um 15 Uhr)

colin / 7 / < video > 

Die neue Zärtlichkeit / < website >

OMD / Bauhaus Staircase / < video >


Heute neu - die Freitagskolumne

Cover - EP - HeißKalt - Paula Carolina credits_ Sophie LöwNicht völlig zu Unrecht spricht man im Jahr 2023 von eine Anstieg der NDW-Referenzen bei jungen Musiker:innen. Was dabei wiederholt vergessen wird, ist das die neue deutsche Welle durchaus auch der deutschsprachige Postpunk gewesen ist, dass diese deutsche Pop-Welle ihre Wut und ihren Humor aus dem Punk bezog damit Punk nicht (nur) überwand - sondern weiter schrieb und zitierte. Das ist ein Element der NDW, auf dass sich heute weniger bezogen wird - aber bei Paula Carolina ist das anders. Die hat den Wut- und Befreiungsgestus, den Witz, Zynismus und die Provokationsfreude des Punk, bezieht sich musikalisch ohne Retrogedöns auf die NDW - und hat dennoch oder gerade deswegen ihren eigenen, eigensinnigen und unfassbar heutigen Popentwurf. Ihre fünf letzten Singles bündelt sie nun, ein oft gesehener Move in der VÖ-Dramaturgie in heutigen Zeiten, zu einer EP, die wiederum benannt ist nach einem neuen Song - „heiß & kalt“. Dieser bunte Popstrauss-Potpurri erscheint heute, und wenn man die sechs Songs in einem weg hört, hat man unweigerlich gute Laune: Sprachwitz und Feminismus, Wortbiss und Rockriffs, Pop und Punk-Attitüde wie aus einem Guss, vor allem wie Paula Carolina vom rhythmischen Singen ins Rappen und zurück ins melodische Intonation wechseln kann, ist groß - ein Wahnsinnstalent deutschsprachiger Popmusik; und „heiß / kalt“ ist eine EP, die vom Ideenreichtum quasi ein Album ist.

< Website Paula Carolina >

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Bildschirmfoto 2023-07-21 um 14.29.27Der Song „Hirn“ der Hamburger Band „DiNA“ zusammen mit dem Berliner Liedermacher Tristan Brusch ist schwer zu ertragen, denn hier ist das singende Ich ein Mann, der offenbar seine Frau umgebracht hat. Femizid ist an sich schon ein nicht gerade oberflächliches Thema für einen Popsong, aber aus Täterperspektive gesungen wird das Ganze zu einem Vorhaben jenseits der Beiläufigkeit des Mediums Popmusik - hier bräuchte es fast schon eine Triggerwarnung. Denn das beiläufige Hören, das Weghören oder die temporäre Annahme, hier höre man nur die Metapher einer Trennung, die in tiefer Depression und Düsternis erzählt wird, bedarf schon so viel innerer Verdrängung, dass es in der Summe leichter scheint, sich der Wahrheit zu stellen: Dass das singende Ich in diesem Lied ein Mörder ist. Die Frage, was hier erreicht werden soll, muss erlaubt sein, und man kommt auf der Suche nach einer Antwort nur auf die Idee, dass der Song eine Art Katharsis mit sich bringen könnte, eine innere Reinigung durch Abschreckung. Das wiederum ist ein Effekt, der in der Popmusik quasi noch nicht versucht wurde, sieht man vielleicht einmal von Falcos „Jeanny“ ab, der als Popsong ökonomisches Kalkül der Provokation sowie Doppeldeutigkeit und Schmäh mit sich brachte; und spätestens mit dem Sequel „Coming Home“ konnte man zudem mit Fug und Recht annehmen, dass Jeanny lebt oder aber ohnehin nur das Hirngespinst eines Irren ist und also nie gelebt hat. In dem Lied „Hirn“ ist all zu deutlich, dass wer hier besungen wird, unwiederbringlich tot und ermordet in einem Flur liegt, das Ganze ist verstörend scharf getextet, mit emotionaler Tiefe und doch genügend distanziert gesungen und dramaturgisch geschickt gebaut. So könnte man also abschliessend sagen: Ein grandioses Lied; das ich persönlich aber trotzdem kein zweites Mal hören möchte.

< Video Hirn >