Post-Charts-Pop

Wie wird es schön?

Die vielversprechende EP des jungen Popmusikers Fabian Saller

ONhANPggDie soeben erschienene EP des Sängers und Songwriters Fabian Saller „place / time“ klingt nach Deutschpop auf Englisch. Und vielleicht trifft es das auch: 4 Songs über die Unsicherheiten eines jungen Mannes Mitte 20 oder auch (nur) die Suche nach Problemen, über die es sich singen lässt. Gegen dieses Konzept, um Pop zu entwerfen, ist erstmal nichts einzuwenden, und Fabian Saller mach auch handwerklich alles richtig, weiß, wie ein Refrain funktioniert, ist als Sänger in der Lage versiert ins Falsett zu singen, um in höheren Lagen eine Spur Soul mit in den Pop zu nehmen; auch findet er Zeilen jenseits der Lyric-Setzkästen, und seine Band beherrscht zudem den kompakten Instagram-Funk, den auf social Media eine junge Generation virtuoser Popmusiker:innen erfunden haben, die nicht recht wissen, was sie mit ihren Instrumenten spielen sollen, die sie so toll beherrschen. Das Meiste also wurde hier richtig gemacht; aber dennoch denkt man: Handelte Pop nicht, oder Rock zumal, auch mal vom Kontrollverlust? Und führte uns die Verlockungen des Hedonismus vor Ohren? Wenn man an allen Ecken und Enden alles gut macht, was bleibt dann am Ende des Tages übrig? Vielleicht sind es in der Popmusik auch manchmal die Momente, in denen man zumindest riskiert hat, dass irgendwas nicht funktioniert. Dass man an der einen Kreuzung mal links abbiegt, obgleich seit Generation von PopmusikerInnen mit dem linken Abzweig ganz gut gefahren sind. Das Unperfekte kann zur Schönheit führen, das risikofrei perfekt Gemachte bietet einen guten Grundstock, ein Fundament, aber es ist noch nicht die Musik an sich, die berührt. Mit Fabian Saller also ist ein großartiger Musiker am Werk, dem seine Versiertheit an manchen Stellen im Weg steht, den es sich aber weiter zu verfolgen lohnt; und hörenswert ist seine EP „place / time“ allemal. /// - LINK: < YouTube-Channel > mit Videos zu allen vier Songs der EP - ///


Unterwasserbeat

Gloria Nussbaum und ihre neue, wunderbare Single "water"

TWADRhssAls ginge auch der Beat unter Wasser, oder man höre den Song „Water“ mit den Ohren im Selbigen, so hingehuscht und daher gehaucht hört sich die neue Single der Sängerin und Songschreiberin Gloria Nussbaum an. Obgleich diese noch kein Album veröffentlicht hat, kann man auch in den letzten drei Singles dieses Jahres im Unterschied zu ihrer ebenfalls aus 2023 stammenden EP „Camel Blues“ eine Entwicklung erkennen; klangen die Songs auf dem Mini-Album noch nach elektronisch aufgepopten Indierock oder gar -folk, sind Nussbaums neuere Veröffentlichungen bekennend elektronischer und schubladenmässig im Bereich des Synthipops zuhause. „Water“ nun, heute erschienen, kommt so unterspannt und leichtfüssig daher, wie es vielleicht nur Wasser kann - eine simple, fast bluesige  Singmelodie durchstöbert Synthieflächen und einen erwähnt wie im Flüssigen verschwindenden Beat. Das Ganze scheint so lässig aus der Hand geschüttelt, wie man das eigentlich nur von Lorde kennt. Gloria Nussbaum ist in ihrer Biografie und ihrem Popentwurf eine Globetrotterin und, um das Wortspiel einmal gemacht zu haben, mit vielen musikalischen Wassern gewaschen und jenseits von Wortspielen in Sachen Popmusik ein riiiiiesiges Talent. (Ich sag mal ganz nebenbei, dass ich Selbiges vor vier Jahren über "Jain" und ihren Song „Makeba“ gesagt habe - und zwar < HIER > -  und nun wird dieser Song urplötzlich zum weltweiten Hit auf tiktok und instagram - schauen wir also mal, wo Gloria Nussbaum in vier Jahren steht. Ihr erfahrt es bestimmt hier, im Popticker.)

 


Songs zum Sonntag /// 040623

Bildschirmfoto 2023-06-04 um 15.42.17/// „Wir wollen alles und ein Happy End.“, singt Anika Auweiler in ihrem neuen Song, der auch so heißt: Wir wollen alles. Das erwünschte Happy End ist ihr programmatischer Ausruf zum Beginn des Pride Month, und mit allem, das sie wollen, meint Auweiler queere Sichtbarkeit im Alltag- und Mediengeschehen. Dazu hat sie sich für das Musikvideo von 16 Vereinen und Netzwerken kurze Clips schicken lassen, die sie zu einem Kurzfilm montiert hat. Cover1Der Song selber ist eine Piano-Uptemponummer bei der der Einsatz von Autotune für mich ein wenig fehlplatziert klingt - es passt einfach nicht recht zum sonst sehr authentischen Gestus des aktivistischen Liedes. /// Auch bei AMAU gibt es Autotune - aber hier scheint häuslicher: Deutsch-Soul mit Funk-Gitarre. Der Song „ich und meine Homies“ klingt, als wäre AMAU eine ein Wiedergänger des leider schon verstorbenen Edo Zanki. Kann man machen - ist aber nicht so sehr meine WIese. /// Auch Gloria Bildschirmfoto 2023-06-04 um 15.35.53Nussbaum nutzt den Stimmefekt Auotune - sie aber  eher für flächig geschichtete Hintergrundchöre ihrer neuen Single „INK“. Der Song klingt damit, als würde eine Synthiepopband in einer Kirche auftreten. Während wir es bei ihrer kürzlichen erschienenen Single „Maze“ und auf der seit Anfang des Jahres erhältlichen EP „Camel Blues“ eher mit elektronisch unterfütterteten Indierock zu tun hatten, sind wir mit „INK“ nun bei blubberndem Elektropop. Wenn noch irgendwo Gitarren zu hören sind, gefällt mir der Nussbaumsche Popentwurf besser, aber die tremolofrei eingesetzte Folk-Stimme mit jazzigem Timbre dieser tollen Sängerin macht das allemal wett. /// Videos /// "Wir wollen alles" /// "ich und meine Homies" /// INK - ist noch nicht erschienen ///


Von der Verheissung zur Presets

Drei Newcomer:innen und ihre heute, Freitag den 05.04.23, erscheinenden Singles

Bildschirmfoto 2023-05-04 um 12.59.48/// „Du hörst den Trapbeat viel zu laut / isst deinen Mettigel und kaust mit Mund auf. / Ich glaub ich raste aus / Du fragst mich “hast du PMS, / oder vielleicht zu selten Sex?” / Reiß dein Maul noch weiter auf / und es gibt Stress!“, singt Paula Carolina zu Beginn ihrer neuen Single „Bitte Bitte“, und wer ihren Popentwurf aufgrund dieser Zeilen irgendwo zwischen NDW und Deichkind einsortiert, hat schon irgendwie Recht damit, aber die und Art und Weise, wie hier jegliches Blatt vor dem Mund in Grund und Boden gesungen wird, die Selbstverständlichkeit wie hier die globale Mensplaining-Lobby zum Schweigen aufgefordert wird, das ist so leichtfüssig eigen, dass selbst NDW und Deichkind vermischt noch zu kurz greifen. Paula Carolina ist in ihrer popgewordenen Wut die größte Verheißung, seit es Ideal nicht mehr gibt. /// Ähnliche Hoffnung weckt Gloria Nussbaum - allerdings in einem ganz anderen Sub-Genre der Popmusik. Während ihre ersten beiden Singles „twenty“ und „highest“ die Fühler in elektronischen Soul ausstreckten, ist ihre heute erscheinende, dritte Single „Maze“ fast schon in der Indietronica oder in synthesiertem Folk zuhause. Zwar übertreibt Nussbaum hier an mancher Stelle das Gehauche, und hin und wieder möchte man ausrufen: NUN SING DAS DOCH MAL MAZE CoverAUS! UND RAUS! - aber dennoch überwiegt der Eindruck, dass hier eine großartige Songschreiberin und Sängerin nach einem Sound für ihre Ideen sucht, und dass das mal riesig werden könnte. /// Ein Pop-Suchender ist sicher auch Filo, der seine Musik selber als Optimism-Pop bezeichnet. Mit seiner großen Brille bringt dieser Filo aber nicht nur Optimism sondern auch Nerdism in seine Musik, womit man auf Umwegen auch wieder bei Indietronica wäre, ein Substil, für den vor zehn, zwölf Jahren der auch irgendwann mal eine gewisser Caribou konstatierend war. 1OTwTTRY
Vielleicht ist es abwegig, sich an diesen kanadischen Musiker zu fühlen, wenn man nun das neue Lied von Filo „places“ hört, aber man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die melancholische Verspieltheit eines Caribou, für die es eben vor eben einem Jahrzehnt noch ein hohes Mass an Know-How brauchte, um sie in Sounds zu suchen und zu giessen, heute zu den verfügbaren Presets gehört, die man ohne viel Umstands am Apple erspielen kann. Wenn man von dem teils etwas ungelenkem Englisch absieht, ist der Newcomer Filo auf jeden Fall ein hörenswertes Beispiel, auf welchem Niveau man sich Pop-Mittel klauen kann, ohne verstohlen zu klingen, wenn man einen guten Song im Gepäck hat: und den hat Filo. /// Videos /// verlinkt um 10 Uhr ///


Songs zum Sonntag /// 010423

SMALLCover_Criminal2/// Sophie Hallberg hat am Freitag ihre zweite Solo-Single „Criminal“ veröffentlicht - ihre erste war < hier > auch schon Thema. Der neue Song ist glasklarer Jazz-Soul in verschlepptem Uptempo, Akustikgitarre und E-Piano und walking-bass, fantastisch gesungen und sucht im easy-listening-Gewand versierte Tiefe. Der Song handelt von der Sehnsucht, sich vom Ballast des Alltags im gegenständlichen wie abstrakten Sinne zu befreien, sowie von der Hoffnung, Freiheit in der Liebe zu finden. Zum großartig Folowmemusikalischem Gewand gesellt sich hier also auch wunderschönes Songwriting: Von allen Newcomer:innen, die ich in letzter Zeit so gehört habe, ist Sophie Hallberg die Vielversprechendste - das ist erhabene, wunderschöne Popmusik. /// Zu den Überraschungsgästen in den Charts in diesen TikTok-Zeiten kommt in dieser Woche nun noch Amanda Lear, deren sphärischer Diskohit „follow me“ urplötzlich auf Platz 11 der Single-Charts steht - keine Ahnung warum. (Letzte Woche begrüßten wir in Jeniffer Rush in der Hitparade, ach!) - Grund genug, mal wieder Amanda Lear zu hören, deren queerer Metapop 2023 zeitgemäss ist, woran man erkennen kann, dass er Ender der 20er seiner Zeit voraus war. /// Links /// Amanda Lear mit "follow me" in "ZDF Disco" 1978 < hier > /// Sophie Hallberg " Criminal", audio < hier > ///


Eigenblutdoping

Das Eigencover als Album-Konzept - diese Idee hatten „die fantastischen Vier“ und „U2“

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.04.01Zwei Bands, die es schon recht lange gibt, haben Alben herausgebracht, auf denen sie sich selber covern - „die Fantastischen Vier“ und „U2“. Da kann man ja schon mal die Frage aufwerfen, warum Bands zu diesem Mittel des Eigencovers greifen. Promotion-Sprech dürfte sein, dass die Bands wichtige Songs ihrer Karriere einer Frischzellenkur unterziehen, um ihre Tauglichkeit in aktuelleren Popgewändern anzutesten. Zudem bietet das Eigencover ebenso wie das Covern überhaupt auf recht direkte Weise das Potential von Pop im Allgemeinen: Das Neue wieder-erkennen.

Schauen wir also erst einmal auf die beiden Werke im Spezifischen: U2 haben für „Songs Or Surrender“ sage und schreibe 40 Werke ihres Oeuvres neu eingespielt. Darunter sind einige ihrer Hits wie „Where the streets have no name“, „One“ oder „I still haven’t found, what I’m looking for“ (Letzteres haben sie auf „rattle & hum“ sogar schon mal selbst gecovert) - es finden sich aber auch randseitige Lieder wie „11 O’Clock Tick Tock“ oder „Peace on earth“ in dieser Sammlung. Jedes Mitglied hat augenscheinlich 10 Lieder ausgewählt, denn 4 Teil-Alben tragen jeweils die Vornamen der U2s: Larry, Edge, Bono, Adam. Die Band hat die Songs größtenteils entschlackt, ihre Breitwandigkeit eliminiert und mit schlichtem Band-Sound - Bass, Gitarre, Gesang - aufgenommen - merkwürdiger Weise ohne Schlagzeug. Da Drummer Larry Mullen in letzter Zeit ohnehin leicht isoliert in der Band zu sein scheint und bei der Las-Vegas-Residency in diesem Jahr gar nicht spielen wird, nähren sich Spekulationen über dessen Ausstieg, wozu der Popticker jetzt nichts sagen kann. Aber wie dem auch sei: 40 Songs lang U2 ohne gigantische Edge-Gitarren-Flächen, ohne viel Produktionsaufwand, fast durchweg im gleichen Uptempo und ohne Schlagzeug - sorry aber: Schnarch!

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.03.27Fanta 4 haben für ihre „Liechtenstein Tapes“ hingegen 15 ihrer Lieder neu aufgenommen und sich hierfür einen Bandsound ersonnen, der mutmasslich auch von ihrer Live-Band stammt - kaum noch Samples, funky-Bässe und Gitarrenlicks, hin und wieder mischt sich Hall unter Chöre und Bläsersätze oben drüber. Das ist zweifelsohne versiert in die Tat umgesetzt, aber wenn man ehrlich ist: So viel anders als die Originale sind diese Versionen dann auch nicht. Man kapiert einfach nicht den Mehrwert der Eigencover gegenüber ihren ursprünglichen Versionen.

Vielleicht liegt die lähmende Langweile der beiden Alben einfach an dem mangelndem Interesse an der Bands an ihren eigenen den Songs. Mit einer gewissen Berechtigung sind sowohl die Fantas als auch U2 offenbar davon ausgegangen, das Covern eigener Songs brächte als Konzept aufgrund der puren Nähe zum eigenen Werk bereits eine Idee für jeden Einlzelsong mit sich. Aber Covern existierender Lieder setzt auch immer voraus, dass man wirklich eine neue Idee an sie heran und in sie hinein trägt - ganz gleich, wer die Lieder schon einmal veröffentlicht hat. Aber hier herrscht wirklich zweimal gähnende Ideenleere. Nur das Cover von den Fantas ist wunderschön.


Merkste nicht selber?

Erkenntnis-Hacks in Popmemes: Dauerzustand Deichkind

4260393330894„Neues vom Dauerzustand“, so HEISST nicht nur Deichkinds neues Album, so ist auch die Dramaturgie eines neuen Deichkindalbums an sich - ihre Musik ist, seit sie die volle Wandlung von Deutschrap zum Diskurs-Elektropop vollzogen hat, ein Dauerzustand, und vom eben diesem berichtet ein jedes, neues Album. Verblüffender Weise ist ihr Popentwurf trotz seiner Fortdauer aber noch immer formbar und somit in der Lage, tatsächlich neu zu sein - womit wieder poptickers alter Aphorismus bewiesen wäre, nachdem wir im Pop das Neue wieder-erkennen. Im aktuellen Fall war schon die Vorab-Single von „in der Natur“ derart strange und deichkindisch, dass man selbst das bizar darin verbaute Jodeln als Teil ihres Soundentwurfes hinnahm: „In der Natur / Wirst du ganz langsam verrückt / Und plötzlich wünscht du dich so sehr zum Hermannplatz zurück.“ - so geht die Indernaturlyrik noch recht traditionell gebaut. Mit dem zuletzt ausgekoppelten „Kids in meinem  Alter“ dann sind Deichkind aber im Minimalpop ihrer Selbst angekommen: Das ist kein Lied mehr im eigentlichen Sinne, eher ein ironisch unterkühlter Rant, ein Pop gewordenes Meme, eine gesprochene, gebrabbelte Zustandsbeschreibung der Generation irgendeines Buchstabens, unter dem eine fast atonale Synthielinie und ein trappender Beat sitzen: „Er hat Fashion-Advisor, holt sich Klamotten-Packs / Wollte sich gesund stoßen mit Coronahilfen / Sehnsucht nach einer Zeit / Herr des Hauses / Hochgezüchtete Männerversteher*innen sind verunsichert“ - ein Pop-Proton weniger, und wir hätten es mit einem experimentellen Hörbuch zu tun, und das Hören dieser Musik ist weniger ein Hörerlebnis als vielmehr ein Endlos-Scrollen durch Zeitgeist spiegelnde Floskeln und Floskeln des verworrenen Zeitgeistes - gut, könnte man nun sagen: Das sind Sätze zur Rettung des Popfeuilletons, Du Spex-Blogger Du; aber man kann es auch einfacher sagen: Deichkind spielen spätestens mit „Neues vom Dauerzustand“ in der eigenen Liga.

Das Erstaunliche an der Stabilität des Signature-Sounds von Deichkind ist, dass die Geschichte dieser Formation derart von Personalwechseln geprägt ist, dass man in der Hinsicht schon von den Fleetwood Max des Deutschrap sprechen könnte - von den anfänglichen drei Rappern ist nur noch Philipp Grütering (alias Kryptik Joe) übrig - Malte Pittner und Buddy Buxbaum verliessen die Formation 2006 bzw. 2008, weil ihnen der neue Elektro-Sound missfiel, und der, der diesen Sound erfunden hatte, Sebastian Hackert, starb 2009. Live-Aushilfe Ferris Hilton wiederum wurde 2008 vollständiges Mitglied und schied 2018 dann wieder aus. Die nominellen drei festen Mitglieder sind heute neben Kryptik Joe, der wohl das kreative Zentrum ist, Sebastian „Porky“ Dürre und Henning Besser aka Dj Phono.

Ein anderes Lied auf dem neuen Album ist eine Aufzählung moderner Absurditäten, die stets mit dem aus Socialmedia-Forums stammenden irony-speech „merkste selber“ kommentiert werden: „Boomer haten, aber Bierschinken auf das Brot / Selbsthilfegruppen / Merkste selber, ne? / Datenschutz Setting bei WhatsApp einstellen / Cringe / Merkste selber!“ - da wird man gewahr, dass man es eben manchmal selber nicht merkt, sondern dass Deichkind es für einen merken müssen. Dann hören wir es und denken, wir hätten es selber gemerkt - die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Pop-Hören also.


Garage-Dancehall-Sturz

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Ohren auf Deutschpop werfen, Folge 24

/// Wenn man auf Garage-Band versucht, zu klingen wie eine Band, klingt man am Ende des Tages vielleicht wie die neue Single „In mir ist was kaputt gegangen“ von Finder - und also, ich meine das nicht negativ; jedenfalls nicht nur. Man könnte schon sagen, dass, dafür, dass was in ihm kaputt gegangen ist, der Sound dieses Liedes ein wenig glatt wirkt, es ein wenig wütender zugehen könnte, aber auf der anderen Seite strahlt etwas einsam Euphorisches aus dem Song, was wiederum ziemlich gut passt: „Ich brauche einen Kompass. / Ich brauche wen, der mir die Richtung zeigt / weil sich alles nur im Kreis dreht / und dann jeder einfach drüber steigt.“ - komischer Weise klingt dieses Lied auch ein wenig nach Heinz-Rudolf Kunze, und obgleich dieser sich kürzlich sprachlich missbräuchlicher über das Gendern aufregte, als das Gendern es jemals sein könnte, meine ich auch das nicht negativ: „In mir ist was kaputt gegangen“ sucht musikalisch und lyrisch Wege aus der Einsamkeit, die in der Summe berühren. Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.35.46/// Filigraner geht es bei Ketzberg zu, von dem hier schon vor Kurzem die Rede war, als „Wenn ich ich seh“ heraus kam. Diese und andere Singles hat der Songwriter nun zu der EP „immer“ gebündelt, die einerseits zeigt, dass der jazzige Popsoul Potential hat, aber vielleicht noch nicht austariert und variiert genug daher kommt, um für die Dauer eines Albums zu funktionieren. Andererseits: EPs boomen eben genau deswegen, weil Künstler:innen im Streamingzeitalter austarieren, wo für längere Strecken nachhaltige Popentwürfe stecken, und so wie und wo Ketzberg seinen trocken Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.11.12Sound sucht, irgendwo zwischen Justin Timberlake und Roger Cicero, denen er gesanglich in nichts nachsteht, wird er ihn auch finden. /// Nina Chuba  hat ihn schon gefunden: Ihr TikTok-Teenie-Dancehall rund um den Konsum-Fetisch-Hit „Wildberry Lillet“ hätte mir persönlich auch als EP gereicht, aber wer spricht schon von mir, wenn es um TikTok-Teenie-Dancehall geht? Weder bin ich Teen, noch nutze ich TikTok oder höre Dancehall. Dennoch erstaunlich, dass man TikTok-Teenie-Dancehall überhaupt auf ein Album ausbreitet, denn die Währungseinheiten hier sind Playlisten und Follower (von denen Nina Chuba auf TikTok eine halbe Millionen hat). Dieser Pop auf diesem Album „Glas“ macht jedenfalls Spass, und was sind das für irre Texte, die Pops Versprechen Freiheitsdrang par excellence zelebrieren: „Mexico-City, Mangos mit Chili / Palm-Trees sind groß und die Röcke sind mini / Es hat sich gelohnt, hab' keinen Job im Büro / Meine Sterne stehen gut zwischen Dreck und Graffiti / Ich nehm' alle mit, schreibe auf Inseln / Tour’ durch die Charts, wenn ich da grade hinwill / Und falls ich ma' für ein paar Tage verschwinde / Komm’ ich zurück mit einem strahlenden Grinsen.“ /// Man sollte „Amor & Psyche“, das Debüt-Album der Augsburger Elektro-Popper Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.11.42„Fliegende Haie“, auf keinen Fall unmittelbar nach Nina Chuba hören, denn was bei Chuba unverblümt und jugendlich daher kommt, ist bei den fliegenden Haien Attitüde. Nun ist Attitüde seit je her ein Baustein von Pop, aber wenn es angestrengt fresh ist, wirkt es eben kalkuliert. Wenn man es aber nicht mit der Wildberry-Lillet-Nonchalance von Chuba vergleicht, hat man größere Chancen, weitestgehend genre-befreite Elektro-Club-Musik mit Störgeräuschen und Originalitätsboni zu hören, und hinter dem trashigen NDW-Anleihen finden sich urplötzlich verstörendere Zeilen - wie in dem Song „Venus“, in dem es Sexualisierung und Sichtbarkeiten geht: „Je mehr sie von dir haben / desto weniger hast du dich.“ - in dieser Musik steckt vielleicht mehr Tiefe, als ich darin erhören kann, aber das liegt wohl eher an mir, als an der Musik. /// Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Songwriter „Janner“ ein Album Bildschirmfoto 2023-02-24 um 10.35.28veröffentlicht, das „Vor dem Hörsturz“ hieß, und heute nun erscheint seine neue LP „Nach dem Hörsturz“; und den Hörsturz hatte der Musiker tatsächlich, und so kann man den neuen Songs mit bestem Grund eine Art Musiker-Wiedergeburt als Thematik attestieren: „Was wir geschafft haben, hat uns geschafft / es gibt keine Schuld / Atme durch.“, heißt es in „Atme durch“, ein anderes Lied heißt „Aufwachraum“ - vielleicht der stärkste Song auf dieser Platte: Flächige Synthies, auf denen sich eine Gitarre ausbreiten kann, während darunter Bass pulsiert und Beats tropfen. Irgendwo zwischen Singer- und Songwriting-Pop, der die Fühler in Rap und Soul ausstreckt, findet das Album keine rechte Mitte oder ist für sich genommen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass man die Mitte erkennt. Dennoch macht es Spass, hier einem Musiker beim Sich-Wieder-Finden zuzuhören. ///

 

Links

Video-Premiere < Finder / in mir ist was kaputt gegangen >  am 24.02.23 um 17 Uhr ///

Website < Ketzberg > /// Video < Nina Chuba / Mangos mit Chilly > ///

Website < fliegende Haie > /// YouTube-Kanal von < Janner > 


Post-Atemlos

Wo steht Deutschpop? Eine Fragestellung anhand 5 heute erschienener Singles

Wenn man sich erinnert, wie sich die Neue Deutsche Welle in den 80ern selber zu Grabe trug, indem der Markt vollkommen Kometübersättigt wurde und man sich zudem dem Schlager anbiederte, kann man sich heute fragen, ob Deutschpop gerade an selbiger Schwelle steht - kurz davor im eigenen Hype zu ersticken; oder aber: Sich am erweiterten Schlagerentwurf im Post-Helene-Fischer-Atemlos-Zustand gesund zu stossen. Schaut man zum Beispiel auf die heutigen Charts, sieht man auf Platz 02 einen Song von Udo Lindenberg und Apache 207. Der Rocknroller und der Trap-Beat-Rapper finden für „Der Komet“ in der Schlager-Referenz einen gemeinsamen Nenner - auch wenn mich wahrscheinlich beide für diese Analyse erschiessen würden. Aber man kann das Ganze ja auch positiv sehen: Seit Helene Fischer Schlager zu Pop gemacht und Deutschpop sich in Silbereisen-Sphären entgrenzt hat, seit sogar Gangster-Rapper über psychische Gesundheiten sprechsingen, scheinen alle Genregrenzen Makulatur. LeyaUnd der leicht verschleppte Trap-Beat, der sogar Udo und Apache zusammen bringt, ist ein Kleister, der verschiedenste Einflüsse zusammen halten kann.

So auch die neue Single „neu verliebt“ der Newcomerin Leya Valentina (Videopremiere 20.01.23 um 19 Uhr < Hier >) - hier dient der dem Hip-Hop entlehnte Trap als flächiges Fundament für eine Ballade, auf der Valentina einerseits mit tremolofreier, breiter Stimme singt, als ginge es um Soul, während sie anderseits kurze Sprecheinwürfe dazwischen zieht („ist ja völlig klar“) - Aylivaheraus kommt ein Genrehybrid, der sowohl TikTok-affin als auch schlagerparadentauglich ist; und ich meine das durchaus positiv. Auf ähnliche Weise sucht Sängerin oder Rapperin AYLIVA die Schnittstelle zwischen Deutschpop in Schlagernähe und Trap-Rap von ums Eck - ihr Song „Sie weiß“ handelt von einer möglichen Trennung und streckt textlich auch die Hände in Richtung deutschsprachigem Soul. In Letzterem ist die Band „Ketzberg“ zuhause, deren Sänger Paul Köninger beim leider verstorbenen Roger Cicero in die Schule gegangen sein könnte - seine Intonation zumal auf der neuen Single Ketz„wenn ich sie seh“ - findet fast schon Jazz-Anleihen. Auch wenn das Songwriting vielleicht nicht ganz hinterher kommt, ist das ein Popentwurf, den ich sehr spannend finde. Deutlich rockiger geht es bei der Band „KICKER DIBS“ zu, deren Sound nun Dibstatsächlich nicht dem Schlager zuzuordnen ist - da bekomme ich nun selbst mit ganz viele Heribert-Faßbender-Vibes keine Überleitung hin; aber egal: Bei der Single "Son Gefühl" ist Sebastian Madsen zu Gast, und zusammen kommt dabei ein Song irgendwo zwischen Kraftclub und Mark Forster. Er handelt von einer gewissen Reizüberflutung in Zeitalter der sozialen Medien: „Ich hab da keine Meinung, ich bitte um Entschuldigung.“ - Videopremiere 20.01.23 um 18 Uhr < Hier >.

Was ich mit diesem Schnelldurchlauf durch diese samt und sonders heute erschienenen Lieder erzählen will, ist, dass der Deutschpop tatsächlich einerseits einheitlicher, gleicher wird und sich andererseits schon sehr breit aufstellt - an den Rändern passt so einiges noch rein. Und man weiß tatsächlich nicht, ob diese Verbreiterung der Ausweg aus einer Deutschpopkrise ist - oder wir erst an der Schwelle zu dieser stehen, weil der Markt implodieren könnte. Letzteres glaube ich eigentlich nicht, da, um einen Markt zum Implodieren zu bringen, erst einmal ein Markt da sein müsste, aber das ist ja fast nicht der Fall: Nie war es schwerer, als Musiker:in Geld zu verdienen, als heute - zumal wenn man neu hinzukommt. Das ist anders als bei der NDW, da konnte man mit paar Singles reich und berühmt werden.

 


Die Vermittlerin

Bildschirmfoto 2023-01-13 um 13.08.50Miley Cyrus kann sich selber Blumen kaufen

Miley Cyrus hat sich zur großen Brückenbauerin im amerikanischen Popbusiness gemausert, eine Miley Dampf in allen Gassen, zuhause in allen Genres, eine versöhnliche Vermittlerin in einem an sich gespaltenen Land. Die Liste derer, mit denen sie allein in den letzten 18 Monaten auf der Bühne stand, ist beeindruckend: Joan Jett, Metallica, Billy Idol, Dua Lipa, Ariel Pink, Elton John, Mark Ronson, Alicia Keys, Adam Levine. Zu ihrer < Silvesterparty > kamen noch Duette mit Dolly Parton, Sia oder David Byrne dazu. Aber es sind nicht nur Namen, die man hier aufreiht - Cyrus vermag es, mit all diesen Leuten zu singen und große Popmomente hervor zu bringen, sie überbrückt nicht nur Generationen sondern auch Schubladen und jeglichen Verdacht unausgewogener Aneignungen. Da mag eine neue Single vielleicht nur ein relativ kleiner Baustein in dem Gesamtkonstrukt der Erscheinungsformen sein, aber der heute erschienene Song „Flowers“ ist in seiner bestürzenden Banalität und dem gleichzeitigem Engagement, das Cyrus in seine Darbietung legt, dann doch Zeugnis der Mileyschen Popformel: Zu Beginn wohnen wir einem Popsoul-Song bei, der Refrain dreht das Ganze in eine Poprock-Richtung und in der Schaltstelle zwischen Refrain und Strophe bindet sich das ganze mit einem Discobeat ab. < In dem Video > wiederum, in dem sie einsam nach hause kommt, schwimmt, duscht und schliesslich in einem viel zu großem Anzug tanzt, referenziert sie sich auch visuell durch die Popgeschichte - mich würde nicht wundern, wenn David Byrne auch auf ihrem neuen Album auftauchen würde, das dann im März erscheint. Sein Silvester-Auftritt und nun der zu große Anzug - Talking Heads, ick hör Dir trapsen. Gut vielleicht stimmt das auch gar nicht, aber wenn sich auf erwähntem Album, das "Endlos Summer Vacation" heißen wird, nur im Ansatz auf Albumlänge Stränge und Brücken bündeln, die Miley Cyrus in den letzten vier, fünf Jahren geknüpft hat, dann könnten wir es mit einer tollen Platte zu tun bekommen.