Post-Charts-Pop

Die Vermittlerin

Bildschirmfoto 2023-01-13 um 13.08.50Miley Cyrus kann sich selber Blumen kaufen

Miley Cyrus hat sich zur großen Brückenbauerin im amerikanischen Popbusiness gemausert, eine Miley Dampf in allen Gassen, zuhause in allen Genres, eine versöhnliche Vermittlerin in einem an sich gespaltenen Land. Die Liste derer, mit denen sie allein in den letzten 18 Monaten auf der Bühne stand, ist beeindruckend: Joan Jett, Metallica, Billy Idol, Dua Lipa, Ariel Pink, Elton John, Mark Ronson, Alicia Keys, Adam Levine. Zu ihrer < Silvesterparty > kamen noch Duette mit Dolly Parton, Sia oder David Byrne dazu. Aber es sind nicht nur Namen, die man hier aufreiht - Cyrus vermag es, mit all diesen Leuten zu singen und große Popmomente hervor zu bringen, sie überbrückt nicht nur Generationen sondern auch Schubladen und jeglichen Verdacht unausgewogener Aneignungen. Da mag eine neue Single vielleicht nur ein relativ kleiner Baustein in dem Gesamtkonstrukt der Erscheinungsformen sein, aber der heute erschienene Song „Flowers“ ist in seiner bestürzenden Banalität und dem gleichzeitigem Engagement, das Cyrus in seine Darbietung legt, dann doch Zeugnis der Mileyschen Popformel: Zu Beginn wohnen wir einem Popsoul-Song bei, der Refrain dreht das Ganze in eine Poprock-Richtung und in der Schaltstelle zwischen Refrain und Strophe bindet sich das ganze mit einem Discobeat ab. < In dem Video > wiederum, in dem sie einsam nach hause kommt, schwimmt, duscht und schliesslich in einem viel zu großem Anzug tanzt, referenziert sie sich auch visuell durch die Popgeschichte - mich würde nicht wundern, wenn David Byrne auch auf ihrem neuen Album auftauchen würde, das dann im März erscheint. Sein Silvester-Auftritt und nun der zu große Anzug - Talking Heads, ick hör Dir trapsen. Gut vielleicht stimmt das auch gar nicht, aber wenn sich auf erwähntem Album, das "Endlos Summer Vacation" heißen wird, nur im Ansatz auf Albumlänge Stränge und Brücken bündeln, die Miley Cyrus in den letzten vier, fünf Jahren geknüpft hat, dann könnten wir es mit einer tollen Platte zu tun bekommen.


Alben & Songs des Jahres

Bildschirmfoto 2022-12-14 um 11.32.02... wie immer unfassbar subjektiv und ebenfalls wie immer habe ich bei den Songs nur solche reingenommen, die nicht auf einem der Alben des Jahres sind. Nicht wie jedes Jahr habe ich in diesem Jahr als jemand, der nicht streamt, deutlich weniger Neues gehört als sonst, wodurch mir bestimmt tolle Musik entgangen ist - wie gesagt: Unfassbar subjektiv halt.

ALBEN

01 Florian Paul & die Kapelle der letzten Hoffnung / auf Sand gebaut < Huldigung >

02 M / Révalité < Link-Tree >

03 Katie Melua & Simon Goff / Aerial Objects < Playlist Youtube >

04 Ariane Roy / Medium Plaisir < Website >

05 Sona Jobarteh / Badinyaa Kumoo < Website >

06 Laura Veirs / Found Light < Bandcamp >

07 Tocotronic / nie wieder Krieg < Narrativer >

08 Tears For Fears / The Tipping Point < Poptickers Lob >

09 Maggie Rogers / Surrender < Website >

10 Nits / Neon < nicht nur Dutch Mountains >

SONGS

01 Camille / Humaine(Herbert Grönemeyer-Cover) < official audio >

02 Ka2 & Gabrielle / i natt < official audio >

03 Lana Del Rey / Did you know that there is a tunnel under Ocean Boulevard < official audio >

04 Herbert Grönemeyer / Deine Hand < video >

05 Fishbach / Masque D’Or < video >

06 S10 / De Diepte < ESC >

07 Camilla Cabello / Bam Bam < echt jetzt? >

08 Les sœurs Boulay / Les lumières dans le ciel

09 Dominique Fils-Aimé / Go Get It < video >

10 Deichkind / in der Natur < video >


Reiche Range

Als nächstes gerne ein Album: Die Debut-EP von David Gramberg

GrambergVon David Gramberg war hier hier im Popticker schon zweimal die Rede - < hier > und < hier >. Seine letzten vier Singles bündelt er nun zu einer EP, die unter dem Titel eines fünften Songs, „Where Have You Gone“ erscheint. Gut, so generiert man eben Aufmerksamkeit heutzutage, vier Singles und dann eine EP bieten eben fünfmal Anlass, um gestreamt zu werden und oder in Playlisten Einzug halten. Das ist eine Veröffentlichungs-Dramaturgie, die für mich ein wenig bizarr anmutet - aber nun denn: OK Eigenboomer. Und Schwamm drüber, denn das ändert natürlich nichts daran, dass die Musik dieses Ausnahmepopsängers wunderbaren Soul sucht und findet - diese Art Pop subsumiert Stile unter seiner Fittiche, bei denen mitten in einem Gospel-Zitat auf einmal eine Ukulele reinschneit, fröhliche Chöre „Dabababadabda“ singen und wir zuhören, wie Gramberg problemlos durch die reiche Range seiner Stimme surft - diese Musik hat es verdient, ein Album zu füllen. Wer darauf nicht warten kann, dem sei diese EP wärmstens ans Herz gelegt.

Link: < www.davidgramberg.com >


Der Onkel vom Kumpel vom Klaus

Tokio Hotel und ihre neue Platte „2001“

Wäre das Album „2001“ nicht von „Tokio Hotel“ sondern von irgendwelchen 30-Jährigen Typen, würde man denken: Das ist von irgendwelchen 30-Jährigen Typen; von Typen, die zu viel Geld haben und sich von dem Geld  Equipment zu Aufnehmen von Musik Bildschirmfoto 2022-11-22 um 10.46.37gekauft haben, und der Onkel vom Kumpel vom Klaus, der arbeitet bei „Epic Records“, die würden das sogar veröffentlichen, wenn wir mit dem Kram echt und wirklich eine Platte aufnähmen. Und ehe man es sich versieht und das mit den Typen gedacht hat, die nicht „Tokio Hotel“ wären, denkt man: Die Story stimmt irgendwie ja doch, obwohl das Tokio Hotel sind. Das sind Typen, die zu viel Geld haben, und die Equipment besitzen, mit dem man eine Platte aufnehmen kann, und sie kennen andere Typen, die das dann sogar veröffentlichen. Fair enough. Man würde, wenn es nicht Tokio Hotel wären, vielleicht denken: Warum zur Hölle heißt das erste Lied auf diesem Album „Durch den Monsun 2022“, mussten die schon mal durch einen Monsun? Und warum ist dieses Stück das einzig Deutschsprachige auf diesem Album, und alles Andere ist auf Englisch? Aber auch hier gilt wieder: Das fragt man sich alles auch bei Tokio Hotel. Ansonsten, wenn man mal nichts fragt, hört man auf „2001“ Pop aus der Petrischale, Synthie-Bombast aus den Nullern halt; so klingt David Guetta, wenn er selber sänge. Nicht einmal der wunderbare Daði Freyr, mit denen Tokio Hotel ein Lied aufgenommen haben, bringt Seele, Humor oder einen Funken Ironie in diese traurige Platte.


Subschublade mit Bass als Bett

Der Songwriter Davidson, der für einen Band-Trend steht

In der Corona-Krise wurden sehr viel Instrumente verkauft, und wenn man sich derzeit so durch Tik Tok oder Instragram klickt, bekommt man den Eindruck, dass die Menschen auch geübt haben: Allerorten spielen sie Pink-Floyd- oder Dire-Straits-Gitarrensolos nach, Mandoline scheint im Kommen, Drum-Tutorials hier und dort, und auf Tik Tok ergänzen sich Menschen zu Funk-Bands im virtuellen Raum, sie remixen, überblenden und ergänzen sich, und ein sehr kompakt trockener Funk-Soul-Sound scheint total in. Ich bekomme zudem zunehmend den Eindruck, dass auch aller-offline-orten Bands aus dem Boden spriessen - diese präsentieren sich in online-Medien, in Clubs und Probenkellern, und auch beim Reeperbahnfestival in diesem Jahr schien mir der Trend angekommen, wo deutlich mehr Bands die Clubs fluteten als in den Jahren während und vor Corona.

Womit wir bei beim Sänger, Gitarristen und Songschreiber Davidson wären, der zwar den Namen eines Solo-Künstlers trägt, aber dennoch für den Sound einer, seiner Band steht - deutschsprachigen Songwriting-Funk könnte man das Schubladenfach nennen, wenn man es denn benennen will: Versierte Musiker:innen spielen Popsongs mit E-Piano und staubtrockener Snare, bettigem Bass und prima Texten aus un-songigen Zeilen: „Selbstironie will ich nicht mehr verstehen / Dürfte ich dich nicht mehr sehen / Es ist Utopie, dass du Nichts von dir erzählst / Nur deinen Namen, Josephine.“, hier formuliert jemand Unsicherheiten einer Generation, von denen ich als 50-Jähriger nicht viel weiß. Popmusik erzählt nun davon.

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Davidson hat soeben zwei live aber mit Studiobedingungen eingespielte EPs zu einem Vinyl-Album zusammen gefasst, und der sessionhafte Bandsound passt großartig zu den suchenden Lyrics und zeigt gleichzeitig eine Band, die sich schon gefunden hat - trocken schnuppert sie in zig Genres hinein, verbleibt nirgendwo länger und ist gerade dadurch ziemlich da. Gute Texte, toller Sound - einzig in den Kompositionen ist noch Luft nach oben: Die Melodien gehen oft den nächst gelegenen Weg und folgen den Pfaden der Lyrics, wie man sie spräche, Überraschungen bleiben da ein wenig selten, obgleich wie erwähnt Zeilen nicht klassischen Song-Paradigmen folgen. Ach naja, wenn alles perfekt wäre, wäre es ja aber vielleicht auch wieder öde. Diese „Utopie“ ist wirklich tolle Popmusik, hört doch mal rein - auf dem YouTube-Kanal  von Davidson findet man sehr schöne Videos zu dem Doppel-EP-Album:

https://www.youtube.com/channel/UCTgQNH6W20HotWBgoX-nEew


Schimmernde Hoffnung

Schöne Songs auf dem ersten Album von Wilhelmine

Die Popsängerin Wilhelmine hat sich mit einigen Singles, EPs sowie einem Patreon-Account eine treue Fanbase aufgebaut und dieser und natürlich allen anderen interessierten Hörer:innen nun ein Album geschenkt - "Wind" heißt es. Ihr Autorinnenpop strotzt derart vor Empowerment und Diversität, vor woker Klarheit und wirklich tollen Texten, dass die Lieder in der Geballtheit eines Albums einen höchst ungewöhnlichen, wundervollen Kitsch ausstrahlen. Da ist es fast schon schade, dass ihr Signature-Song „Meine Liebe“ fehlt. (Aber das macht Bildschirmfoto 2022-11-10 um 14.24.39ja eigentlich auch nichts, denn den kann man ja trotzdem mal wieder hören.)

Die Stärke der Songtexte von Wilhelmine ist eine eher beiläufige Art, von sich und mithin vom Miteinander zu erzählen, eine relaxte Lakonie, durch die sie einerseits viel von sich aber dann eben auch viel von Anderen erzählt, und durch die so plötzliche, wunderbare Zeilen erklingen wie: „Die Wohnung hier wird auch mit neuen Möbeln nie nur meine.“ oder „Ich sollte jeden meiner Wege mit dem Herz gehen, hat mir mein Yogitee gesagt, dann versuch' ich das jetzt mal.“ - eine solche Art, Song zu texten, mag ich sehr - es echot Wut darin, aber die scheint überwunden, und diese Musik ist daher weise und auf schöne Weise versöhnlich.

Das einzige, das man dieser Platte vorwerfen kann, ist, dass die lyrische und melodische Schönheit und Schärfe der Lieder manchmal deren Arrangements übertüncht, und irgendwann merkt man dort dann eine gewissen Gleichförmigkeit: Akustische Gitarren und sanfte Beats, dann Chöre und Synthies mit viel Echo, die andere Soundräume aufstossen, Sequenzer, die Refrains beschleunigen - das wirkt auf Albumlänge als duschdekliniertes Rezept. Aber ach, es ist dennoch eine tolle Platte.

Als ich vor etwas einem halben Jahr mal meine Tochter von den Pfadfinderinnen abholte, und Zuschauer:innen vor dem "übel & gefährlich" warteten, und diese auf die Frage, wer denn heute dort spielte, in einer derart euphorischen Vorfreude antworteten: "WILHELMINE! WILHELMINE!", strömte Liebe zu dieser Musik aus den Wartenden, und tatsächlich hat auch mir die Musik von „Wilhelmine“ einmal durch eine Krise geholfen - mitten in der Corona-Zeit schimmerte mir Hoffnung in Liedern. Wenn man das über Musik sagen kann, dann kann man sich Arrangement-Gemäkel auch grad mal sparen.


Kochen mit Mondwasser

Taylor Swift und ihre Poprettung um Mitternacht

Taylor Swift hat mit den Alben „Reputation“ (2017) und „Lover“ (2019) den Postpop entworfen: Freie, radikale Hooks, die wie Trabanten auf Umlaufbahnen um eine zentrale Soundidee kreisen. Das klang dann wie hysterischer Minimalpop. Mit zwei Folk-Alben ("Folklore" und "Evermore", beide 2020) hat sich Swift dann auf Lyrics als den Kern von Songs zurück besonnen, und ihr neues Album nun, „Midnights“ fusioniert Postpop und Rückbesinnung in ein lupenrein blubberndes Synthiepop-Album.

Bildschirmfoto 2022-11-01 um 14.18.42Die der Veröffentlichung nur einige Stunden voraus geeilte Single „Anti-Hero“ setzt den Tonfall: „I have this thing where I get older, but just never wiser / Midnights become my afternoons / When my depression works the graveyard shift / All of the people I've ghosted stand there in the room“ singt Taylor zum Sequenzer, und die anti-heroische Hymne wird flankiert von Hashtags des Unperfekten: Fans des Liedes posten in den sozialen Medien Videos von ihren Schwächen und wählen als Soundtrack den Refrain „It's me / Hi / I’m the problem, it's me.“ Das hat in der ja doch recht perfekt durchgestylten Welt der Taylor Swift schon ein Understatement, welches Fallhöhe generiert: In den mitternächtlichen Stunden mit unseren Rotweingläsern sehen wir alle gleich aus, selbst der Überstar erträumt sich zur einsamen Geisterstunde,  Taylor Swift zu sein: Wir kochen alle nur mit Mondwasser.

Die eigentliche Botschaft von Taylor aber ist: Man kann auch Spotify-Kompatiblen Pop und trotzdem Alben machen - „Midnights“ ist keine Playlist. Hier wird also die Idee des Albums und des Pops gerettet - Postpostpop quasi, der dem Pop ohne Postpost irre nahe kommt. Schon toll.


PYROLYSE ist kein Ponyhof

Das Debut-Album von AYMZ

„Who the fuck is AYMZ?“, fragt AYMZ. Und diese Frage könnte man natürlich sogleich zurück geben: Who the fuck ist eine Musiker:in, die laut wie Punk nach eigener Identität fragt? Rational kann man immerhin antworten, dass AYMZ mal Amy Wald war, die mit Deutschpopsongs von sich hören liess, aber Deutschpopsongs eben, dieses Label greift nun nicht mehr, da nun AYMZ auf den Plan tritt: Zusammengestauchte Rockgitarren, Trap-Beats, düstere Synthieflächen und aggressive Selbstsuche prägen den Soundentwurf des Debutalbums „PYROLYSE“. Der Titel des Albums ist in dem Fall auch synonym für eine Transformation verwendet, denn beim chemischen Prozess der Pyrolyse werden durch hohe Temperaturen chemische Bindungen in deren Startmaterialien gespalten, wobei durch die Abwesenheit von Sauerstoff das Verbrennen verhindert wird.

Bildschirmfoto 2022-09-27 um 13.05.17Schon an diesen Versuchen, die Popmusik von AYMZ zu beschreiben, kann man ablesen, dass dieses stark autobiografisch geprägte Album kein harmonischer Spaziergang ist - „PYROLYSE“ ist kein Ponyhof. Hier muss man sich einlassen auf die Gefühls- und Musikwelten von AYMZ, und die sind mit Themen wie Selbstverletzung, Auflösung in gefühlte Abwesenheiten und Schmerzen totaler Leere kein Zuckerschlecken. Und wenn man dann wieder auf die Frage zurück kommt, wer zur Hölle AYMZ ist, muss frau schon nach nur einmaligem Hören von „PYROLYSE“ sagen, dass AYMZ selber vermutlich auch keine abschliessende Antwort auf diese Frage hat. Aber Popmusik ist seit je her mehr ein Medium für Fragen denn für Antworten, und so erschreckend düster die Punk-Attitüde dieses Indie-Rocks hin und wieder sein mag, so spürt man hinter allen Selbstzweifeln doch wieder Hoffnung: „Ich brauche einfach bisschen Zeit für meine Zweifel und für mich allein“, singt AYMZ zum Beispiel im letzten Song auf der Platte „Ich tanze allein“, und auf einmal wird es doch Pop; eine Popmusik, zu der ich zunächst unglaublich wenig Bezüge hatte, das ist so gar nicht meine Wiese, aber ich habe gigantischen Respekt vor dieser „PYROLYSE“. Mutet Euch das ruhig mal zu. 

LINK: < website AYMZ >


A walk out of my masterpiece

Robbie Williams leidet unter seinem Bedeutungsverlust

Moment mal, ein Best-Of-Album von Robbie Williams? Gibt es das nicht längst? Doch schon. Aber zum 25-jährigem Jubiläum des Beginns seiner Solo-Karriere hat er alle seine Hits noch mal mit Orchester eingespielt. He? Gab es das nicht auch schon längst? Eines seiner gefühlt 7 Swingalben wird doch sicher mit seinen Hits gewesen sein. Nein, nein - nichts da Swing: Mit breitwandigen Streichern und Poporchesterpathos, mit wehenden Fahnen und fast schon riefenstahlschem Cover-Foto verkauft Robbie Williams nun seinen Song-Katalog. Der Aufwand, der dabei für dieses „Best-Of“ betrieben wurde, die Art und Weise, wie hier mit den Mitteln der Klang-Komprimierung das Orchester in die Breite gezogen wird, so dass das Ganze auf jeder Boombox noch nach Waldbühne klingt, ist enorm. Die ohnehin schon effekthascherischen Songs, die meisten aus der Feder von Williams’ Haus- und Hofkomponist Guy-Chambers klingen nun noch triefiger, pathetischer und bombastischer. Da waren wirklich Spezialisten am Werk, irgendwelche Soundingenieure, die für Williams diese Breitwand-Klangbetten ausproduziert haben, - und sie dann ihrem Kunden vorgespielt.

XxvAber leider scheint Robbie das Interesse an seinen eigenen Hits verloren zu haben. Mit stoischer Gleichgültigkeit singt er zum soundsovielten Male „Free“, „No Regrets“ und das unkaputtbare „Angels“ sowie noch weitere 26 Lieder. So betreibt die Williams die Selbstmusealisierung als trotziges Kind einer vergangenen Pop-Ära, in der noch CD-Verkäufe und MTV massgebende Kriterien waren, und beim dritten Lied will man dem guten Robbie zurufen: Wenn du so wenig Bock hast auf diese Platte, dann lass es doch vielleicht einfach sein. Aber er hat es natürlich nicht sein lassen, und als würde er sich selber rückversichern, dass er es doch noch kann, so beginnt diese Platte mit dem Queen-Wiedergänger „Let Me Entertain You“. Jaja. Darfst mich ja entertainen, Robbie. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass Williams zum ultimativ letzten Mal diese Bitte äussert, man möge sich von ihm unterhalten lassen; und danach begräbt er dann seinen Song-Katalog in Schmalz und Zucker. Wobei Pathos und Selbstmitleid ausreichen, um gleich die gesamte Popmusik als solche mit in den Abgrund zu reissen - dieses merkwürdige Album mit dem Titel „XXV“ ist ein Requiem auf alles Populäre in der den 90ern vollkommen fremden Ära der Postcharts. Getreu dem Motto: Wenn ich, Robbie fucking Williams, schon kein Popstar mehr bin, soll es auch gar kein Pop mehr geben - nach mir die Sintflut.

Der einzig neue Song auf diesem Abgesang von Album heißt bezeichnender Weise „Lost“, und hier klagt er dann auch, dass er mit diesem Jahrzehnt von Tik Tok, Hyperpop und Viralität statt Chartstauglichkeit so gar nichts anfangen kann: „I lost my place in life / I lost my point of view / I lost what it is to love / When I lost my faith in you / A walk out of my masterpiece / To the nothingness greeting me / Everything smells like sympathy.“ - ach naja. Irgendwo hat er ja auch Recht: Was ist uns denn vom Pop geblieben? Nichts. Aber eben auch alles. Denn von irgendwoher kommt dann auch wieder eine Billie Eilish oder eine Olivia Rodrigo und weist auf, dass Pop ebenso kurzlebig wie ewig ist, und mit ein bisschen Augenzwinkern kann man auch ohne Selbstmitleid noch mitreissende Popmusik machen, wenn man fast 50 ist.


Style These

Endet mit dem neuen Harry-Styles-Album die Popgeschichte?

Gleich in der Lobby von Harry Styles neuem Album „Harry’s House“, können wir Sushi essen, denn der Opener heißt „Music For a Sushi Restaurant“. Er beginnt mit einer kreiselnden Synthie-Melodie mit schnipsend handclappendem Beat, worüber sich dann ein geschichteter „Ooooouh“-Chor crescendiert, der dann a-capella in ein „Bah Bah Bah“ mündet; dann setzt der Beat wieder ein, und wenn Styles schliesslich die erste Strophe singt und sich in der Folge das „Bah Bah Bah“ mit Bläsern aufgepumpt als Refrain entpuppt, ist das Album gerade mal 75 Sekunden lang gelaufen, und wir befinden uns mitten in einem Mix aus Justin Timberlake, Terence Trent D’Arby, Bruno Mars und Stevie Wonder und somit in den 70ern, 80ern, 90ern gleichzeitig. Und so geht das weiter: Bevor als vierter Song die schon bekannte „dancing with tears in my eyes“-Remiszenz „as it was“ erklingt, blubbert „Late Night Talking“ in den RnB der Nuller, während „Grapejuice“ mit seiner Indierock-Koketterie ein High-Five an Robbie Williams schickt.

Harrys-house

Sämtliche Popmusik ist heute ja heutzutage ohnehin nur einen Klick entfernt, und somit ist nur konsequent, dass in Harry’s Haus aller Pop drin ist. Und in dessen Zimmern verdichtet sich Alles zu 13 Liedern, die samt und sonders Hit-Potential haben. Viele Stile und alle wesentlichen Pop-Jahrzehnte fasst dieser Sänger also in einen eigenen Popsound, findet von Synthie zu Folk, von Soul zu Jazz und zurück zu Fun- und Funkpop. Niemals aber hört sich diese Musik bemüht oder ungewollt retro an, dazu sind die Melodien zu eigen, das Songwriting zu aktuell, die Produktion zu souverän. 

Die Art und Weise, wie hier alles mit allem in einen verqueren und queeren Popentwurf mündet, wie sich Widersprüchlichkeiten mit guter Laune und stetig catchy Hooks vertreiben lassen, lässt ebenso ratlos wie begeistert zurück. Begeistert, weil es für sich funktioniert, ratlos, weil mit diesem Album in gewissen Sinne auch die Popgeschichte zu einem Ende findet - „Harry’s House“ ist Synthese von sehr viel Pop. In jedem Falle hat man das Gefühl, jetzt muss wieder irgendwas wie Punk und Grunge um die Ecke kommen, irgendein Genre, das alle Erinnerung platt walzt und sich für nichts ausser sich selbst interessiert und nicht alles zu einem stylischen Brei verrührt. Styles singt ja selber: „You know it’s not the same as it was.“