retro im weitesten Sinne

Das! Ist! Gut!

Fulminant: Jessie Ware

Bildschirmfoto 2023-04-28 um 12.42.13Der britische R&B ist nicht erst seit Dua Lipa ein globales Phänomen geworden, das mit trojanischen Popmitteln auch in die USA schwappt. Um so erstaunlicher, dass Jessie Ware mit ihrem nunmehr sechsten Album nicht der Versuchung erliegt, sich eben diesen Trojaner:innen hinzugeben. Sie zitiert diese allenfalls in ihrem deutlich altschulischerem Soul-Entwurf: „That! Feels! Good!“ ist damit hin- und mitreissender Disco-Soul mit funkigen Off-Beats, Wall-Of-Sound-Streichern und unwiderstehlichen Melodien. Jenseits aller Modernismen und dennoch ohne Retro-Hörigkeit wird hier ein R&B gepflegt, der jeden Tanzmuffel zum Mitwippen zwingt: Der Opener und Titelsong klingt nach 70ern, Nile Rodgers und Donna Summer, „free yourself“ lädt in die Space-Disco von Daft Punk, „Freak Me Now“ surft auf Boney M-schen wellen, und mit „These Lips“ endet dieses Album, als hätte Jessie Ware Sade gecovert. Diese stilistische Vielfalt wirkt aber beiläufig und derart aus einem Guss, dass dieser durch und durch britische „Pop & B“ angenehm bescheiden und ebenso virtuos daher kommt. Ein fulminantes Album mit 10 Songs, von denen keiner misslungen ist.


Songs zum Sonntag /// 230423

Bildschirmfoto 2023-04-23 um 13.00.37/// „Lawine“ heißt der Song von Olliso, den der Berliner Musiker nun zusammen mit der Sängerin Chiara Innamorato veröffentlicht hat. Die Lawine des Liedes ist eine Gefühlslawine, die eben durch sprechen ausgelöst wird, sondern eben durch ein, durch dieses Lied: „Und deshalb sitze ich hier, zuhause an meinem Klavier, die Töne sprechen mit mir, Gedanken bei Dir.“ Das Lied handelt damit sozusagen auf zweiter Ebene von Bildschirmfoto 2023-04-23 um 12.59.48ebenso der Chance als auch vom Dilemma vieler Lieder des Deutschpop: Die Emotionalität wird sozusagen von erster Sekunde derart massiv behauptet, dass das Lied fast daran zerbricht, und wenn man dann nicht mehr hinterher kommt, enteilt der Song in den unendlichen Weiten des Kitsch. Wenn man aber hinterher kommt und mitgeht muss man gleichzeitig auch schmachten und könnte in Tränen ausbrechen. So ist „Lawine“ je nach Disposition des Hörers mal großartig, mal peinlich entrückt. /// Irgendwann habe ich auf diesem Blog mal den Begriff der Coverstabilität erfunden. Er meint, dass ein Song eine Form von Affinität mit sich bringen kann, von Anderen nachgespielt zu werden und Bildschirmfoto 2023-04-23 um 13.00.11eben auch in anderen Genres als dem des Originals zu funktionieren. Die Band „Jante“ hat sich nun des Hits „Lila Wolken“, im Original von Materia, Yasna uns Miss Platnum , angenommen und ihn als Folk- bis Country-Nummer eingespielt - samt Flanell-Hemd und Banjo. Bildschirmfoto 2023-04-23 um 12.59.30Die lila Wollen erweisen sich hier als eben coverstabil, das funktioniert wunderbar und wirkt souverän und melancholisch. Tolle Version eines tollen Songs einer tollen Band. /// Einen auf seine Weise recht merkwürdigen Popsong hat die Sängerin Anika Auweiler aufgenommen - merkwürdig weil der spacige Synthpop nicht zu der Interpretin passt: „Ich will mit Dir tanzen, Baby  heißt der Song und ist ein Selbst-Cover, das in vielerlei Hinsicht aus der Zeit zu gefallen zu sein scheint und genau deswegen in die Zeit passt, wenn man auch tanzen will. /// Kann man gleich hinterher  it will be alright“ von Carla Lina hören, das wirkt, als hätte jemand einen Jazz-Standard in einen britisch Tee-affinen Soul gehüllt. Carla Lina hat ein trotziges Timbre in der Stimme, mit dem man vielleicht gerne auch mal ein etwas tiefer gehenderen Song hören würde, aber „it will be alright“ ist schon alright. /// Video-Links /// < Lawine > /// < lila Wolken > /// < ich will mit tanzen, Baby > /// < i will be alright > ///


Pop- und Soultropfen

Das großartige Album "Mantra" von KAT

Das Intro zoomt sich aus scheinbarer Ferne heran, sphärische Synthie- und Vocal-Flächen schichten sich auf, bis man auf dem Album „Mantras“ willkommen geheissen wird und schliesslich der erste Song beginnt: „Divine“ kommt im verschachtelten 8/4-Takt gleichsam eingängig wie merkwürdig sperrig daher und setzt damit die Klangfarbe für das gesamte Album - auch im lyrischen Sinne: „So listen closely: I don’t have any answers. But I do have a song / I’m a bird, and I sing.“ Davon, wollte man die Songs auf Katdiesem Album auf einen Nenner bringen wollen, handeln eben diese: Von der Kraft der Musik für den Hörenden ebenso wie für die Musizierende KAT, die mit diesem Album eine Krebserkrankung verarbeitet.

Dafür hat sie hat sieben Jazz-Songs auf dieser Platte, von denen Soul und Pop tropfen, und die mit fluffigen Melodien und doppelbödigen Texten nie den einfachsten Weg gehen, sondern sich Trampelpfade durch den Dschungel von Allem, was wir so hören, suchen. Ihre Stimme zieht auf diesen Pfaden viele Register: Von deepem Soul-Timbre über jazzige Konnotationen und flapsige Pop-Beiläufigkeiten bis hin zu flächigen Prog-Klängen ersingt KAT unterschiedlichste Klangfarben und führt ihre Musik damit auch immer wieder aus der Gefahr von harmlosen Lounge-Jazz. Heraus kommt ein erstaunlich ungehörter Popentwurf, den man gerne als Album hört, den man aber sofort auch irre gerne mal live geniessen würde. Ein wirklich faszinierendes Album.

Link: < YouTube-Channel > von KAT (mit Videopremiere der Single "Rose" heute am 21.04.23)


Songs zum Sonntag /// 010423

SMALLCover_Criminal2/// Sophie Hallberg hat am Freitag ihre zweite Solo-Single „Criminal“ veröffentlicht - ihre erste war < hier > auch schon Thema. Der neue Song ist glasklarer Jazz-Soul in verschlepptem Uptempo, Akustikgitarre und E-Piano und walking-bass, fantastisch gesungen und sucht im easy-listening-Gewand versierte Tiefe. Der Song handelt von der Sehnsucht, sich vom Ballast des Alltags im gegenständlichen wie abstrakten Sinne zu befreien, sowie von der Hoffnung, Freiheit in der Liebe zu finden. Zum großartig Folowmemusikalischem Gewand gesellt sich hier also auch wunderschönes Songwriting: Von allen Newcomer:innen, die ich in letzter Zeit so gehört habe, ist Sophie Hallberg die Vielversprechendste - das ist erhabene, wunderschöne Popmusik. /// Zu den Überraschungsgästen in den Charts in diesen TikTok-Zeiten kommt in dieser Woche nun noch Amanda Lear, deren sphärischer Diskohit „follow me“ urplötzlich auf Platz 11 der Single-Charts steht - keine Ahnung warum. (Letzte Woche begrüßten wir in Jeniffer Rush in der Hitparade, ach!) - Grund genug, mal wieder Amanda Lear zu hören, deren queerer Metapop 2023 zeitgemäss ist, woran man erkennen kann, dass er Ender der 20er seiner Zeit voraus war. /// Links /// Amanda Lear mit "follow me" in "ZDF Disco" 1978 < hier > /// Sophie Hallberg " Criminal", audio < hier > ///


Eigenblutdoping

Das Eigencover als Album-Konzept - diese Idee hatten „die fantastischen Vier“ und „U2“

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.04.01Zwei Bands, die es schon recht lange gibt, haben Alben herausgebracht, auf denen sie sich selber covern - „die Fantastischen Vier“ und „U2“. Da kann man ja schon mal die Frage aufwerfen, warum Bands zu diesem Mittel des Eigencovers greifen. Promotion-Sprech dürfte sein, dass die Bands wichtige Songs ihrer Karriere einer Frischzellenkur unterziehen, um ihre Tauglichkeit in aktuelleren Popgewändern anzutesten. Zudem bietet das Eigencover ebenso wie das Covern überhaupt auf recht direkte Weise das Potential von Pop im Allgemeinen: Das Neue wieder-erkennen.

Schauen wir also erst einmal auf die beiden Werke im Spezifischen: U2 haben für „Songs Or Surrender“ sage und schreibe 40 Werke ihres Oeuvres neu eingespielt. Darunter sind einige ihrer Hits wie „Where the streets have no name“, „One“ oder „I still haven’t found, what I’m looking for“ (Letzteres haben sie auf „rattle & hum“ sogar schon mal selbst gecovert) - es finden sich aber auch randseitige Lieder wie „11 O’Clock Tick Tock“ oder „Peace on earth“ in dieser Sammlung. Jedes Mitglied hat augenscheinlich 10 Lieder ausgewählt, denn 4 Teil-Alben tragen jeweils die Vornamen der U2s: Larry, Edge, Bono, Adam. Die Band hat die Songs größtenteils entschlackt, ihre Breitwandigkeit eliminiert und mit schlichtem Band-Sound - Bass, Gitarre, Gesang - aufgenommen - merkwürdiger Weise ohne Schlagzeug. Da Drummer Larry Mullen in letzter Zeit ohnehin leicht isoliert in der Band zu sein scheint und bei der Las-Vegas-Residency in diesem Jahr gar nicht spielen wird, nähren sich Spekulationen über dessen Ausstieg, wozu der Popticker jetzt nichts sagen kann. Aber wie dem auch sei: 40 Songs lang U2 ohne gigantische Edge-Gitarren-Flächen, ohne viel Produktionsaufwand, fast durchweg im gleichen Uptempo und ohne Schlagzeug - sorry aber: Schnarch!

Bildschirmfoto 2023-03-20 um 13.03.27Fanta 4 haben für ihre „Liechtenstein Tapes“ hingegen 15 ihrer Lieder neu aufgenommen und sich hierfür einen Bandsound ersonnen, der mutmasslich auch von ihrer Live-Band stammt - kaum noch Samples, funky-Bässe und Gitarrenlicks, hin und wieder mischt sich Hall unter Chöre und Bläsersätze oben drüber. Das ist zweifelsohne versiert in die Tat umgesetzt, aber wenn man ehrlich ist: So viel anders als die Originale sind diese Versionen dann auch nicht. Man kapiert einfach nicht den Mehrwert der Eigencover gegenüber ihren ursprünglichen Versionen.

Vielleicht liegt die lähmende Langweile der beiden Alben einfach an dem mangelndem Interesse an der Bands an ihren eigenen den Songs. Mit einer gewissen Berechtigung sind sowohl die Fantas als auch U2 offenbar davon ausgegangen, das Covern eigener Songs brächte als Konzept aufgrund der puren Nähe zum eigenen Werk bereits eine Idee für jeden Einlzelsong mit sich. Aber Covern existierender Lieder setzt auch immer voraus, dass man wirklich eine neue Idee an sie heran und in sie hinein trägt - ganz gleich, wer die Lieder schon einmal veröffentlicht hat. Aber hier herrscht wirklich zweimal gähnende Ideenleere. Nur das Cover von den Fantas ist wunderschön.


Songs zum Sonntag 190323 ///

Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.57.27/// Olliso nennt sich ein Sänger und Songwriter aus Berlin, und wenn man den Namen ein wenig flapsig kumpelhaft herleiten würde, „Ich so zum ihm, und Olli so zu mir“ - dann passt das auch ein wenig auf diese kumpelhafte, zerbrechliche, akustische Musik dieses Musikers. Sein am Freitag erschienenes Lied „nur Du“ ist seinem Sohne gewidmet und auf englisch geschrieben - wechselt im Refrain dann aber ins Deutsche. Das Lied ist durchaus anrührend, aber Oliisos Englisch passt für mich nicht so recht in rein, und man hört das Deutsche in der Aussprache durch. Macht aber nichts, leise Lieder braucht die Welt dennoch … Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.57.05/// Ein solches ist auch „Fuchs“ von LEA von ihrem kommenden Album „Bülowstrasse“, bei dem es sich augenscheinlich um ein Konzept-Album handelt: Die meisten Lieder haben nur „Hausnummer 4“,“Hausnummer 7“ und so weiter zum Titel, und auch der Fuchs dieses Songs scheint in der Bülowstrasse zu hausen, und LEA fühlt sich so wie dieser, und sie „nie sein wie ihr“, denn „ihr ihr seid alle gleich, ihr wisst’n Scheiß“ - man kommt nicht so recht dahinter, wie sie das meint, denn uns, ihr Hörer:innen, kann sie ja eigentlich nicht meinen; das wäre jedenfalls Bildschirmfoto 2023-03-19 um 15.56.22ein wenig unverschämt, Leuten entgegen zu singen. Wie dem auch sei: Der Song ist eine klassische Deutschpopballade mit seichten Klavier-Akkorden, zu denen LEA zunächst rappt, den Refrain aber singt, und erst nach dem zweiten Refrain schichtet sich ein elektronisch verfremdeter und daher nach Bläser-Sätzen klingender Chor zu einem B-Teil, nach dem das Lied dann ausklingt. Das ist ungewöhnlich und verdammt gut gemacht aber auch von dieser merkwürdigen hochtrabigen Deutschpop-Emotions-Suppe. /// Unterdessen frage ich mich, wie es die gute alte Jennifer Rush auf einmal wieder in die Charts geschafft hat - konkret mit einem House-Remix von „Ring Of Ice“, der aber dennoch noch genug nach 80er klingt. Irgendwie finde ich das gut - aber das Original ist trotzdem besser. ///

/// Video-Links /// Olliso "nur du" /// LEA "Fuchs" /// Jennifer Rush "ring of ice" (Original) ///


Unterkühlter Pathos

„Fight Back“ von Michael McCain und Agnetha Ivers

Die Single „Fight Back“ ist die zweite Kooperation zwischen dem Produzenten Michael Mc Cain und der Sängerin Agnetha Ivers - mit der ersten hatten wir uns bereits < hier > beschäftigt. Das ist in hohem Masse ungewöhnliche Musik: Ein klöpplender Beat bildet das Cover_fight_back30-sekündige Intro, auf dem sich dann weitere 30 Sekunden die Zeilen „Nobody will listen, will you hear me wiederholen.“, erst dann beginnt das, was man Strophe nennen könnte, indes orchestrale Effekte den Song auf Breitwand ziehen, dann crescendiert ein B-Teil das Lied zu einem theatralen Höhepunkt, ehe es dann, obgleich noch eine Minute übrig sind, auszutropfen scheint. Aber weit gefehlt: Nach 2:45 wechselt urplötzlich noch mal die Tonart.

Dieser  so verschachtelte Song scheint einem Film entsprungen, den wir nicht kennen. Er verfolgt eine stete Dramaturgie ohne sich klassischen Songstrukturen anzubiedern, und die Melodie ist auch nicht überliefertes Pop-Know-How, während der Text ein Echo, ein Rant gegen Schweigen in Zuständen der Unterdrückung ist. Wer immer sich hinter dem Namen Michael Mc Caine verbirgt - dieser Mensch weißt, was er tut, und er scheint es zu geniessen, nun unter anderem Namen, den keiner kennt, einen in allen Belangen ungewöhnlichen Popsong zu machen, der alle wesentlichen Effekte von Pop konterkariert, und in Agnetha Ivers hat er eine Sängerin gefunden, die in tremolofreiem, klarem Gesang unterkühlten Pathos hineinsingt. Ein aussergewöhnlicher Song von einem aussergewöhnlichem Duo.

Link: < musikvideo >


Fun-T-Shirt-Autor:innen

Angebliche Konzerte von Dieter Bohlen, das Ende von DSDS, sexistische Ausfälle - der Popticker rüttelt da mal paar Dinge gerade

Die anstehende Tournee von Dieter Bohlen hat einen sehr bescheidenen Namen: „Das größte Comeback aller Zeiten.“ - die große Suggestionsmaschine Pop, die zweifelsohne oft vom Behaupten der eigenen Angesagtheit lebt, überdreht hier in einen Superlativ, der, wenn er eine ironische Komponente hätte, sympathisch wäre, aber da Dieter Bohlen zu keinem doppelten Boden fähig ist, muss man hier schon von einem Mißbrauch der Marketingmittel von Pop sprechen. Denn Bohlen geht hier ja auf Tournee, er spielt Konzerte, und er behauptet seine Rückkehr als Musiker, was er de facto schon lange nicht mehr ist - er ist Star des Reality-TV. Sein letzter Hit liegt Jahrzehnte zurück, und was eine große Karriere ja tatsächlich ausmacht, den eigenen Sound einerseits zu bewahren und andererseits der Zeit gemäss zu variieren, das kann Bohlen nicht vorweisen: Sein musikalisches Gespür reichte gerade einmal 33794-dieter-bohlen-tour-2023-dresden-800x800für ein Jahrzehnt, als er mit Modern Talking Schlager in einer dem Englisch entlehnten Kunstsprache kreierte. Diesen Schlager wiederum lancierte er zwar mit einem der größten Coups der Popmarketinggeschichte, indem er dasselbe Lied stetig unbenannte und so aus einer mittelmässigen Idee um die 10 Hits heraus quetschte, eine Beständigkeit hat er in seinem Output jedoch nicht. Und alles, was er nach Modern Talking musikalisch erreichte speiste sich der Emotionsaufladung des Casting-Show-Prinzips: „We have a dream“ von den DSDS -all-stars oder „Take me tonight“ von Alexander Klaws oder „Irgendwann“ von Beatrice Egli waren Veröffentlichungen, die das Glücksversprechen von „Deutschland sucht den Superstar“ in musikalischen Produkten rückkoppelten.

Wirklich gespannt darf man sein, ob die Idee, Bohlen als Musiker zu vermarkten, überhaupt noch funktioniert - ob also genug Menschen Tickets für seine Konzerte kaufen. RTL hat ihm immerhin seine angestammte Plattform, DSDS, reumütig zurück gegeben - für die letzte Staffel der Superstarsuche (das Format wird dann eingestellt) hat man ihn noch mal in die Jury berufen, nachdem man ihn letztes Jahr gefeuert hatte. Und ganz in seinem Element hat er dort neben einigen seiner einstudierten Oneliner, die ihm Fun-T-Shirt-Autor:innen als Beleidigungen schreiben, eine Influencerin in einer Art und Weise herabgewürdigt, dass man ihn auch direkt wieder rauswerfen könnte. Samir El Ouassil hat in ihrer gewohnt klugen Gedankenschärfe in dem Podcast mit Holger Klein letzte Woche beschrieben, dass das das Reality-TV-Format in den letzten Zeit eine Wandlung vollzogen hat: Wer rassistisch, sexistisch oder anderweitig diskriminierend auskeilt, muss damit rechnen, aus diesen Shows zu fliegen - nachzuhören < HIER > . Das zwischenzeitliche Kaltstellen von Bohlen im letzten Jahr war bereits dieser Wandlung zuzuschreiben, aber ihn nun aus der laufenden Staffel zu nehmen, ist vermutlich schlicht unmöglich - dazu ist er in der Show einfach zu präsent.

Die Marketingmaschine läuft also, aber ob Menschen, die seine auswendig gelernten Punchlines lustig finden, auch ein Ticket kaufen, um „You’re my heart, you’re my soul“ ohne  Thomas Anders zu sehen und dabei ja auch hören zu müssen, ist zumindest der Frage würdig. Nach dem größten Comeback aller Zeiten jedenfalls ist Schluss mit lustig: DSDS wird dann wie gesagt Geschichte sein, und aus genannten Gründen dürften wir dann in Zukunft auch von Bohlen-Musik verschont bleiben.


Die Vermittlerin

Bildschirmfoto 2023-01-13 um 13.08.50Miley Cyrus kann sich selber Blumen kaufen

Miley Cyrus hat sich zur großen Brückenbauerin im amerikanischen Popbusiness gemausert, eine Miley Dampf in allen Gassen, zuhause in allen Genres, eine versöhnliche Vermittlerin in einem an sich gespaltenen Land. Die Liste derer, mit denen sie allein in den letzten 18 Monaten auf der Bühne stand, ist beeindruckend: Joan Jett, Metallica, Billy Idol, Dua Lipa, Ariel Pink, Elton John, Mark Ronson, Alicia Keys, Adam Levine. Zu ihrer < Silvesterparty > kamen noch Duette mit Dolly Parton, Sia oder David Byrne dazu. Aber es sind nicht nur Namen, die man hier aufreiht - Cyrus vermag es, mit all diesen Leuten zu singen und große Popmomente hervor zu bringen, sie überbrückt nicht nur Generationen sondern auch Schubladen und jeglichen Verdacht unausgewogener Aneignungen. Da mag eine neue Single vielleicht nur ein relativ kleiner Baustein in dem Gesamtkonstrukt der Erscheinungsformen sein, aber der heute erschienene Song „Flowers“ ist in seiner bestürzenden Banalität und dem gleichzeitigem Engagement, das Cyrus in seine Darbietung legt, dann doch Zeugnis der Mileyschen Popformel: Zu Beginn wohnen wir einem Popsoul-Song bei, der Refrain dreht das Ganze in eine Poprock-Richtung und in der Schaltstelle zwischen Refrain und Strophe bindet sich das ganze mit einem Discobeat ab. < In dem Video > wiederum, in dem sie einsam nach hause kommt, schwimmt, duscht und schliesslich in einem viel zu großem Anzug tanzt, referenziert sie sich auch visuell durch die Popgeschichte - mich würde nicht wundern, wenn David Byrne auch auf ihrem neuen Album auftauchen würde, das dann im März erscheint. Sein Silvester-Auftritt und nun der zu große Anzug - Talking Heads, ick hör Dir trapsen. Gut vielleicht stimmt das auch gar nicht, aber wenn sich auf erwähntem Album, das "Endlos Summer Vacation" heißen wird, nur im Ansatz auf Albumlänge Stränge und Brücken bündeln, die Miley Cyrus in den letzten vier, fünf Jahren geknüpft hat, dann könnten wir es mit einer tollen Platte zu tun bekommen.


/// Songs zum Sonntag /// 111222 ///

Bildschirmfoto 2022-12-10 um 21.37.54/// „Asoziale Medien“ ist, wie man sich denken kann, ein kritischer Track über soziale Medien. „Chill Boomer“ , könnte man sagen, zumal, was der Sänger dieses Liedes, Sören Vogelsang, dann so sagt, ein wenig altbacken daher kommt, als würde die Sendung mit der Maus die Verführungen des Internets erklären - und zwar 2011: „Ich vergeude meine Zeit auf Facebook allein, ich hab’ 4000 Freunde, um einsam zu sein. Scroll durch Storys auf Insta, Doomscrolleffekt, die Leben der Anderen sind alle perfekt.“ - klingt ein wenig, als ob Rolf Zukowski mal nicht über die Weihnachtsbäckerei Bildschirmfoto 2022-12-10 um 21.39.14singen und hip sein möchte. Die Binsenweisheiten über soziale Medien eines Menschen, der eben diese nicht zu nutzen scheint, zeugen von einer derartig unerschütterlich Naivität, das der Song in seinem Acoustic-Folk-Rap irgendwann eine gewisse Eingängigkeit entwickelt. Ich fürchte nur: Von der Gefahr der sozialen Medien wird sich von diesem Lied niemand was erzählen lassen. /// Erstaunlich aber Bildschirmfoto 2022-12-10 um 21.39.35schon, wohin deutscher Rap heute alles klingen kann. Steffen Freund zieht seinen Song „Heimweh“ mit Trap-Beats und Autotune derart in die Breite, dass er mit dem Song problemlos auch im „ZDF“-Fernsehgarten auftreten könnte - wie soll man dieses Genre nun nennen? Schlager-Trap? Komische Zeiten im Deutschpop. /// Andere Wiese: Lana Del Rey hat tatsächlich schon wieder ein Album inpetto. Es wird ihr achtes sein und „Did you know, that there is a tunnel under the Ocean Boulevard?“ heißen. Und ebenso heißt auch ihr neuer Song, und ich muss ja sagen, ich höre mir das auch beim zehnten Album wieder an, obgleich an der Machart fast nichts ändert: Tiefe Klavier-Akkorde tupfen eine Melodie in den Himmel über LA, welche sepiatonal von Del Rey umschlungen wird, und aus der Ferne beschleichen Streicher ein Motel - wundervoll, wie hier immer noch ein Hollywood-Kitsch herauf beschworen wird, dessen Melancholie längst mit erzählt, dass er eine Chimäre ist. /// YoutubeLinks /// < asoziale Medien > /// < Heimweh > /// < did you know that there is a tunnel under the ocean boulevard > ///