Weltmusik

Fluffige Welt

Wunderbare Musik von Tania Saleh aus dem Libanon

 

Die gleichsam sehr persönliche wie auch höchst politische Musik der libanesischen Sängerin Tania Saleh ist für mich die erste hinreissende Pop-Entdeckung in diesem Jahr - ihr vor zwei Wochen erschienenes Album „10 A.D.“ höre ich derzeit beim Kochen und Entspannen. Der Titel steht hier im Übrigen nicht für „anno domini“, oder zumindest nicht nur, sondern für „after divorce“ - die Platte Slehfeiert sozusagen ihren Scheidungs-Geburtstag. Auf Deutschlandfunkkultur sagte Tania Saleh dazu letzte Woche: „Ich wollte über mein Leben in diesem Land als geschiedene Ehefrau sprechen.“ Gleichzeitig eben ist der Titel mit seinem Verweis ins Altertum Teil ihrer Mission: „Mittelalterlich mutet es an, dass im Libanon nach wie vor religiöse Gerichte und die Scharia-Gesetzgebung über Heirat, Scheidung, Unterhalt oder Sorgerecht urteilen.“ - die Wut und Verzweiflung, die Saleh in Musik giesst, merkt man den Liedern zunächst einmal nicht an, man muss sie sich, wenn man kein Arabisch spricht, anlesen oder eben im Radio dazu-hören, denn ihre Musik klingt an sich versöhnlich. Doch natürlich schlummert genau in diesem scheinbaren Widerspruch ihr Reiz: Klavierballaden, ziehen sich in arabischen Harmonien mit chanson-haften Streichern, jazzigen Upbeats und getragenem Gesang in die Breite, Synthies, Oud und Bläser verorten die Lieder in der Welt, in der Schönheit. Tania Saleh kann beiläufig wie im Pop singen, Pathos wie im französischen Chanson erzeugen, sie findet zu spoken-word performances auf fluffigen Rhytmen, und urplötzlich kann sie auch rappen und schichtet ein E-Gitarrensolo auf leise Lieder. Ich komme nicht von dem Begriff, der Weltmusik los, den viele inzwischen ablehnen, aber wenn man Welt in der Popmusik hat, trifft er doch zu. Jenseits dieser Frage ist „10 A.D.“ eine famose Platte.


Pop- und Soultropfen

Das großartige Album "Mantra" von KAT

Das Intro zoomt sich aus scheinbarer Ferne heran, sphärische Synthie- und Vocal-Flächen schichten sich auf, bis man auf dem Album „Mantras“ willkommen geheissen wird und schliesslich der erste Song beginnt: „Divine“ kommt im verschachtelten 8/4-Takt gleichsam eingängig wie merkwürdig sperrig daher und setzt damit die Klangfarbe für das gesamte Album - auch im lyrischen Sinne: „So listen closely: I don’t have any answers. But I do have a song / I’m a bird, and I sing.“ Davon, wollte man die Songs auf Katdiesem Album auf einen Nenner bringen wollen, handeln eben diese: Von der Kraft der Musik für den Hörenden ebenso wie für die Musizierende KAT, die mit diesem Album eine Krebserkrankung verarbeitet.

Dafür hat sie hat sieben Jazz-Songs auf dieser Platte, von denen Soul und Pop tropfen, und die mit fluffigen Melodien und doppelbödigen Texten nie den einfachsten Weg gehen, sondern sich Trampelpfade durch den Dschungel von Allem, was wir so hören, suchen. Ihre Stimme zieht auf diesen Pfaden viele Register: Von deepem Soul-Timbre über jazzige Konnotationen und flapsige Pop-Beiläufigkeiten bis hin zu flächigen Prog-Klängen ersingt KAT unterschiedlichste Klangfarben und führt ihre Musik damit auch immer wieder aus der Gefahr von harmlosen Lounge-Jazz. Heraus kommt ein erstaunlich ungehörter Popentwurf, den man gerne als Album hört, den man aber sofort auch irre gerne mal live geniessen würde. Ein wirklich faszinierendes Album.

Link: < YouTube-Channel > von KAT (mit Videopremiere der Single "Rose" heute am 21.04.23)


RIP Ryuchi Sakamoto

Ryuchi Sakamoto ist gestorben, und ich muss sagen, dass ich so vieles über den japanischen Komponisten, Musiker, Pianisten, Dirigenten und Vermittler gar nicht weiß - aber eines seiner Alben ist eines meiner all-time-favorites: „Beauty“ aus dem Jahre 1990. Es war dies die Zeit, in der ich vieles, was man damals Weltmusik nannte, hörte, und „Beauty“ ist, wie immer man heute zu dem Begriff Weltmusik stehen mag, voller Welt: traditionelle japanische Instrumente, Flamenco-Gitarren, indische, malische, senegalesische, brasilianische Trommeln, türkische Laute, Jazzmusiker:innen, Chöre und wunderbare Sänger:innen - neben Sakamoto selber, Robert Wyatt, Nicky Holland, Brian Wilson, Laura Shaheen und Youssou N’Dour - um nur einige zu nennen.

Beauty_By_Ryuichi_Sakamoto_1989

Mit dem illustren Kreis an Musiker:innen (Wikipedia listet alleine 35) schichtete Sakamoto einen globalen, homogenen Popsound, einen Weltteppich merkwürdiger Beats und unbekannten Melodielinien, in dem ein altes japanisches Volkslied „Chinsagu no hana“ indisch mit Beat und spanisch mit Gitarre unterfüttert wird, oder Rollings Stones’ „We love you“ als funky Disko-Track eine kurze Reise in die Ägäis und nach Bamako unternimmt. Das Album hat so viele Ideen, Wendungen und Klänge, wie manch Musiker:in nicht in zehn Alben hat, und so viele Überraschungen in den Arrangements und gesungene Sprachen, dass diese Musik an sich schon eine Utopie des menschlichen Miteinanders, des Friedens und der Humanität ist.

Schlicht und ergreifend, ich wiederhole mich, eines der besten Pop-Alben aller Zeiten - hört Euch nur mal "Diabaram" an: Ein paar Akkorde auf E-Piano und die Stimme von Youssou N'Dour sowie später ein Kokyū-Solo - wunderbar! Findet ihr < hier >.


Unterkühlter Pathos

„Fight Back“ von Michael McCain und Agnetha Ivers

Die Single „Fight Back“ ist die zweite Kooperation zwischen dem Produzenten Michael Mc Cain und der Sängerin Agnetha Ivers - mit der ersten hatten wir uns bereits < hier > beschäftigt. Das ist in hohem Masse ungewöhnliche Musik: Ein klöpplender Beat bildet das Cover_fight_back30-sekündige Intro, auf dem sich dann weitere 30 Sekunden die Zeilen „Nobody will listen, will you hear me wiederholen.“, erst dann beginnt das, was man Strophe nennen könnte, indes orchestrale Effekte den Song auf Breitwand ziehen, dann crescendiert ein B-Teil das Lied zu einem theatralen Höhepunkt, ehe es dann, obgleich noch eine Minute übrig sind, auszutropfen scheint. Aber weit gefehlt: Nach 2:45 wechselt urplötzlich noch mal die Tonart.

Dieser  so verschachtelte Song scheint einem Film entsprungen, den wir nicht kennen. Er verfolgt eine stete Dramaturgie ohne sich klassischen Songstrukturen anzubiedern, und die Melodie ist auch nicht überliefertes Pop-Know-How, während der Text ein Echo, ein Rant gegen Schweigen in Zuständen der Unterdrückung ist. Wer immer sich hinter dem Namen Michael Mc Caine verbirgt - dieser Mensch weißt, was er tut, und er scheint es zu geniessen, nun unter anderem Namen, den keiner kennt, einen in allen Belangen ungewöhnlichen Popsong zu machen, der alle wesentlichen Effekte von Pop konterkariert, und in Agnetha Ivers hat er eine Sängerin gefunden, die in tremolofreiem, klarem Gesang unterkühlten Pathos hineinsingt. Ein aussergewöhnlicher Song von einem aussergewöhnlichem Duo.

Link: < musikvideo >


Poltische Lieder

/// Songs zum Sonntag /// 150123 ///

Why_from_hell_cover/// Der orchestrale Popentwurf, der hinter dem Song „Why From Hell To Redemption“ steckt, fände vielleicht auch auf dem ESC seinen Platz, zumal der verbindende Ansatz, mit dem der Song auf die „women life freedom“-Bewegung im Iran aufmerksam machen will, eine ähnliche Hintertür für ein politisches Statement sucht und findet, wie es beim per se ja unpolitischen Eurovision Songcontest oft gemacht wird. Mit 0-8-15-Pop haben wir es hier freilich aber nicht zu tun. Der Song stammt von Michael Mc Cain, ein offenbar bekannter Produzent und Komponist, der nun ein Pseudonym benutzt, und der Sängerin Agneta Ivers. Er beginnt mit der präsenten Stimme dieser: „See their faces watching over me over me“, und darunter brummen merkwürdige, tiefe Blasinstrumente, das orchestrale Klangbild reichert sich dann mit Streichern, Glocken und einem einfachen Beat. ESC war meine erste Assoziation, aber man könnte sich auch in einem Fall befinden, im Abspann einer Netflix-Serie mit Fantasy-Mittelalter und viel Pathos. Wenn sich ein Song zu solch einem Kitsch aufplustert, kann man mal wieder sehen, zu was Tollem Pop in der Lage ist. Bildschirmfoto 2023-01-15 um 13.58.27/// Andere Band, anderer Sound, andere Sprache - fast Alles ist anders bei „ok.danke.tschüss“; dennoch könnte man eine Parallele zwischen deren neuem Song „Soldat“ und dem zuvor thematisierten von Michael Mc Cain  und Agneta Ivers ziehen: Beide sind der Versuch eines politischen Liedes. Während aber „Why From Hell To Redemption“ erwähnte Hintertür sucht und die Lyrics allenfalls über den Umweg einer poetischen Deutung ein politisches Statement setzen, sind „ok.danke.tschüss“ direkter und konkreter: „Soldat“ ist letztlich die Aufforderung zu desertieren: „Soldat, leg die Waffen nieder, Du hast soviel zu verlieren. Soldat, kehr heim, und komm nie wieder, was willst Du Deinen Kopf riskieren. (…) Soldat lass und älter werden und nicht vor unseren Eltern sterben.“ - diese Lyrics der großartigen Songtexterin Eva Sauter dieser wunderbaren Band erinnern fast an politische Liedermacher:innen wie Walter Mossmann oder Wolf Biermann (der tatsächlich auch mal ein Lied namens „Soldat“ geschrieben hat.) Bei „ok.danke.tschüss“ ist diese ernste, pazifistische Note eine neue Dimension, denn in dem bisherigen Songkatalog (sprich: in einigen Singles und ihrem bislang einzigem Album „kaputt weil’s nicht funktioniert“) finden sich keine explizit politischen Songs - mich bewegt das; sehr. Auch wenn ich zugebe, dass mich „ok.danke.tschüss“ auch bewegen würden, wenn sie das Telefonbuch sängen. ///

/// Links /// „Why Hell Before Redemption“ < Video > /// "Soldat" < bandcamp audio > ///


Big Sister

„Songs zum Sonntag“-Spezial: Der erste Song von Peter Gabriels neuem Album nach 21 Jahren Pause

Dass Peter Gabriel kein TikTok-affinen Song veröffentlicht, ist jetzt natürlich keine Überraschung - ein Künstler, der sich einst weigerte, seinen Song „Down To Earth“ für den Auftritt bei der Oskar-Verleihung auf drei Minuten zu kürzen, nimmt sich auch bei  PeterGabriel_Panopticom-jpeg-copy-734x734seiner ersten Single für das erste neue Album seit über 20 Jahren die Zeit, die er braucht; aber wenn man das dann hört, merkt man den eigenen Hörgewohnheiten dann schon an, dass ein Song, der ein Intro in drei Teilen hat, und bei dem der Gesang erst nach 50 Sekunden einsetzt, heute eine Ausnahmeerscheinung ist. „Panopticom“ heißt er, und er klingt ohne Zweifel nach Peter Gabriel - wollte man als Sound-Referenz eines seiner Vorgänger-Alben nennen, es wäre wohl sein letztes, „Up“ von 2002: Verschiedenste Song-Teile, die ineinander gleitend Flächen öffnen, trockene Beats in schroffe Sphären schieben, Synthklavier-Töne tropfen lassen und sich in Refrains nach oben öffnen, was der gute Peter so unvergleichlich singen kann; es ist sozusagen Gabriel-Handwerk, und es macht den Fan natürlich glücklich.

„Panopticom“ ist die Vision eines positiven Big Brothers, Big Sister nennt Gabriel es in einem < Video >, in dem er über seine neue Platte spricht; die Idee, dass Ungerechtigkeiten nie und nirgends mehr unsichtbar bleiben. Der Song steht somit in in direktem Zusammenhang mit der von Gabriel mit gegründeten Menschenrechtsorganisation „witness“ (Link < hier >), die Bürger:innen von Unrechtsstaaten Kameras zu Verfügung stellt, um jene Sichtbarkeit zu erreichen, die er nun also in den Song „Panopticom“ besingt. (*) Und diese poetische Naivität als Nebenzweig tatsächlichen Menschenrechtsaktivismus ist offenbar im Allgemeinen der Kosmos, in dem das kommende Album von Peter Gabriel „i/o“ verortet ist. Mithin ein zunächst etwas trocken anmutendes Thema für Musik, aber Peter Gabriel hat auch schon Emotionen aus ein Lamm, dass sich auf dem Broadway ausruht, oder einem Schmiedehammer heraus geholt. Dennoch: Ein Liebeslied wie „In your eyes“ oder ein Smash-Hit wie Sledgehammer werden wir wohl nicht mehr serviert bekommen; ach aber - wer weiß.

Mit jedem Vollmond wissen wir ab sofort mehr, denn mit jedem Vollmond erscheint ab sofort eine neue Single seines vierten 2-Buchstaben-Albums (nach „So, „Us“ und „Up“), und ich werde mich um Neutralität bemühen; und daran scheitern - bin dann zu sehr Fan und hatte Tränen in den Augen als am Freitag „Panopticom“ erschien.

*- Gabriel nennt noch zwei weitere Organisationen, um zu verdeutlichen, was er mit seiner Idee des Panopticoms meint, die beide Daten-Forensik betreiben: "bellingcat" und "forensic architecture" 


Alben & Songs des Jahres

Bildschirmfoto 2022-12-14 um 11.32.02... wie immer unfassbar subjektiv und ebenfalls wie immer habe ich bei den Songs nur solche reingenommen, die nicht auf einem der Alben des Jahres sind. Nicht wie jedes Jahr habe ich in diesem Jahr als jemand, der nicht streamt, deutlich weniger Neues gehört als sonst, wodurch mir bestimmt tolle Musik entgangen ist - wie gesagt: Unfassbar subjektiv halt.

ALBEN

01 Florian Paul & die Kapelle der letzten Hoffnung / auf Sand gebaut < Huldigung >

02 M / Révalité < Link-Tree >

03 Katie Melua & Simon Goff / Aerial Objects < Playlist Youtube >

04 Ariane Roy / Medium Plaisir < Website >

05 Sona Jobarteh / Badinyaa Kumoo < Website >

06 Laura Veirs / Found Light < Bandcamp >

07 Tocotronic / nie wieder Krieg < Narrativer >

08 Tears For Fears / The Tipping Point < Poptickers Lob >

09 Maggie Rogers / Surrender < Website >

10 Nits / Neon < nicht nur Dutch Mountains >

SONGS

01 Camille / Humaine(Herbert Grönemeyer-Cover) < official audio >

02 Ka2 & Gabrielle / i natt < official audio >

03 Lana Del Rey / Did you know that there is a tunnel under Ocean Boulevard < official audio >

04 Herbert Grönemeyer / Deine Hand < video >

05 Fishbach / Masque D’Or < video >

06 S10 / De Diepte < ESC >

07 Camilla Cabello / Bam Bam < echt jetzt? >

08 Les sœurs Boulay / Les lumières dans le ciel

09 Dominique Fils-Aimé / Go Get It < video >

10 Deichkind / in der Natur < video >


Liste der italienisch-sprachigen Nr.1-Hits in den deutschen Charts

Eine überraschend schwer zu recherchierende Liste - und Nein, weder "Azzuro" noch sonst ein Italo-Hit, der spontan einfällt, hat die Peak-Position der deutschen Singlecharts erreicht - trotzdem lasse ich mich gerne eines Besseren belehren - in den Kommentaren oder per Mail.

 

Rocco Granata                         „Marina“ (1959)                < youtube >

Oliver Onions                         "Orzowei" (1976)               < youtube >

Oliver Onions                         "Santa Maria" (1980)           < youtube >

Andrea Bocelli feat. Aarah Brightman  "Time To Say Goodbye" (1996)*  < youtube >

Eros Ramazzotti feat. Anastacia       "I Belong To You" (2006)**     < youtube >

 

*Bocelli-Strophen auf Italienisch **Ramazzotti-Strophen auf Italienisch                      

Wir hatten hier im Popticker bereits spanische-sprachige Nr-1-Hits < hier > sowie französische < hier >


Von der Erbschaftssteuer absetzen

80er-Erfolg verwalten mit Eros, Billy und Marian

„Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht erlebt.“, hat Falco einst gesagt, und wir hatten hier im Popticker erst kürzlich wieder fest gestellt, dass, diejenigen, die sich heute auf die 80er berufen, nicht unbedingt Menschen sein müssen, die in den 80er schon auf der Welt waren; aber dennoch gibt es natürlich Musiker:innen, die sich zwar vielleicht nicht an die 80er erinnern, die sie aber erlebt haben und auch heute noch leben - schauen wir also heute auf drei solcher Interpreten, ja, es sind alles Männer, die in den 80ern bekannt wurden und alle drei soeben neue Veröffentlichungen auf den Markt geworfen haben: Alphaville, Billy Idol und Eros Ramazzotti.

Bildschirmfoto 2022-09-23 um 17.38.42Billy Idol ist auch 2022 und mit bald schon 70 Jahren auf dem Buckel Billy Idol; oder vielmehr ist William Michael Albert Broad mit der von ihm erschaffenen Kunstfigur Billy Idol immer identischer geworden, und jetzt leben zwei Seelen, ach, in seinem nach unten gezogenen Mundwinkel. Merkwürdiger Weise funktioniert seine Musik auch immer noch gut: Seine soeben erschienen EP „The Cage“ mit vier Songs jedenfalls zeigt das altbewährte Idol-Rezept: Harte Gitarren-Kaskaden von Steve Stevens werden mit den Mitteln des Pop gebändigt zu einem, klar, Poprock, der jederzeit von Messers Schneide in Hardrock oder fluffigen Pop kippen kann. Zwar sind die vier neuen Songs keine Hits wie „Flesh For Fantasy“ oder „Eyes Without A Face“, aber Hits hat er ja schon, und eine solche EP wie diese Neue jetzt ist auch eher da, um nicht einzurosten und an alte Hits zu erinnern statt neue zu liefern.

Bildschirmfoto 2022-09-23 um 17.38.57Selbiges könnte man über Eros Ramazzotti sagen, aber sein neues Album „Battito Infinito“ ist schon um einiges aufwendiger als eine EP auf Rezept. Ramazzotti bindet hier in seinen klassischen Italo-Rock-Sound Latin- und Afro-Beats, dotzenden Pop und symphonische Breite ein. Natürlich ist das alles gefällig und als Restaurant-Hintergrund tauglich, dennoch kann man nicht den Vorwurf erheben, hier ruhe sich jemand auf seinen Lorbeeren aus - mit "Madonna De Guadalupe" ist eine veritable Weltpop-Perle gelungen, und "Filgli Della Terra" ist ein Italo-Ohrwurm im Duett mit Jovanotti, dass man gleich noch einen Wein bestellen möchte: Das Album ist interessant und abwechslungsreich.

Keine wirkliche Idee, wie man 2022 mit dem Erbe einiger Hits in den Bildschirmfoto 2022-09-23 um 17.38.2680ern umgehen könnte, haben Alphaville bislang gehabt - zunächst hat sich die Idee Alphaville durchaus verkürzt auf deren Sänger Marian Gold, der es auch schon im Popmusik-Fernsehen versucht hat und nun als einziges Bandmitglied auf dem neuem Album zu sehen ist - als weiß getünchte Steinfigur, als wäre er ein Denkmal. Man fragt sich schon bei dem Cover, was man sich dabei gedacht hat. Und die Musik auf der Platte sind Orchester-Versionen der Alphavillschen Synthiepophits, und diese ganzen Orchester-Projekte von Pophits haben fast noch nie funktioniert. Nicht mal Sting hat das hinbekommen. Aber bei Alphaville ist das Ganze wirklich vollkommen überflüssig: Das Filmorchester Babelsberg ist so komprimiert zusammen produziert, dass sie wieder wie Synthies klingen, und die Akzentuierungen in den teils ja doch recht filigranen Originalversionen sind daher so abgeschliffen und eingedampft, dass diese Neuaufnahmen flach und langweilig daher kommen. Nirgendwo ist eine Idee zu spüren, worin der Mehrwert dieses Albums sein könnte, ausser eben mehr Wert zu suggerieren.


Vaudeville-Chanson der Liebe und Hoffnung

Die neue Single von Florian Paul und seiner Kapelle

Von „Florian Paul & der Kapelle der letzten Hoffnung“ haben wir hier im Popticker schon öfter geschrieben, auch dem Album „Auf Sand gebaut“ wurde < HIER > schon gehuldigt, aber wenn heute die neue Single „Bar Kalypso“ erscheint, ist es Grund genug, um erneut zu erwähnen, dass es derzeit keine bessere deutschsprachige Popmusik gibt als diese. Erwähnte „Bar Kalypso“ beginnt mit tiefer Saxofonmelodie und getupften Klaviersprenkeln, Forian Paul singt ebenfalls eher tief und zurück gehalten, aber der ganze Anfang, Intro und Strophe tragen die Atmosphäre der Eskalation, der Ruhe vor dem Sturm mit sich, und so ist es dann auch: Vor dem Refrain tankt der Song noch einmal Ruhe, um sich dann in einem Cresendo aufzubauschen und in einen siwngenden B-Teil mit scharfen Bläsersätzen und Einladung zum Lilly-Hop zu eskalieren - spätestens mit dieser Single wird deutlich, dass nicht nur Florian Paul mitreissende Songs schreibt und singt, sondern auch, dass die Kapelle der letzen Hoffnung eine famose Band mit exzellenten Musiker:innen ist.

Und Paul hat sich für die „Bar Kalypso“ auch noch Verstärkung ans Mikrofon geholt, MOLA, eine junge Sängerin aus München, deren eigenen Veröffentlichungen zwischen ironischem Schlager und Indie-Songwriting pendeln - zu Zweit schaukeln sich die beiden in eine hedonistische Eloge ans Leben, in deren Tunneln immer auch irgendeine Hoffnung schimmert: „Trink noch ein letztes Glas auf die Liebe / nimm einen letzten Schluck auf die Lust / ach wenn doch alles für immer so bliebe / Wie schmeckt ein wirklich unsterblicher Kuss? // Erst wenn die letzte Schlacht endlich verloren ist, dann macht das Leben wieder Spass / für einen Augenblick oder die Ewigkeit / wo ist der Anfang, wo der Schluss?“


Das Video zur „Bar Kalypso“ ist dem Film zum Album entnommen, das in voller Länge im Oktober erscheint. Der Film, soweit man ihn nun schon gesehen hat, ist fast die Milieu-Studie einer bizarren, fiktiven Gesellschaft in einem unentrinnbaren Haus. Das ritualisierte Tun und Lassen der dort lebenden Menschen ist ähnlich defätistisch und gleichzeitig hinreissend hoffnungsvoll wie die Musik von Florian Paul und seiner Kapelle der, sie heißen eben nicht zufällig so, letzten Hoffnung. Die Bar Kalypso ist in diesem Haus die Hausbar, und die Menschen dort trinken blaue Drinks - einmal mehr zeigt sich die Musik von Paul und Kapelle, als wäre sie einer bunten Brecht-Inszenierung entnommen. Wunderbar!


Songs zum Sonntag

Bildschirmfoto 2022-07-17 um 11.05.38heute aus Norwegen /// 170722 /// a-ha / I’m in /// Seit einer Doku über die Band „a-ha“ wissen wir, dass die drei Norweger mitnichten drei enge Freunde sind, sondern für ihre Existenz als Band über Missgunst, Skepsis und Genervtheiten hinweg kämpfen müssen. Einmal haben sie sich auch schon aufgelöst und dann wieder zusammen gerauft. Nun erscheint Ende des Jahres eine neues Album, „True North“, und die erste Single ist soeben erschienen Sie heißt „I’m in“ und ist ein klassischer a-ha-Song: orchestraler Pathos, Harkets Falsett-Gesang und getragene Melodie - Bildschirmfoto 2022-07-17 um 11.05.19immer ganz nah zu Kitsch und Bombast bekommen sie auch hier wieder die Kurve zu nonchalantem Pop. So treu sie sich da also bleiben - brauchen tut man das nicht, aber dass sie das, was sie können, immer noch können, ist schon auch toll. /// Ka2 & Gabrielle / i natt /// Bleiben wir doch einfach mal in Norwegen: „Ka2“ spielen einen herrlichen Synthiepop mit sommerlichem easy-listening, ablenkend gut gelaunt und fluffig. Ihre neue Single mit der ebenfalls norwegischen Sängerin „Gabrielle“ ist in meinem iPhone schon zum Sommerhit geworden: Uptempo-Mittwipp-Beat, flächige Synths und herrliches Norwegisch, das ich so gerne höre - nordischer kann ein Song kaum in die Sonne passen. /// Links /// a-ha / I'm in (video) /// Ka2 & Gabrielle / i natt (audio) ///